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Aufführungsbericht: Christoph Hein schreibt nicht nur tolle Romane und Erzählungen, sondern auch Dramen. Trotzdem entscheidet sich Regisseurin Friederike Heller dazu, einen Roman von ihm für die Bühne umzuarbeiten. „In seiner frühen Kindheit ein Garten“ erzählt von den Eltern eines RAF-Terroristen, der erschossen wurde. Unter welchen Umständen, ist unklar. Die Eltern nehmen den Kampf um die Wahrheit auf.


Birte Leest; als Ehepaar Zurek: Hans-Werner Leupelt, Christine Hoppe; Moritz Kienemann; Philipp Grimm (v.l.n.r.) © Sebastian Hoppe
„Kampf“ ist dabei allerdings ein hochgegriffenes Wort. Bei Hein kämpfen die Protagonisten vor allem in Gesprächen. Es geht um die Überzeugung, weniger um die Aktion. Nur selten kommt ein Hauch von Kleists „Michael Kohlhaas“ auf, der seinen Widerstand gegen den Staat rücksichtslos durchpresst. Doch von vorn.
Wie festgeklebt sitzt das Ehepaar Zurek in seinem holzvertäfelten Wohnkasten. Chorisch tragen sie ihren Text vor: Ja, es war gut, den Bahnhof zu besuchen, wo der Sohn gestorben ist. Dann spielen Kinder vor und um den Wohnkasten herum Cowboy und Indianer: Vergangenheit, die mit dem gespielten Erschießen und mit Nancy Sinatras „Bang Bang (My Baby Shot Me Down)“ auf die Gegenwart überblendet. Das aus „Kill Bill“ bekannte Lied begleitet den konzentrierten Theaterabend. Im Nu verwandeln sich die Kinder in Erwachsene. Als Nachrichtensprecher berichten sie, dass der Terrorist Oliver Zurek bei einem Schusswechsel verletzt worden sei. Zwei Tage später die Meldung, er sei gestorben.


Heiner und Oliver beim Indianerspiel vorn, die Eltern sitzen hinten © Sebastian Hoppe
Die Eltern haben weitaus mehr zu bewältigen als die Trauer um ihren Sohn. Denn der soll einen Polizisten getötet haben. Dann kommen Gerüchte auf, dass es sich ganz anders zugetragen habe, dass Oliver Zurek regelrecht hingerichtet wurde. Die Medienwalze rollt an, das Telefon steht nicht mehr still. Vater Zurek, pensionierter Gymnasialdirektor, bekommt Besuch von seinem unfähigen Nachfolger. Der hätte gern, dass Herr Zurek über sein Familiendrama mit den Schülern spricht, damit die etwas daraus lernen mögen. Die Szene gelingt so herrlich absurd, dass der Zuschauer befreit lachen kann. Genau das richtige für diesen schweren Abend und ohne alle Albernheit dank Sven Hönig, der den Direktor ein wenig tumb und taktlos darstellt, ohne zu überzeichnen.
Die Eltern versammeln ihre beiden verbliebenen Kinder zur Beerdigung. Während Heiner den linken Idealen seines Bruders nacheifert, verurteilt seine Schwester Christin das Tun des Bruders. Nicht nur, weil sie Lehrerin ist und damit den Staat vertritt. Auch, weil sie um Oliver gekämpft hat, weil sie ihm klargemacht hat, dass er die Familie verlässt, wenn er als Terrorist in den Untergrund geht. Dass sich Oliver bewusst für den Terror entschied, hat Christin verbittert. Birte Leest spielt sie mit Energie, mit Durchsetzungskraft und macht spürbar, wie enttäuscht Christin von ihrem Bruder ist.


Welche Version über den Tathergang will man glauben? Sven Hönig als opportunistischer Direktor diskutiert darüber, während Philipp Grimm und Moritz Kienemann das Geschehene nachstellen © Sebastian Hoppe
Die Ungereimtheiten in den medialen Berichten häufen sich. Die Widersprüche werden derart frappant, dass sich Herr Zurek einen Anwalt nimmt. Den Anwalt Feuchtenberger gibt Moritz Kienemann als jungen lockeren Intellektuellen. Die Nachforschungen und Gerichtsverhandlungen erzählt er Herrn Zurek – ein altbewährter Trick der Theatermacher, der seit der Antike funktioniert: Was nicht dargestellt werden kann, wird erzählt. Alle Anstrengung von Feuchtenberger und den Zureks reicht nicht aus. Am Ende wissen sie und weiß der Zuschauer nach wie vor nicht, was genau an diesem Tag im Bahnhof geschah, als Oliver Zurek starb.
Christoph Hein verarbeitete in seinem Roman „In seiner frühen Kindheit ein Garten“ das Geschehen um Wolfgang Grams. Der RAF-Terrorist wurde 1993 erschossen, die genauen Umstände bis heute nicht geklärt. Hein verwebt einen Familienkonflikt mit dem Aufbegehren gegenüber einem Staat, der anscheinend die Wahrheit verheimlicht. Das sind komplexe und sehr vergeistigte Themen, insbesondere die gerichtlichen Auseinandersetzungen. Durch das großartige Ensemble und ihr emotionales Spiel gerät der Abend nicht zu verkopft. Trotzdem verlangt er dem Zuschauer viel ab. Das liegt auch daran, dass es keine Pause gibt. Den Spannungsbogen mittendrin zu unterbrechen, hätte dem Stück Dynamik gekostet. Doch gut zwei Stunden über Politik und Gesellschaft sind keine leichte Unterhaltung.
Fazit: Friederike Heller hatte sich viel vorgenommen mit diesem Stück. Gelungen ist es ihr. Das sinnliche und großartig funktionale Bühnenbild von Sabine Kohlstedt hat einen guten Anteil daran, die Schauspieler sowieso. Trotzdem bleibt das Gefühl, nicht alles erfasst und nicht alles erzählt bekommen zu haben. Das kann so gewollt sein. Oder es liegt daran, dass ein dichter Roman von 270 Seiten zu einem solchen Thema nicht auf die Bühne passt. Vielleicht wäre eine Neuauflage von Heins Drama „Die Ritter der Tafelrunde“ die bessere Wahl gewesen?
Geschrieben von Katrin Mai
Quellen:
Staatsschauspiel Dresden, Seite zu In seiner frühen Kindheit ein Garten
Nachtkritik von Christian Rakow zu In seiner frühen Kindheit ein Garten