Zehn Fragen an Eline Gehring

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Interview: Im Gespräch mit der Filmemacherin Eline Gehring konnten wir mehr über ihren Spielfilm „Nico“ erfahren, der auf dem 42. Filmfestival Max Ophüls Preis seine Premiere feierte und die Hauptdarstellerin Sara Fazilat mit dem Preis für den ‚Besten Schauspielnachwuchs‘ ausgezeichnet wurde. Sie erzählt wie es zur Stoffentwicklung kam, wie wichtig Improvisation und Authentizität für die Umsetzung der Geschichte waren und wie wichtig ein Wandel in der Figurenzeichnung von Filmen ist. 

Kannst Du mir zum Ursprung Deiner Geschichte erzählen? Spielten auch wahre Begebenheiten bei der Entwicklung des Stoffes mit rein?

Sara Fazilat – die, die Hauptrolle in „Nico“ spielt, ist gleichzeitig auch die Produzentin des Films. Und weil wir im selben Jahr begonnen haben, an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin zu studieren, war uns früh klar, dass wir einen Film zusammen machen möchten. Sara waren sowohl improvisatorische Elemente wichtig, als auch das selbstverständliche Erzählen unterschiedlicher Frauenbilder – und zwar ohne zu erklären warum sie aussehen wie sie aussehen und welche eventuelle Herkunftsgeschichte sie haben. In unserer Zusammenarbeit war also schnell klar: Wir wollen mit Stereotypen brechen. In Deutschland erleben nicht-weiße Menschen Ablehnung und Gewalt.

Struktureller Rassismus geht mit der Privilegierung einzelner Gruppen oder Bevölkerungsteile einher. 

Ich wurde von Castingagent:innen in der Vergangenheit ganz explizit darauf aufmerksam gemacht, dass es sich um schwarze Schauspieler:innen handelt, die mir vorgeschlagen wurden. Haben Menschen nicht die gleichen Chancen, marginalisiert sie das. Es macht sie unsichtbar. Wie viele nicht-weiße Menschen sehen wir im Journalismus und vor der Kamera? Viel zu wenige! Dabei hat Deutschland mehr Gesichter und ist vielfältiger als das, was in der Film- und Fernsehlandschaft sichtbar ist. Dem wollten wir mit „Nico“ von Anfang an entgegen wirken. Einen Film machen, der so divers ist, wie unser Publikum und unsere Gesellschaft.

War Dir von Anfang an klar, dass fast ausschließlich Frauen im Zentrum Deines Films stehen sollen? 

Die Frage an sich veranschaulicht bereits, wie wenig selbstverständlich es nach wie vor ist ausschließlich Frauen im Zentrum eines Films zu sehen. Wie vielen Regisseuren wird diese Frage in Bezug auf ausschließlich oder sagen wir mal vorwiegend männliche Protagonisten in ihren Filmen gestellt? Sowohl Sara, Francy als auch ich haben mit dem Selbstverständnis geschrieben, dass die Welt die wir erzählen, eine weibliche ist. Daher bin ich eine Befürworterin der Initiative ‚Pro Quote Film‘, die dafür kämpft, dass Filmteams immer weiblicher und damit einhergehend auch die Geschichten diverser erzählt werden.

Wunderbar sind die lebensechten Figuren – Du stellst Frauen abseits aller Klischees dar und lieferst damit für mich Deine eigentliche Botschaft. Es fühlt sich wie eine kleine Kampfansage an die traditionellen Rollenmuster an.

Sara Fazilat

Allerdings! Die deutsche Film- und Fernsehlandschaft lässt meiner Meinung nach viel zu selten Mut zur Realität zu. Dabei – und da bin ich sicher – ist das Publikum bereit für Veränderung. Von den immer wiederkehrenden Stereotypen müssen die Zuschauerinnen und Zuschauer doch mindestens so gelangweilt sein wie ich. Wir erleben gerade einen Wandel – auch initiiert von Schauspielenden wie z.B. der ActOut-Kampagne, die sich für mehr Akzeptanz und Anerkennung von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgender, queeren, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen sowohl in der Gesellschaft als auch innerhalb der deutschsprachigen Film-, Fernseh- und Theaterbranche einsetzt. Und dafür braucht es Veränderung in der Abbildung von Fernsehen- und Filmfiguren. Und das heißt mehr Sichtbarkeit unserer Realität.

Wie wichtig war Dir Authentizität bei der Entwicklung des Stoffes? Hatten die DarstellerInnen Möglichkeiten zur Improvisation?

Authentizität war von Anfang an ein Hauptaugenmerk. Darum haben wir einige der Szenen ausschließlich dramaturgisch entwickelt und Dialoge häufig ausgelassen. Während des Drehs konnten sich dadurch ab und zu Redewendungen und Dialoge entwickeln, die ich mir auf diese Weise nie hätte ausdenken können. 

Authentizität war auch der Grund, weswegen ich so viel Spaß während des Schnitt-Prozesses hatte. Man verbringt ja eine Menge Zeit in der Edit Suite. Nicht immer denselben Satz in zehn verschiedenen Takes zu sehen, sondern die Qual der Wahl zu haben, ist äußerst befriedigend.

Auch die Ausgestaltung hat etwas sehr Reales – kannst Du mir mehr zu Deinem visuellen Konzept erzählen?

Eine Kamera, die sich zwar möglichst improvisatorisch dem Geschehen anpasst, aber dennoch cineastische Bilder herstellt, war mir immer sehr wichtig. Oft sind das Licht- und Kamera Department beim fiktionalen Filmset sehr präsent. Viele Stative, große Lampen, Monitore und diverse Assistent:innen werden vor den Schauspieler:innen aufgebaut. 

Das schafft zwar eine möglichst gut ausgeleuchtete Szene, kann aber die Intimität einer Szene auch einschränken.

Mir war nach einigen Testdrehs klar: Der Film braucht eine Kamera, die sich frei bewegen kann und ohne Assistenz auskommt. Ein kleines Team und wenig Technik war uns deswegen wichtig. Francy Fabritz, Mitautorin und Kamerafrau von „Nico“ hat sich dann ein Kamera- und Lichtsetup erarbeitet, womit sich das gewünschte Vorhaben tatsächlich realisieren ließ. Weil ich seit über zehn Jahren als Editorin mein Geld verdiene, konnte ich glücklicherweise relativ mühelos einschätzen, welche Einstellung wir wann im Kasten hatten um zur nächsten zu wandern.

Dein Casting ist großartig – kannst Du mir mehr zur Wahl der Hauptdarstellerinnen erzählen?

Sara Fazilat

Dass Sara die Hauptrolle spielt, lag von Anfang an auf der Hand. Aber jede:r Schauspieler:in, braucht ein passendes Gegenspiel um sich maximal entfalten zu können. 

Sara Fazilat hatte Javeh Asefdjah (Rolle: Rosa)  in ihrem allerersten Film besetzt. Uns allen war klar, was für eine großartige Schauspielerin Javeh ist und wir haben uns sehr gefreut sie für die Rolle zu gewinnen. Nach einigen Castings und Testdrehs, fiel die Entscheidung für die Rolle der Ronny auf Sara Klimoska. Sara Fazilat ‚entdeckte‘ sie bei den Berlinale Talents 2019. Ich erinnere mich bis heute sehr genau an das Casting. Dieser Moment in dem alle wissen: Das ist sie! Das passt!

Aber auch der Nebencast begeistert und trägt viel zur Wirkung des Films bei. Gerade die pflegebedürftige Personen und auch der Trainer wirken äußerst authentisch – ich vermute, dass Du da mit Laien zusammengearbeitet hast?

Das ist richtig. Andreas Marquardt (Rolle: Andy) ist der Leiter einer Karateschule in Berlin-Neukölln. Da von Anfang an klar war, dass Kampfsport einen Teil unseres Films einnehmen wird, war es Sara sehr wichtig auch wirklich Karate zu lernen. Auf der Suche nach Studios ist sie auf Andreas Marquardt gestoßen. Schnell war uns allen klar, dass er perfekt für die Rolle ist, denn wir kannten bereits sein Buch „Härte“ und dessen gleichnamigen Verfilmung durch Rosa von Praunheim.

Sara hat Monate vor Drehstart begonnen, Karate bei ihm zu trainieren und auch wirklich die Gurte-Prüfungen gemacht. Als ich Andreas endlich kennen lernte, hat mich seine Präsenz umgehauen. 

Brigitte (Rolle: Brigitte) habe ich während der Produktion meines Kurzfilm „Holly“ kennen gelernt. Als ich merkte, wie unbefangen sie vor der Kamera bleibt und mit wieviel Herzblut sie sich auf uns einlässt, war sofort klar, dass sie eine größere Rolle in „Nico“ spielen wird.

Wie wird es mit Deinem Film „Nico“ nach seiner Premiere auf dem MOP 2021 weitergehen?

Ich freue mich sehr, dass „Nico“ in die Kinos kommt, sobald die Pforten wieder öffnen. Wir haben einen tollen Verleih gefunden, der uns und den Film gebührend vertreten wird. Bis dahin darf der Film auf einige tolle Festivals die Welt bereisen und ich hoffe, wir als Filmteam dürfen mit. 

Kannst Du am Schluss noch ein bisschen mehr von Dir erzählen und wie es Dich zum Film verschlagen hat?

Sara Fazilat

Absolutes Klischee: Als ich 12 wurde, habe ich eine Filmkamera geschenkt bekommen und seitdem alles mögliche aufgezeichnet und mit dem zugehörigen analogen Schnittgerät, geschnitten. Nach dem Abi war also klar: Ich muss zum Film! Völlig naiv habe ich mein erstes Auto vollgepackt und bin gen Osten gereist. Da gab’s ja schließlich dieses ‚Babelsberg-Ding‘. 

Mit der Realität konfrontiert, hab ich dann aber erstmal eine Ausbildung im Bereich Mediengestaltung gemacht um möglichst viel Erfahrung an diversen Kameras und mit den unterschiedlichsten Schnittprogrammen zu machen. In den Jahren danach bin ich zwar mit meinem Beruf um die Welt gereist, habe aber den künstlerischen Aspekt sehr vermisst. Aus Kapstadt habe ich dann meine Bewerbung an Deutschlands Film Unis geschickt und mich ein paar Wochen später in den Flieger gesetzt. 

Sind bereits neue Projekte geplant?

Seit letztem Jahr schreibe ich das Drehbuch zu meinem Abschlussfilm und setze mich gerade mit dessen Finanzierung auseinander. 

Die Fragen stellte Doreen Matthei

Lies auch die Rezension des Spielfilms „Nico

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