Fünf Fragen an Hannah Schwaiger & Ricarda Funnemann

Doreen Kaltenecker
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Interview: Im Gespräch mit den beiden Filmemacherinnnen Hannah Schwaiger und Ricarda Funnemann erfuhren wir mehr über ihren Dokumentar-Kurzfilm „Luca (m/w/d)“, der auf dem 62. DOK Leipzig seine Premiere feierte, wie sie mit Luca zusammen gekommen sind und warum ihnen das Thema ‘Gender Bender’ am Herzen liegt.

War zuerst die Idee da, einen Film über das Thema divers zu machen, oder habt ihr zuerst Luca getroffen? Wie habt ihr Luca, eure Hauptfigur kennengelernt?

Wir haben Luca bei einem Fotoshooting von Ricarda kennen gelernt. Ricarda hat Luca damals als Protagonisten ausgesucht aufgrund seines androgynen Aussehens. Ohne mit ihm über seine Einstellung vorher gesprochen zu haben, hat Ricarda ihn in einer Fotoserie inszeniert in der Luca eine Kombination von, im klassischen Sinne Männer- und Frauensachen, getragen hat. Aus heutiger Sicht so ein irrer Zufall, dass Ricarda Luca ausgerechnet zu diesem Thema inszeniert hat. Als wir drei uns dann näher kennengelernt haben, waren wir von seiner Einstellung und Sichtweise total fasziniert. Für uns gehörte seine Geschichte sowie seine Sichtweise, unbedingt erzählt. Wir wurden uns schnell darüber im Klaren, dass wir in jedem Fall eine Dokumentation über Luca drehen wollen.

Wie seid ihr beide für diesen Film zusammen gekommen und wie genau habt ihr in die Regisseurinnenrolle reingeteilt?

Luca Hennig

Wir haben beide im Jahr 2012 angefangen an der Fachhochschule Dortmund zu studieren. Ricarda im Fotografie-Bachelor und Hannah im Film-Bachelor. Wir haben im Vorhinein bereits einige Projekte zusammen verwirklicht. Dies ist unsere erste gemeinsam realisierte Dokumentation. Wir haben unsere geteilte Regisseurinnenrolle in dem Sinne verwirklicht, in dem wir viel theoretische im Vor- und Nachhinein besprochen und entschieden haben. Nach dem ersten Interview mit Luca, haben wir viel rumgesponnen und vorbereitet, sodass wir sehr genau wussten was wir drehen werden. Nach jedem Drehtag haben wir uns die Zeit genommen, genau nachzubereiten, zu schauen ob noch was fehlt und im gleichen Zug wieder an den nächsten Drehtag gedacht. Da liegt wahrscheinlich unser Geheimnis, wir kennen uns schon lange und schätzen die Andere sehr. Es gibt ein großes Vertrauen und der gemeinsame Wunsch dieses, für uns so wichtige, Thema zu erzählen. Außerdem keine Scheu davor, Dinge wieder und wieder zu besprechen und hin und her zu wälzen. Am Set selber passierte neben kleinen Absprachen, auch viel non-verbal. Da wir beide auch noch gemeinsam im Schneideraum saßen, ist die Arbeit wirklich zu jedem Zeitpunkt zusammen entstanden. Dank der großartigen Hilfe unseres Komponistens: Henric Schleiner, unseres Sound-Designers: Arno Augustin und unseres Color Graders: David Seul – ist der Film dann letztendlich zu dem geworden was er ist.

Wie weit war Luca in der Entwicklung des Kurzfilms integriert?

Luca hat im Grunde ständig dazu beigetragen, wie der Film am Ende aussehen würde. 

Je mehr er von sich Preis gegeben hat, umso mehr konnten wir über ihn erzählen. 

Luca Hennig

Auf der anderen Seite hat er sehr mit seinen Gefühlen und Stimmungen zu dem Film beigetragen. Je nach seiner Stimmung, kleidet Luca sich nämlich. Es gab ein Shooting-Tag an dem er in einem wunderschönen dunkelroten Samt-Kleid gekommen ist. Wir haben ihn im Vorhinein nicht darum gebeten. Viele Bilder von diesem Tag haben es in den Film geschafft, weil es so ein eindrucksvoller Moment war. 

Was war euch bei der Ausgestaltung wichtig?

Hannah Schwaiger und Ricarda Funnemann beim 62. DOK Leipzig

Wichtig war uns das wir eine gute Korrespondenz zwischen Foto und Film erwirken. Der springende Punkt war dabei das Sounddesign. Wir haben lange rumprobiert, wie man 25 Frames die Sekunde auf 1 Frame pro Sekunde runterbrechen kann, ohne dem Zuschauer das Gefühl zu geben, dass der Film hängt. Das Vertonen der Fotos mit passenden Foleys war die Idee unseres Sounddesigners Arno Augustin. Er hat im Grunde möglich gemacht, dass die Fotos nun flüssig im Sehfluss eingebettet sind und dieser detaillierte Blick der Fotos in Ruhe betrachtet werden kann. 

Ich mochte den raschen Schnitt – wie viel Material hattet ihr? War es schwer es auf sieben Minuten zu reduzieren?

Es war absolut schwer den Film so kurz zu lassen. Wir hätten am liebsten noch weiter gedreht, nicht nur weil Luca ein fantastischer Mensch ist und wie eine großartige Zeit am Set hatten, sondern weil wir zur Vertiefung des Themas einfach noch gern weitere prägnante Momente eingefangen hätten. Aber den Film aus Eigenmitteln zu finanzieren, neben eines Vollzeit-Studiums und eines Vollzeit-Jobs, ist nicht so leicht gewesen. Deswegen sind wir super glücklich zu diesem Ergebnis gekommen zu sein. 

Wie fand Luca den finalen Film?

Luca Hennig

Was Luca davon halten würde, hat uns natürlich stark beschäftigt und wir waren sehr aufgeregt bevor wir Luca den Film das erste Mal gezeigt haben. Wir haben den Film in einem kleinem privaten Team-Screening das erste Mal gezeigt und Luca war danach tatsächlich zu Tränen gerührt. Wir konnten uns danach alle drei in den Arm nehmen und uns darüber freuen, dass dieses Projekt geglückt ist. Wir glauben, wenn jemand in einem Film so aufmacht und darüber erzählt wie er bis hin zur physischen Gewalt angefeindet worden ist, ist es eine unvorstellbare Anspannung zu sehen, ob die Filmemacher dich richtig eingefangen haben. Luca hat sich sehr für uns geöffnet, hat über die schlimmsten Momente in seinem Leben gesprochen und zu sehen, dass der Film ihn derart berührt – war für uns natürlich auch eine große Erleichterung. 

Wie war es die Premiere eures Kurzfilms auf dem renommierten DOK Leipzig zu haben? Welche Reaktionen habt ihr danach mitbekommen?

Auf der DOK Leipzig unsere Premiere feiern zu dürfen, war für uns beide total riesig. 

Auch wenn Hannah schon mal mit ihren Filmen auf Filmfestivals gelaufen ist, war die DOK nochmal eine ganz neue, großartige Erfahrung. Und für Ricarda, die ihren Schwerpunkt primär auf Fotografie legt, war es total irre, dass ihr erstes Filmfestival eines der größten Dokumentar- und Animationsfestivals sein würde. Neben vielen großartigen Filmen laufen zu dürfen und mit bekannten Filmemachern zusammen, das war schon sehr beeindruckend. Auch wenn wir uns mit unserem selbst produzierten, freiem Projekt manchmal wie Underdogs gefühlt haben, waren wir vor allem stolz dabei zu sein. 

Wie geht es jetzt bei euch weiter? Habt ihr weitere Projekte zusammen geplant?

Seit wir an unserer Dokumentation „Luca (m / w / d)“ arbeiten, beschäftigen wir uns immer mehr mit dem Oberbegriff ‚Gender Bender‘ [Anm. d. Red.: Personen, die bewusst die gesellschaftliche Vorstellung von Geschlechtern überschreiten]. Die allgemeine Idee, Geschlechterrollen in Frage zu stellen und außer Kraft zu setzen, hat uns seitdem fasziniert. Nach Abschluss der Arbeit von „Luca (m / w / d)“ waren wir uns ziemlich sicher, dass dieser Film der Beginn einer Serie sein könnte.

In Luca haben wir einen jungen Schauspieler und Tänzer getroffen, der sich nie wie ein Mann oder eine Frau gefühlt hat. Luca fühlte sich immer wie ein ganzes Spektrum zwischen diesen Begriffen. Lucas Idee des Geschlechts hat uns wirklich inspiriert. Zu wissen, dass Luca aufgrund seines Aussehens unter Antipathie und sogar körperlicher Gewalt leiden musste, hat uns vor die Frage gestellt, wie sich andere Gender-Bender fühlen und fühlten. Am liebsten möchten wir eine Serie starten, in der wir andere Gender-Bender porträtieren und herausfinden, mit welchen Problemen sie zu kämpfen haben. Für diese Idee schwebt uns vor, Deutschland zu verlassen und uns in anderen europäischen Staaten umzuschauen.

Wir als Filmemacher möchten, dass dieses Thema in den Medien bleibt, weil wir davon überzeugt sind, dass niemand nach seinem Aussehen, seiner Überzeugung oder seiner Art zu lieben angefeindet werden sollte.

Die Fragen stellte Doreen Matthei

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Luca (m/w/d)

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