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Wie ist die Geschichte über die Lehrerin Helen Koch und ihrer Schülerin entstanden?
Die Figur Helen Koch kam schon einmal in einer Kurzgeschichte vor, die ich vor längerer Zeit geschrieben hatte. Auch der Konflikt mit der Schülerin, dieses Ringen um die Deutungshoheit in einer Aussage-gegen-Aussage-Situation war darin schon angelegt. Die formalen Experimente, die der Film unternimmt spiegeln mein Nachdenken über das Medium Film ganz allgemein wider, auch über die Frage, was ein Kurzfilm überhaupt leisten soll, was man damit erreichen möchte. Meine vorläufige Antwort darauf war, dass es mich nicht so sehr interessiert eine möglichst runde und pointenreiche Geschichte zu erzählen, sondern die kurze Form als Laboratorium zu verwenden, um filmsprachliche Möglichkeiten zu erforschen.
Ich wollte, dass diese zutiefst einsamen Figuren sich in einer Emanzipationsbewegung aus ihrer Isolation und Verbautheit befreien, aber nicht nur in einem figurenpsychologischen Sinne, nicht nur innerhalb der Logik der filmischen Welt. Die Ermächtigungsphantasie die hier probiert wird, geht so weit, dass die Figuren den Rahmen des Filmes komplett verlassen, sich mittendrin zu Figuren eines anderen Filmgenres transformieren, als hätten sie beschlossen, dass die Erzählung in der sie da vorkommen ihnen nicht gefällt, weder inhaltlich noch formal.
Die traditionell männlich konnotierte Bilderwelten der Gewalt, in die der Film dann hineineskaliert, werden von den zwei seltsamen Frauenfiguren durchkreuzt, zerschnitten, der Lächerlichkeit preisgegeben und dann zu etwas Neuem zusammengesetzt.
Wie kam es zu diesem wunderbaren Titel?
Was lag Dir visuell am Herzen?
Die Idee war, zwei Figuren zu erschaffen, die sich aus einer sehr sozialrealistischen, deutschen, trüben Welt heraus emanzipieren und sich in zunehmend stilisierte, schillernde, spektakuläre Filmbilder hinein imaginieren. Die Reise geht gewissermaßen von deutschem Arthaus a lá Berliner Schule in Richtung Hollywood-Spektakel um das filmische schließlich komplett hinter sich zu lassen und im Virtuellen zu Enden. Unsere Prämisse für die Bildgestaltung der ersten Hälfte des Filmes war, dass sich die Kamera möglichst wie eine Dokumentarfilmkamera verhält, also nicht wissend vorhersieht, sondern überrascht reagiert. Wir haben fast ausschließlich mit dem verfügbaren Licht gearbeitet und hatten außer einer Akku-LED-Leuchte kein zusätzliches Licht. Im ersten Teil des Filmes unterstützt das die dokumentarische Ästhetik des Filmes und hat außerdem den SchauspielerInnen maximale Freiheit beim Spielen gegeben, auch weil wir kaum Zeit mit Leuchten verloren haben. Für die späteren nächtlichen Szenen haben Kameramann Hannes Schulze und ich im Vorhinein viel Zeit mit der Suche nach den richtigen Locations verbracht und Motive gefunden, die von sich aus schon tolle, stimmungsvolle Lichtsituationen hatten.
Erzähl mir bitte mehr zum Casting.
Könntest Du Dir vorstellen, die Geschichte der beiden weiter auszuweiten und in einem weiteren Film zu erzählen?
Ich musste mich ziemlich disziplinieren, den Stoff von Helen Koch auf Kurzfilmlänge einzukürzen. Es hatte deutlich mehr Szenen gegeben, aus denen ich dann versucht habe, den Kern der Erzählung heraus zu destillieren. Wenn ich mir jetzt den Film anschaue, finde ich aber, dass er ruhig noch ein bisschen länger hätte werden können, noch ein, zwei zusätzliche Szenen vertragen hätte. Vielleicht finde ich die beiden Figuren und deren seltsame Beziehung sogar vielschichtig und eckig genug für einen langen Film, aber momentan ist noch nichts dergleichen geplant.
Kannst Du mir am Schluss noch ein bisschen mehr von Dir erzählen und wie Du zum Film gekommen bist?
Ich bin eigentlich mehr über Theater als über Film sozialisiert. Als Schüler und Student habe ich immer Theater gespielt und sehr viel angeschaut, zunächst in der Schule später in den Jugendclubs von den Kammerspielen München. Dann habe ich aber beschlossen, etwas ganz anderes zu machen und Psychologie studiert, später einen Master in Neurowissenschaften gemacht. Als ich Mitte zwanzig und mit dem Studium fertig war, war ich ziemlich ratlos. Psychologie fand ich zunehmend verdächtig und fragwürdig und die durchökonomisierte akademische Welt hat mich abgetörnt. Also bin ich nach Berlin gezogen, war dort ziemlich lost und hab eine zeitlang als Psychologe bzw. Sozialpädagoge in einem Schulprojekt mit Jugendlichen gearbeitet, die vom Jugendamt als unbeschulbar gelabelt worden waren. Obwohl ich diese Jugendlichen und die Institution gern mochte, hab ich mich ziemlich fremd in meiner professionellen Rolle als Pädagoge/Psychologe gefühlt, vielleicht ein bisschen ähnlich wie die Protagonistin des Filmes, Helen Koch. In dieser Krise hab ich mich an das Theatermachen erinnert und überlegt, ob wohl Film etwas für mich sein könnte und hatte dann das große Glück mit einem Editor bekannt gemacht zu werden, bei dem ich dann eine Weile assistieren durfte. So bin ich zum Schnitt gekommen. Dann hab ich eine Weile alles Mögliche geschnitten – Werbung, Musikvideos, irgendwann dann Kurzfilme dann zwei Langfilme und schließlich hab ich mich an der dffb für Montage beworben. Dort ist das erste Studienjahr sehr generalistisch angelegt, d.h. jeder macht einmal alles und am Ende des Jahres schreibt und inszeniert man einen eigenen Film. Dabei habe ich Blut geleckt und wollte mich gerne weiter als Regisseur ausprobieren.
Sind bereits neue Projekte geplant?
Ja, ich möchte im Sommer/Herbst wieder etwas drehen. Wahrscheinlich wird es wieder ein Kurzfilm. Auch an einer Hörspielidee arbeite ich.
Die Fragen stellte Doreen Matthei
Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Warum begeht Helen Koch schweren Kraftwagendiebstahl?“