Studium der Kunstgeschichte - Schwerpunkt: Filmgeschichte (Abschluss 2010 mit der Arbeit "Rembrandt im Spielfilm") Nebenfächer: Philosophie und Alte Geschichte
- seit 2012: Filmkritikerin bei movieworlds (Kino, DVD, BD, Festivalberichte)
- seit 2015: Blog 'Testkammer' online
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Filmkritik: Der fast vierstündige Dokumentarfilm „Herr Bachmann und seine Klasse“ (Deutschland, 2021) von Maria Speth, der auf der 71. Berlinale seine Premiere feierte, besticht mit einem Einblick in einen pädagogischen Führungsstil, der sich abseits vom leistungsorientierten Arbeiten komplett auf seine SchülerInnen konzentriert, und konnte damit den Silbernen Bären für den Preis der Jury gewinnen.
Dieter Bachmann unterrichtet seit vielen Jahren an der Georg-Büchner-Schule in Stadtallendorf (Hessen). Seine Klasse 6b besteht aus 12- bis 14-jährigen SchülerInnen, deren Familie oder auch sie selbst aus vielen verschiedenen Ländern kommen. Mit seinem pädagogischen Konzept, bei dem Leistung und Noten keine wesentliche Rolle spielen, geht er auf die SchülerInnen und ihr Selbst ein. Kein Thema ist ihm dabei zu sensibel und stets wird ein Gemeinschaftsgefühl aufgebaut. Mit viel Musik, einem stets offenen Ohr und vielen Diskussionen nähern sich der Lehrer und seine SchülerInnen einander an, die er so zu jungen Erwachsenen formt.
Über ein Jahr lang begleitete die Dokumentarfilmerin Maria Speth (*1967) die Arbeit des Gesamtschullehrers Dieter Bachmann. Dabei beschränkte sie sich auf reine Beobachtungen und so spricht niemand direkt mit ihr oder der Kamera, alle Dialoge finden unter den Portraitierten statt. Dabei schafft es Speth bald zum festen Inventar zu werden und so einen unverfälschten Eindruck von dem Unterricht und dem Miteinander von Lehrer und SchülerInnen zu bieten. Speth verlässt dabei selten den Kosmos des Klassenraums, so kommen auch kritische Stimmen von außerhalb (die sich auf die Lehrmethoden beziehen) kaum vor. In 217 Minuten hat man Zeit zu sehen, worauf Herr Bachmann Wert legt. Es ist klar, es ist nicht das bekannte deutsche Bildungssystem, was auf Noten, Tests und Einheitlichkeit fußt, sondern es geht ihm um ein Miteinander und die persönliche Entwicklung jedes Einzelnen. So lernen wir die SchülerInnen mitsamt ihrer Geschichten kennen, erleben kleine Veränderungen und wie am Ende des Jahres mehr Perspektiven für die jungen Menschen möglich erscheinen. So schließt man auch die SchülerInnen schnell ins Herz und der Film schafft es trotz seiner Länge nie zu langweilen. Man ist gerne an den kleinen Veränderungen und auch nur bei den Diskussionen über wichtige Themen wie der gesellschaftlichen Stellung der Frau, Gleichberechtigung und Rassismus dabei. So schuf Speth einen durch und durch gelungenen Dokumentarfilm, der zwar nicht spektakulär ist, aber zeigt, wie man im Kleinen vieles bewirken und auch, was der Ort Schule dazu beitragen kann. So kann man nur hoffen, dass sich junge LehrerInnen ein Beispiel an den nun in Rente gegangenen Herr Bachmann nehmen.
Fazit: Die Dokumentation „Herr Bachmann und seine Klasse“ wohnt dem Unterricht eines engagierten Lehrers über ein Jahr lang bei. Der Film von Maria Speth zeigt dabei wunderbar die Arbeit des Lehrers, wie man auch mit SchülerInnen umgehen kann, dabei Wert auf die persönliche Entwicklung legt und weniger auf das Erbringen von Leistungen. Trotz seiner Länge kommt hier nie Langeweile auf, die ZuschauerIn wird zum Teil der Klasse und wohnt mit viel Interesse allen Diskussionen und kleinen Veränderungen bei.
Bewertung: 8/10
Kinostart: 16. September 2021
Trailer zum Film „Herr Bachmann und seine Klasse“: