Elf Fragen an Eléna Weiß

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Interview: Im Gespräch mit der Regisseurin Eléna Weiß konnten wir mehr über ihren Kurzfilm „Kippenschnippen“ erfahren, der auf dem 43. Filmfestival Max Ophüls Preis seine Premiere feierte, wie sie zu der Geschichte der Autorin Julia Dorit Mergel fand, welche Ideen für die Umsetzung sie mit ihr teilte und wie sie innerhalb kürzester Zeit das Projekt trotz schwieriger Locations-Suche und Corona umsetzte. 

Wie bist Du zu der Coming-of-Age-Geschichte „Kippenschnippen und der Zusammenarbeit mit der Autorin Julia Dorit Mergel gekommen?

Die Geschichte stammt tatsächlich komplett aus Julia Dorit Mergels Feder. Die Drehbuch-AutorInnen schreiben an unserer Hochschule je zwei Drehbücher und dann suchen wir, die Regie-Studierenden, uns die Bücher aus, die uns interessieren. Und da war für mich ziemlich schnell „Kippenschnippen“ mein Favorit. Wir haben dann auch schnell eine gemeinsame Sprache als Team gefunden, hatten die gleichen Bilder im Kopf, um so dann zusammen die gemeinsame Vision Julias umsetzen zu können. 

Ich kann auch kurz umreißen, was Julia zu dieser Geschichte inspiriert hat. Es ging ihr in dieser Coming-of-Age-Geschichte um das Gefühl, nicht verstanden zu werden und nicht richtig reinzupassen und den Umgang damit. Das äußert sich auch in Form der Freundschaft mit dem Obdachlosen Nikolas und der Orientierungslosigkeit, in der Carina sich befindet. Es geht um einen Ausbruch aus einem ihr feindlich gegenüberstehendem Umfeld und um Emanzipation.

Welche Themen kamen von Deiner Seite noch hinzu?

Wir waren uns in den Kernthemen relativ einig. Für mich kamen natürlich, weil ich ein anderer Mensch bin, nochmal andere Teilaspekte dazu. Was für mich an diesem Buch so stark war, war diese totale Ambivalenz von Carina zwischen einer unglaublichen Sensibilität und emotionalen Intelligenz auf der einen Seite und ihrer großen Kraft auf der anderen Seite. Zudem ist bei ihr eine Sehnsucht danach vorhanden, verstanden zu werden, sich selbst zu finden, eine Sehnsucht nach einer Ehrlichkeit mit sich selber und danach, sich als die Person auszudrücken, die sie ist. Gleichzeitig will sie dem sehr feindseligen Umfeld, der Ablehnung und Begrenzung durch ihr Umfeld entfliehen, die als junge Frau ständig begegnen. Durch die Besetzung mit Marie Rosie Merz als schwarzer Schauspielerin kamen für die Rolle zusätzlich noch ganz andere Gesichtspunkte hinzu. Als schwarze junge Frau finden Begrenzung und Diskriminierung, der man ausgesetzt ist, noch einmal auf einer ganz anderen Ebene statt. Aber sie will und kann diese Grenzen nicht akzeptieren. Dieser Schmerz mobilisiert enorme Kräfte. Das reizte mich so: Einmal diese Kraft, um diesen Kampf zu zeigen, und gleichzeitig diesem Schmerz Ausdruck zu verleihen. Ich wollte aber auch, dass ein Art von Freude in dem Film steckt, weg einer rein leidvollen Opferperspektive. Ihr Widerstandswille und die Art, wie sie ihren Platz beansprucht, sollten Spaß machen. Eben mal nicht ausschließlich zu problematisieren, sondern auch die Lust am Widerstand spürbar machen.

Zudem fand ich die Freundschaft zu Nikolas total spannend. Beide haben sie keinen Platz im System und finden zueinander. Nikolas ist selbst am Rand der Gesellschaft gedrängt und lebt inmitten von deren Müll, aus dem er sich Dinge baut, ein neues zuhause schafft. Das schafft quasi eine Analogie dazu, dass die Gesellschaft ihn abgesondert, ausgestoßen hat, als sei er ihr Abfallprodukt. Zwei Außenseiter*innen finden zueinander, ohne dass der Grund dafür, dass sie Außenseiter*innen sind, in dieser Freundschaft irgendeine Relevanz für die beiden hätte.

Erzähl mir bitte mehr zum Castingprozess!

Ich hatte für die Figuren quasi ein bestimmtes Gefühl. Ich wusste, was sie mitbringen sollten. Für Carina war es mir wichtig, dass sie eine Kraft und gleichzeitig eine Sensibilität und Intelligenz mitbringt und auch einen gewissen Humor Das waren für mich die entscheidenden Kriterien. Ich wollte auch gerne eine Person of Colour besetzen, da ich finde, dass es zu unserem Auftrag als Filmschaffende gehört, mehr Diversität in die Film- und Medienlandschaft zu bringen. So hatte ich das auch bei der Casting-Beschreibung mit reingeschrieben, aber es war nicht in der Rolle so festgelegt. Dank des Casters Patrick Dreikauss sind wir auf Marie Rosie Merz aufmerksam geworden. Nach dem Casting via Zoom war sofort klar, dass sie unsere Carina ist. Die Zusammenarbeit mir ihr hat viel Spaß gemacht und sie hat es dann auch wirklich toll gespielt. 

Für die Besetzung von Denise haben wir uns ganz viele Nachwuchstalente aus Agenturen und Schultheater-Gruppen angesehen und viele Konstellation-Castings mit Improvisation angesetzt. Von Lea Schmidt waren wir schon am Anfang ziemlich begeistert. Sie hatte zwar noch gar keine Erfahrung vor der Kamera, aber brachte alles mit, was ich mir für die Figur vorstellte: Diese Rotzigkeit, diese Frechheit, das Kraftvolle und den Humor. Das hat sie einfach so drauf gehabt und es hat total Spaß gemacht, ihr beim Spielen, beim Improvisieren zuzuschauen. Als sie und Marie sich dann kennengelernt haben, hat das gleich gepasst und sie haben sich super verstanden.

Sebastian Jakob Doppelbauer haben wir auch per Zoom gecastet und von ihm war ich auch sofort begeistert, weil er sowohl etwas sehr Warmes, Offenes und Sanftes an sich hat, aber gleichzeitig auch eine gewisse Schlagfertigkeit und etwas Schelmisches hat. Das war die perfekte Mischung für die Rolle des Nikolas. Ihn haben wir auch über eine Casting-Plattform über seine Agentur gefunden und am Ende stimmte auch die Chemie mit Marie.

Durften Sie im Film auch improvisieren oder war der Dialog komplett vorgezeichnet?

Nikita Meyer

Teils, teils. Es gab ein fertiges Drehbuch, aber ich habe den SchauspielerInnen immer gesagt dass sie schauen sollen, wie es sich entwickelt und sie sich gegenseitig zuspielen, voneinander abnehmen sollen. Und einige Momente sind tatsächlich improvisiert. So zum Beispiel die Streitszene zwischen Carina, Denise und dem Vater am Kiosk. Durch ihre eigenen Sätze bekam die Szene mehr Fallhöhe und Wucht. Sie sollten sich gegenseitig ins Wort fallen und schauen, was da zwischen ihnen entsteht. 

Was war Dir bei der visuellen Ausgestaltung wichtig? Verfolgtes Du hier auch einen realitätsnahen Ansatz?

Das Credo für den Film war, dass wir die ganze Zeit an Carinas Seite sind. Wir wollten die ganze Geschichte mit ihr miterleben, sprich ihr nie von der Seite rücken. Aus diesem Grund haben wir uns für eine bewegte Kamera entschieden, die immer nah dran ist. Es war total wichtig, dass wir aus der Hand schießen, dass es quasi nichts Stilisiertes, nichts Künstliches hat, sondern dass immer die Figuren im Vordergrund stehen. Die Bildsprache ordnet sich den Figuren quasi unter, dient den Figuren, hebt sie an und nicht andersherum.

Wie habt ihr eure Locations gefunden? Habt ihr euch vorher umgeschaut? Oder hattest du beim Drehbuchlesen bereits Orte im Kopf?

Nikita Meyer

Ich hatte nur im Kopf, was die Orte transportieren und welches Gefühl sie vermitteln sollten. Und das war gar nicht so einfach, denn gerade an dem Ort, wo Nikolas lebt, hing so viel Symbolik dran. Mir war wichtig, dass es einerseits ein Ort ist, der irgendwie verloren wirkt, auf eine Art und Weise am Rande der Gesellschaft. Dass man spürt, dass Nikolas nicht inmitten der Gesellschaft steht, sondern an einem Ort lebt, der verloren gegangen zu sein scheint. Aber gleichzeitig sollte dieser Platz nicht zu beengt sein. So war es mir wichtig, dass es nicht einfach ein schmutziger Ort unter einer grauen Brücke ist, der nichts hat, was Carina anziehen würde. Sondern ein Platz zum Freisein und Atmen und Ruhe finden. Solche Gedanken haben die Suche dann nicht leichter gemacht. Wir, mein Kameramann und ich, sind dann einfach mit den Fahrrädern viele Tage durch Hamburg gefahren. So wurden wir lange nicht fündig oder bekamen Absagen, dort drehen zu dürfen. Es wurde dann auch immer knapper die Zeit, die richtige Location zu finden, aber glücklicherweise ist es uns dann doch noch gelungen.

Wie viel Zeit hattet ihr zur Umsetzung? 

In unserem Studium ist die Zeit für so ein Projekt knapp, absurd knapp, bemessen. Das Buch hatten wir zweieinhalb Monate vor Drehbeginn gelesen. Erst sechs Wochen vor Drehbeginn hatten wir dann seminarfrei und konnten uns auf den Dreh vorbereiten. Im Oktober 2021 haben wir dann gedreht und im Dezember war er dann auch schon mit Postproduktion und allem fertig. Es ging schon alles sehr, sehr, sehr schnell.

Wie war es unter Corona-Bedingungen zu drehen? Hattet ihr starke Einschränkungen, unter denen ihr gelitten habt? 

Nikita Meyer

Es war schon okay, obwohl die Auflagen schon strikt sind und natürlich viele Vorgänge verkompliziert. So waren PCR-Tests für die Kern-Crew und den Cast notwendig, zudem jeden Tag Schnelltests. Das ist zeit- und kostenaufwendig. Hinzu kam der logistische Aufwand und man brauchte einen Hygienebeauftragten, der für den Dreh geschult wurde. Auch das Catering musste sich der Situation anpassen. Natürlich ist das alles richtig so und wir hatten auch glücklicherweise keine Corona-Fälle, so dass wir am Ende einfach nur dankbar waren, dass alles so gut funktioniert hat.

Nach welchen Kriterien habt ihr die Musik ausgewählt?

Mir war es wichtig, mit einer weiblichen jungen Hip-Hop Künstlerin zusammenzuarbeiten, weil das meiner Meinung nach das Innenleben von Carina am besten beschreibt. Dieser Kampf, diese Art von Auflehnung, dieses nicht mehr akzeptieren wollen, dass man begrenzt wird. Sie kämpft den Kampf gegen das bestehende System und die ihr zugewiesene Rolle. Deswegen wollte ich weiblichen feministischen Hip-Hop, der sinngemäß sagt: „In dieser patriarchalen Welt habe ich keine Lust mehr, einen Platz einzunehmen, von dem weiße alte Männer mir sagen, dass das mein Platz ist.“

Als wir auf Lena Stöhrfaktor gestoßen sind, waren wir sofort von ihrer Musik begeistert. Die Kraft und gleichzeitig die Melodik, der Schmerz, der da transportiert wird. Carinas Feinfühligkeit und der Trotz, der Widerstand, die wir transportieren wollten, spiegelten sich darin wider. Im Gespräch mit Lena bekamen wir die Erlaubnis, alle Songs zu verwenden, die wir wollten, das war total toll und wir sind ihr echt sehr dankbar dafür.

Kannst Du mir am Schluss noch ein bisschen mehr von Dir erzählen und wie Du zum Film gekommen bist?

Ich habe eine Schauspielausbildung gemacht und viel auf der Bühne gestanden, im Fernsehen gespielt und war Synchronsprecherin. Ich habe dann recht zeitnah selbst angefangen zu inszenieren und fand es total toll, meine eigenen Visionen umzusetzen und habe die Arbeit mit den Schauspieler*innen sehr genossen und den Vorgang, mir eine eigene visuelle Welt auszudenken. Ich habe dann erstmal fürs Theater inszeniert und zusammen mit einer Freundin eine feministische Performance umgesetzt. Dadurch wurde mir bewusst, dass mich diese Arbeit mehr erfüllt und ich mich so auf mehrere Ebenen ausdrücken kann. Außerdem kommt noch die Zusammenarbeit mit einem Team dazu, was sich um diese Idee gruppiert. Alle tun das ihre dazu und es wächst, greift ineinander und nimmt langsam Gestalt an. Dieser Prozess ist einfach total schön, inspirierend und beglückend. Ich wollte dann eigentlich Material bei einer Drehbuchwerkstatt einreichen, habe mich dann aber in einem relativ spontanen Prozess dazu entschieden, mich an der Hamburg Media School zu bewerben, um Regie zu studieren. Das ging irgendwie alles sehr schnell, ich habe dann innerhalb von einer Woche meinen Bewerbungsfilm auf die Beine gestellt und wurde angenommen. Und jetzt studiere ich Filmregie.

Sind bereits neue Projekte geplant?

Wir bereiten schon den Abschlussfilm vor. Es wird ein 20-Minüter mit dem Arbeitstitel „Haut“. Darin geht es um ein junges Paar, beide mit körperlichen Behinderungen. Sie beschließen, ihre Beziehung auch auf einer sexuellen Ebene ausleben zu wollen. Aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen können sie ihre Sexualität nicht ganz eigenständig ausleben und suchen einen Weg, wie sie zusammen Intimität und körperliche Nähe erleben können. Es geht auch um die Frage, ob Sexualbegleitung eine Option für sie ist und ihre Suche nach einer geeigneten Person. Am Ende finden sie dann auch eine Antwort. Matthias Pöltinger wird auch wieder die Kamera machen.

Die Fragen stellte Doreen Matthei

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Kippenschnippen

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