Im Staatsschauspiel Dresden: Früchte des Zorns

kmmai

Aufführungsbericht: Wie schreibt man spannend über Arbeitslosigkeit und die Lähmung durch fehlende Perspektiven? Der US-Amerikaner John Steinbeck hat es versucht und dafür Pulitzer-Preis und Literaturnobelpreis eingeheimst. Aber geschafft hat er es nicht: „Früchte des Zorns“ ist kein fesselnder Roman geworden, so gut und wichtig er auch ist. Schafft Regisseurin Mina Salehpour, dem Stoff Leben einzuhauchen?

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Irgendwann stecken sie bis zum Hals im Dreck. © Sebastian Hoppe

Es beginnt jedenfalls atemberaubend. Die Bühne ist leer, in ihrer Mitte hockt Hans-Werner Leupelt. Er deklamiert die ersten Seiten des Romans, in denen die kleinen Landwirtschaften der Bauern aus Oklahoma dargestellt werden. Mehrere Jahre lang gab es Dürre, Staub legt sich erstickend über jedes Pflänzchen. Das ist keine Aktualisierung, das steht genau so im 1939 erschienenen Buch. Der Rest des Ensembles taucht auf und wühlt im Dreck, der allein das Bühnenbild ausmacht. Mehr braucht es auch nicht, den Rest stellt sich der Zuschauer vor. Wegen der Missernten können die Bauern ihre Kredite nicht zahlen und die Bank reißt sich ihr Land unter den Nagel. Was jetzt?

Großfamilie Joad will Richtung Westen fahren, dort soll es paradiesisch schön sein und genug Arbeit bei der Ernte geben. Gerade rechtzeitig zum Aufbruch trifft der junge Tom Joad ein, der aus dem Gefängnis entlassen wurde und der noch den ehemaligen Priester Jim Casy aufgegabelt hat. Wie das Auto gekauft und der Hausstand für wenige Dollar verramscht wird, das arbeitet die Inszenierung mit wenigen Sätzen ab. Geht gar nicht anders, denn der 700-Seiten-Wälzer wird zu zwei Stunden Bühnengeschehen kondensiert. Ähnlich wird die Figurenmenge eingeschmolzen, werden wichtige Szenen und Handlungsstränge gestrichen. Gut so, schließlich hat das Buch gewaltige Längen, die schon zwei meiner Bekannten dazu brachten, das Buch entnervt abzubrechen. Leider bleibt auch Wichtiges auf der Strecke.

Die Joads kämpfen sich Kilometer für Kilometer durchs Land, dem gepriesenen Kalifornien entgegen. Sehr viele Bauern tun es ihnen gleich, und so dauert es nicht lange, bis die ersten Berichte auftauchen, dass es dort gar nicht so rosig aussähe. Doch es gibt keinen Plan B und die Joads vertrauen auf ihren Fleiß. Während die Reisenden von der Bevölkerung mit Argwohn und zunehmendem Missfallen behandelt werden, entstehen untereinander kleine Schicksalsgemeinschaften. Ein paar Szenen skizzieren, wie die Geschäftsleute Kapital schlagen aus dem Elend der Fahrenden. Andere helfen, so gut sie können, und schließlich sind die Joads am Ziel: Kalifornien.

Doch begrüßt werden sie von Bürokratie und Schikane seitens der Polizei. Sie müssen in ein Auffanglager und touren auf der Suche nach Arbeit von einem Lager zum nächsten. Arbeit gibt es, wenn überhaupt, nur für wenige Tage und zu einem Lohn, der gerade für ein Abendessen reicht. Priester Casy treibt diese Ungerechtigkeit auf die Barrikaden. Er führt einen Streik an und wird deshalb ermordet. Tom Joad, die tragende Figur, übernimmt seine Position. Seine Schwester, die schwangere Rosasharn (Rose of Sharon), bringt ein totes Kind zur Welt. Dessen Vater, ihr Ehemann Connie mit den fantastischen Plänen für die Zukunft, hatte sich irgendwann aus dem Staub gemacht. Die Inszenierung endet damit, dass Rosasharn einen verhungernden Landsmann mit der ihr eingeschossenen Milch füttert.

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Die Strapazen der Fahrten werden eindrucksvoll dargestellt. © Sebastian Hoppe

Fazit: Eigentlich passt alles an dieser Inszenierung: Die Handlung ist zwar dicht, aber man kann ihr folgen, auch weil zum Beispiel die wiederholten Autofahrten gute kleine Pausen bieten. Mina Salehpour findet immer wieder tolle Bilder: Als Darstellung der Fahrt stemmen sich die Schauspieler dicht gedrängt einem Sturm aus Dreck entgegen, den ein Ventilator ihnen entgegenbläst. An der Besetzung gibt es nichts Verbesserungswürdiges. Besonders der sympathische Simon Werdelis als Tom Joad und Anna-Katharina Muck als seine durchsetzungsfähige, tatkräftige Mutter tragen die Handlung, während die Gastschauspielerin Lisa Natalie Arnold mit der einfühlsamen Darstellung der Rosasharn für die wenigen berührenden Momente der Aufführung sorgt. Trotzdem bleibt am Ende ein fades Gefühl zurück und der Gedanke, dass man wohl den Roman lesen müsse, um das Stück ganz zu begreifen. Dann erkennt man auch, was fehlt: Durch die notwendigen Kürzungen lässt sich weder erkennen, dass die Familie auseinanderfällt, noch, wie die „Wirtschaftsflüchtlinge“ zu einer festen Schicksalsgemeinschaft zusammenwachsen.

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So sah John Steinbeck 1939 aus, meint die englische Wikipedia.

Noch ein kleines Fazit zum Buch: Es zieht sich und man braucht einiges an Disziplin, um durchzuhalten. Einen großen Genuss beim Lesen bietet es nicht (laut Meinung einiger Amazon-Kritiker liegt das an der Übersetzung, doch das kann ich nicht beurteilen). Aber es ist gut, es gelesen zu haben.

Bewertung: 3/5

Geschrieben von Katrin Mai

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