Fünf Fragen an Maria Lafi

Doreen Kaltenecker
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Interview: Im Gespräch mit der griechischen Filmemacherin Maria Lafi konnten wir mehr über ihren ersten Langfilm „Heiliger Knall“ erfahren, der auf dem 29. Filmfestival Cottbus lief: Wie wahre Ereignisse die Geschichte inspirierten, was ihr wichtig war bei der Umsetzung, vor allem in der Ästhetik der Stadt Athen selbst und wie es war live vor Ort zu drehen.

The original english language interview is also available.

Dein Film „Holy Boom“ verbindet geschickt viele Einzelgeschichten miteinander. Erzähl mir bitte mehr zur Entstehung des Drehbuchs.

Anastasia Rafaella Konidi und Samuel Akinola

Die ursprüngliche Idee war, mehrere Charaktere aus verschiedenen Kulturen, die in der gleichen Gegend leben zu kombinieren. Die Gegend, in der wir unsere Geschichte platziert haben, ist die, in der ich aufgewachsen bin und wo ich immer noch lebe. Diese Gegend verfällt mehr und mehr. Das Publikum kann kleine Wohnungen in den alten Gebäuden in engen, schmutzigen Straßen sehen. Der Raum, die Luft, welche die Helden atmen, ist begrenzt, und jeder geht am anderen vorbei, ohne ihn zu bemerken oder gar sich zu kümmern, obwohl sie alle das gleiche Ziel haben, irgendwie einen besseren Lebensstandard zu erreichen. Angefangen mit der Idee, dass eine Explosion in der ersten Szene mehrere Leben in der Gegend zerstören kann, haben wir weiter menschliche Geschichten aus den Ereignissen, die um uns herum passieren, geschrieben. Ich weiß nicht, ob sie von diesem tragischen Vorfall gehört haben, der sich am Palmsonntag 2010 in Athen ereignete. Ein 15-jähriger afghanischer Junge wurde von einer Bombe getötet, als er auf der Suche nach Essen im Müll war. Das war der Ausgangspunkt für mich, dieses Drehbuch zu schreiben.

Der fünfte Charakter deines Films ist die Stadt Athen selbst – was war Dir da in der Inszenierung wichtig?

Armando Dauti und Luli Bitri

„Holy Boom” will die Innenwelt der verborgenen Bürger in den ghetto-artigen Vierteln der europäischen Hauptstädte des 21 Jahrhunderts zeigen. Athen ist eine Stadt mit zwei verschiedenen Gesichtern: Eine touristische Metropole Westeuropas, aber gleichzeitig gibt es Gegenden, die so heruntergekommen sind, dass selbst die Bewohner es nicht wagen, nach neun Uhr abends nach draußen zu gehen. Diese Gegenden vereinen eine beängstigende Umgebung, die vielleicht menschenleer aussehen mag (geschlossene Fenster, verschlossene Türen, wenig öffentliches Licht), aber viele kleine Gangs betreiben hier Affentheater. In dieser Zeit ist dieses Viertel grauer und dekadenter denn je. In der Dunkelheit, beim Vorübergehen unserer Charaktere, sind schaurige Gestalten versteckt. Dies ist die Stadt, in der ich aufgewachsen bin und ich muss zeigen, wie das zivilisierte Europa mit alten Vierteln umgeht, indem sie sie verrotten lassen, um in der nahen Zukunft Profit zu machen, wo sie dann doch wieder sauber und wieder aufgebaut werden.

Du sprichst viele soziale und gesellschaftliche Probleme an – doch welche Botschaft liegt Dir vor allem am Herzen?

Ifigeneia Tzola und Spiros Ballesteros

Die Menschen sind immer gleich, egal woher sie kommen. Sie müssen gleich sein und dürfen nicht in falschen Entscheidungen gefangen sein, von denen sie glauben, dass sie sie treffen müssen, weil sie keine wirkliche Wahl haben. Sie sind in einem Leben gefangen, wo jeder Umstand sie in die Hölle bringen kann.

Kannst Du mir mehr zur Kameraarbeit erzählen – sie scheint stets eng bei den Protagonisten zu bleiben.

Nena Ment

Das war der Zweck. Das ist ein Charakterfilm. Der Kameramann, Ilias Adamis, verstand sofort meinen visuellen Ansatz. Wir haben in der Vergangenheit oft zusammengearbeitet und haben eine gemeinsame Sprache gefunden. Die Kamera war immer auf einen Gimbal [Anm. d. Red.: Kameraaufhängung, die die Kamera unabhängig von äußeren Bewegungen stabilisiert], stand also nie still. Es gibt immer eine kleine schwebende Bewegung, um zu zeigen, dass das Leben der Protagonisten nicht ruhig ist. Ich wollte ein Gefühl des Schwindels haben, das dem spiralförmigen Abstieg in die Sackgasse jedes Einzelnen zugrunde liegt.

Was war Dir bei der Ausgestaltung des Films noch wichtig? Es scheint alles vom Licht bis hin zu den Farben sehr authentisch zu sein.

Nena Menti und Luli Bitri

Dieser Film war irgendwie eine schwer zu gewinnende Wette. Wir waren nie sicher, ob wir es schaffen würden, den Film zu machen. Es gab nicht genug Geld, was bedeutet, dass wir nicht genug Zeit hatten. Wir waren verrückt genug, den Film in einer für Griechenland grausamen Zeit zu drehen. Zum Glück glaubten alle an diesen Film, von der Produzentin Lilette Botassi bis zum letzten Mitglied der Crew. Die Entscheidung, in der echten Nachbarschaft in der Nacht zu drehen, bedeutet, dass es eine Menge Sicherheitsprobleme gab. Es gab Leute, die auf die Transporter und die Ausrüstung aufpassen mussten, damit nichts gestohlen wird. Andererseits weiß ich nicht, wie die Bilder so realistisch ausgesehen hätten, wenn die Dreharbeiten in einer anderen, sicheren Gegend stattgefunden hätten. Außerdem musste das Hauptset an 4-5 verschiedenen, nahe beieinander liegenden Orten kombiniert werden. Es mag einfach erscheinen, drei Wohnungen in einem Gebäude und ein kleines Schneidergeschäft gegenüber dem Eingang des Hauptgebäudes in einer schmalen Straße zu haben, aber glauben Sie mir, das ist es nicht. Wie ich schon sagte, jeder hat Angst und öffnet seine Tür nicht so leicht. Die Beleuchtung und die Farben wirken authentisch, weil sie es sind. Wir haben das natürliche Stadtlicht zugunsten des Films genutzt. Außerdem mussten die Innenräume leerer Wohnungen in der Gegend, aber nicht im selben Gebäude, eingebaut werden. Frau Andromahi Arvaniti, unsere Setdesignerin, hat eine hervorragende Arbeit geleistet. Niemand kann sehen, dass sie die Innenräume vom Grund aufgebaut hat. Solche Details können darüber Auskunft geben, wie schwierig es war, diesen Film in nur 25 Tagen zu drehen.

Was war Dir bei der Musikuntermalung wichtig?

Luli Bitri und Vasso Kavalieratou

Die Musik war ein weiteres Element, das mir vor dem Schreiben des Drehbuchs durch den Kopf ging. Es gab diese Idee, die mir sehr gut gefiel, die kirchlichen Hymnen der Karwoche zu verwenden, einschließlich Gothic- und Rock-Elementen. Der Komponist Lakis Halkiopoulos schrieb schon sehr früh die ersten 2-3 Musikstücke und während wir das Drehbuch schrieben, hörten wir die Musik. Mir gefällt die Bemerkung, dass die Musik trotz der Heuchelei der Kirche Erfolg hat.

Dein Cast ist wunderbar und trägt die Geschichte. Wie hast Du Deine Darsteller gefunden?

Nena Menti und Anastasia Rafaella Konidi

Das Casting war eine weitere, lange und schwere Prozedur. Die Hälfte der Schauspieler sind nicht berufstätige Schauspieler. In Griechenland gibt es keine philippinischen oder afrikanischen Schauspieler, auch Iges Freund (Kostas Antalopoulos) nicht. Christos Karavevas, der Andreas spielt, war in der gleichen Schauspielschule, wie Samuel Akinola, der die Rolle des Manou spielt. Also suchten wir nach Amateuren, die sonntags in die philippinischen Kirchen gehen, um Leute zu finden, die für einen Film schauspielerisch interessant sein könnten. Nena Menti, die Thalia gespielt hat, ist in Griechenland sehr berühmt, wir hatten Glück, dass sie die Rolle angenommen hat, das Drehbuch hat ihr sehr gut gefallen. Luli Bitri kam aus Albanien, sie ist eine sehr berühmte Schauspielerin, die in mehreren europäischen Erfolgsfilmen gespielt hat. Den Jungen für die Rolle dea Ige zu finden, war schwierig. Wir haben viele Jugendliche gecastet, welche wir über Social Media Kanäle gefunden haben. Wir entschieden uns gleich nach dem ersten Blick für Spyros Balesteros. Wie ich schon sagte, ist dies ein Charakterfilm, so dass ich am Ende des Castings das Gefühl hatte, dass irgendwie die Hälfte des Films fertig war.

Kannst Du mir mehr von Dir erzählen? Wie hat Deine Liebe zum Film begonnen?

Ifigeneia Tzola und Spiros Ballesteros

Ich erinnere mich an mich selbst, als ich als Kind in der Dunkelheit eines Sommerkinos unter freiem Himmel meinen ersten Film mit meinem Vater sah und mich fragte, wie dieser Film entstanden ist. Ich war so fasziniert, dass meine Entscheidung gefallen war, was ich einmal werden will, wenn ich erwachsen bin. Dieser Film war „Zwei glorreiche Halunken“ von Sergio Leone und ich war so etwas wie 5-6 Jahre alt. Von diesem Abend an gingen wir zweimal die Woche zum Filmschauen. In den Freiluftkinos von Athen sah ich mit meinem Vater alle alten Hollywood-Filme, wenn sie da im Sommer gezeigt wurden.

Das war Dein erster Langfilm – wie war die Umstellung von kurz auf lang?

Schauspielerin Luli Bitri beim 29. FilmFestival Cottbus

Schwer! Die Drehzeit war außergewöhnlich. Ich liebe es, ans Set zu gehen und in einem kreativen Geist zu arbeiten, um ein neues Universum zu schaffen! Außerdem war ich sehr gut auf alles vorbereitet, was passieren könnte, und wie du weißt, passieren am Set immer schwierige Dinge. Außerdem war die schwierigste Zeit die Schnittphase. Es gab Momente, in denen ich so enttäuscht war, dass ich dachte, der Film sei eine Katastrophe. Es ist so schwierig, die Entscheidungen zu treffen, besonders in einem parallel erzählenden Film wie „Holy Boom“. Diese Zeit schien endlos zu sein. In einem Kurzfilm sind die Probleme ähnlich, aber begrenzt. Im Gegenteil, bei einem Spielfilm, bei dem die Finanzierung nicht ausreicht und der Zeitplan bedroht scheint, ist das Gefühl ein echter Druck.

Welche Projekte werden jetzt folgen?

Eine weitere schwierige Geschichte einer sehr interessanten Figur, die sich auf den Handel mit menschlichen Organen beschäftigt. Aber es ist zu früh, um darüber zu sprechen. Wir sind noch in der Phase der Drehbuchentwicklung, ohne einen Finanzierungsplan. Wir werden sehen.

Die Fragen stellte Doreen Matthei
Übersetzung von Michael Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Heiliger Knall


Interview: In our conversation with Greek filmmaker Maria Lafi we could learn more about her first feature film “Holy Boom“, which was shown at the 29th Cottbus Film Festival: How true events inspired the story, what was important to her in the realisation, especially in the aesthetics of the city of Athens itself and how it was to shoot on location.

Your film “Holy Boom” cleverly combines a lot of individual stories. Please tell me more about the development of the script.

The initial idea was to combine several characters from different cultures living in the same area. The neighbourhood that we placed our story is the one where I grew up and I’m still living. This area is getting downgraded more and more. The audience can see small apartments in the old buildings in narrow dirty streets. Space, the air that the heroes have to breathe, is limited, and each one passes by the other one without noticing him or even caring, although they all have the same goal, somehow to earn a better way of life. Starting from the idea that an explosion in the first scene can destroy several lives in the area, we proceed writing human stories from incidents that were happening around us. I don’t know I you are aware of this tragic incident that took place in Athens on Palm Sunday of 2010. A 15-year-old Afghan boy got killed by a stray bomb while he was looking for food in the garbage. That was a starting point for me to write this screenplay.

The fifth character of your film is the city of Athens itself – what was important to you in how you showed the city?

”Holy Boom’ aspires to make note of the internal world of the hidden citizens of ghetto-like neighbourhoods of European capitals in the 21st century. Athens is a two options city. A touristic Metropolis of West Europe but at the same time there are areas where they’re so downgraded that even the habitants don’t dare to walk outside after nine o’clock in the night. These areas combine a scary environment which it might look deserted (close windows, locked doors, low public light), but a lot of little gangs deal with monkey business.

During this period this neighbourhood is greyer and more decadent than ever. Scary figures are hidden in the darkness, at the passing of our characters. This is the city where I grew up and I need to show how civilized Europe treats old neighbourhoods by letting them rot in order to gain profit in the close future where they will come to clean and rebuilt after all.

You address many social and societal problems – but what message is most important to you?

People are the same no matter where they’re coming from. They must be equal and not trapped in false choices that they think they have, because they don’t have a real choice. They just have closed trapped lives where any circumstance can drag them to hell.

Can you tell me more about the camera work? It always seems to stay close to the protagonists.

That was the purpose. This is a character movie. The cinematographer, Ilias Adamis, understood immediately my visual approach. We’ve worked often in the past together and we have a common language. The camera was always operated on a gimbal so never stood still. There is always some floating small movement in order to show how the lives of the heroes are not steady. I wanted to have a sense of vertigo underlying the spiral descent of each one’s dead end.

What else was important in the creation of the film? Everything from the light to the colours seems to be very authentic.

This film was somehow a tough bet. We were never sure if we would manage to make the movie. There was not enough money which means not enough time. We were lunatic enough to start shooting the film in a cruel period for Greece. Luckily everyone believed in this film from the Producer Mrs. Lilette Botassi to the last member of the crew. The decision to shoot in the real neighbourhood during the night means that there were a lot of safety problems. There were people to watch the vans and the equipment in order not to be stolen.

On the other hand, I don’t know how the picture could look so realistic if the shooting were in a different more safe area. Also, the main set had to combine in 4-5 different close locations. It might seem easy to have three apartments in a building and a small tailor store across the street of the entrance of the main building in a narrow road but believe me it’s not. As I said before everyone is scared and he does not open his door easily.

The lighting and colours seem authentic because they are. We used the natural city light for the benefit of the film. Also, the interiors had to built-in empty apartments in the area but not in the same building. Mrs. Andromahi Arvaniti our set designer did an excellent job. Noone understands that she built the interiors from point zero. Such kind of details can inform you about how difficult was to shoot this film in just 25 days.

What was important to you in the score?

Music was another element that was in my mind before writing the script. There was this idea which I liked a lot to use the ecclesiastical hymns of Holy Week, including gothic and rock elements. The composer Mr. Lakis Halkiopoulos wrote the first 2-3 music tracks really early and while we were writing the screenplay we heard the music. I like the comment that

music succeeds in the church hypocrisy.

Your cast is wonderful and carries the story. How did you find your actors?

The casting was another long and hard procedure. Half of the actors are not professional. In Greece there are not Philippine or African Actors, also Ige’s friend Kostis. Andreas was in the Acting school, as Samuel Akinola who plays the part of Manou. So we were searching for amateurs going to Philippine Churches on Sundays, to find people that might interesting in acting to a movie. Nena Menti who played Thalia is very famous in Greece, we were lucky she accepted the role, she liked the screenplay a lot. Luli Bitri came from Albania she’s a greatly famous actress who played in several European successful films. To find the boy for the part of Ige was difficult. We cast a lot of teenagers we managed to find through social media. We chose Spyros Balesteros from the first sight. As I said before, this is a character movie so when casting finished I felt that somehow half of the film was done.

Can you tell me more about yourself? How did your love for film begin?

I remember myself as a kid in the darkness of an open-air summer cinema watching my first film with my dad, wondering how this movie was made. I was so fascinated that my decision about what am I going to be when I grow up was taken immediately. This film was “The Good, the Bad and the Ugly” by Sergio Leone and I was something like 5-6-year-old. From that night we were going twice a week to watch films. In Athenian open-air cinemas, I saw with my father all the old Hollywood movies since they were screened during the summers.

This was your first feature film – how was the change go from short to feature?

Hard! The shooting period was extraordinary. I love going to the set and working in a creative spirit of making a new universe! Also, I was very well prepared for anything it could happen, and as you know always tough things happen on a shooting set. Additionally, the most difficult period was the editing stage. There were moments that I was so disappointed thinking that the movie was a disaster. It is so difficult to take the decisions especially in a  parallel narrative film like “Holy Boom”. That period seemed endless. In a short film, the problems are similar but limited. On the contrary, a feature film where the funding is not enough and time schedule seems threatened the feeling is real pressure.

Which projects will follow now?

Another hard story of some very interesting character who gets involved in the trade of human organs. But it’s too early to speak about that. We’re still in the script development stage without any funding plan. We’ll see…

Questions asked by Doreen Matthei

Read on the german review of the shortfilm „Holy Boom“ 

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