Zehn Fragen an Astrid Menzel

Doreen Kaltenecker
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Interview: Im Gespräch mit der deutschen Filmemacherin Astrid Menzel konnten wir mehr über ihren Dokumentarfilm „Blauer Himmel Weiße Wolken“, der seine Premiere auf dem 65. DOK Leipzig 2022 feierte und nun am 25. Mai 2023 in die Kinos kommt, erfahren. Sie erzählt im Interview von dem langen Entstehungsprozess, wie sich das Projekt im Laufe der Jahre verändert hat, wie schwierig es war, das Material zusammenzuschneiden und warum es unerlässlich war, selbst ein Bestandteil des Films zu sein.

Als Portrait über Deinen Opa begann das Projekt bereits vor einigen Jahren und entwickelt sich zu Deinem ersten langen Dokumentarfilm. Kannst Du mir mehr dazu erzählen, wie der Film entstanden ist und wie Du ihn gestemmt hast?

Alles fing damit an, dass ich während meines Filmstudiums in den Sommerferien nach Hause flog und für ein paar Wochen bei meinen Großeltern blieb. Ich habe damals in Portugal studiert und die Sommer werden da unglaublich heiß. Also, bin ich im August lieber nach Hause geflogen. Und habe, glaube ich, auch damit angefangen, weil mein Großvater zu der Zeit gerade wieder aus dem Krankenhaus kam. Meine Mutter war sehr aufgebracht und meinte, ich solle sofort nach Hause kommen, wenn ich mich noch von Opa verabschieden möchte. Und ich weiß noch, wie ich dann am Flughafen saß und nur daran denken konnte, dass ich eventuell zu spät komme. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch keinen mir nahestehenden Menschen verloren. Zum Glück erholte Opa sich dann ja auch erstmal wieder. Und dann habe ich nach einem Weg gesucht, wie ich für ihn da sein kann. Und habe begonnen ihm sehr viel zuzuhören. Irgendwann beschloss ich, das auch mit der Kamera zu tun, und wir haben dann jeden Tag ein bisschen aufgenommen, also seine Lebensgeschichte, da war auch viel Berufliches dabei, weil er sehr stolz darauf war, was er alles geleistet hat. Parallel dazu habe ich versucht mich auf seinen Tod vorzubereiten. Wie kann man jemandem beistehen, der nicht mehr lange zu leben hat? Und was wird passieren, wenn er nicht mehr da ist? Aus der Zeit stammen auch die Interviews mit meinen Großeltern zu der Frage, ob sie an ein Leben nach dem Tod glauben und ob sie alles was ihnen wichtig war, auch erreicht haben. Als mein Großvater dann tatsächlich verstarb, fiel ich in ein tiefes Loch. Ich wusste nicht, wie ich mit der neuen Situation umgehen sollte. Ich habe also über viele Jahre versucht etwas zu verstehen und dabei immer wieder auch gefilmt.

Im Schnitt ging es dann darum, das Material zu sichten, auszusortieren, erste Szenen zu bauen und Zusammenhänge zu erkennen. Dann haben wir Kausalketten gebastelt und als letzten Schritt mit einigen gezielten Voice-Over-Sätzen den Erzählstrang abgerundet. Der wohl größte Schritt für mich war, anzuerkennen, dass es in diesem Film um mich geht, mehr als um meine Großeltern, die ich die ganze Zeit filmte. Und einen Weg zu finden, die Zuschauer an die Hand zu nehmen, ohne mich zu sehr in den Vordergrund zu drängen. Als der Schritt getan war, eröffneten sich mir unglaubliche Möglichkeiten. Es ging endlich nicht mehr nur noch darum zu versuchen, mit dem vorhandenen Filmmaterial etwas erkennbar zu machen, sondern auch darum, meinen emotionalen Prozess als roten Faden nutzen zu können. 

Wie war es, selbst Teil der Geschichte zu sein?

Ja, wie war das? Man könnte sagen, dass es in der Umsetzung sicher ein Balanceakt war, weil man ständig zwischen Filmemacherin und Enkelin, zwischen verstehen wollen und helfen, hin und her springt. Da ich aber angefangen habe zu filmen, viel mehr mit dem Drang etwas festhalten zu wollen, als zu wissen, was ich einmal mit dem Filmmaterial machen würde, kam der Druck erst später. Im Schnitt zu sitzen und zu sagen, ich mache da jetzt meinen ersten Kinofilm daraus, war immer wieder eine Gratwanderung. Zum Glück hatte ich ein tolles Team um mich, dass mir geholfen hat mich zu fokussieren ohne mich dadurch in meinen kreativen Freiheiten einzuschränken. 

Über welchen Zeitraum ist der Film entstanden?

Hendric, Carmen und Astrid

Der Film ist über einen Zeitraum von ca. 12 Jahren entstanden. Ich begann, meine Großeltern zu filmen, als ich noch in meinem Filmstudium war, und die letzten Aufnahmen habe ich noch ca. 2 Jahre vor Fertigstellung des Filmes gemacht, also 2020. Landschaftsaufnahmen der Reise zum Beispiel, aber auch noch weiteres Material mit meiner Großmutter, was am Ende für den Film gar nicht mehr nötig war. Zu lernen, wann ich genug gedreht hatte und aufhören konnte, die Kamera, das Stativ und das Mikrofon überall mit hin zu schleppen, war da gar nicht so leicht. Heute filme ich die Familie nicht mehr und genieße es, nach Hause zu kommen, ohne den analytischen Filmemacherinnen-Blick.  

Wie hat Deine Familie – im Besonderen deine Oma – auf das Projekt reagiert? Und gab es Situationen, wo sie oder Du gern einen Schlussstrich gezogen hättet?

Meiner Familie und auch mir selbst war, glaube ich, lange nicht klar, dass aus dem bisschen ‚Filmerei‘ tatsächlich mal ein Kinofilm werden würde. Heute sind sie berührt und stolz und ich bin sehr dankbar für ihr Vertrauen.

Oma hat den Film nicht mehr als solchen wahrnehmen können, da ihre Demenz dafür zu weit fortgeschritten war. Ich habe ihr zwar über viele Jahre Szenen und Filmmaterial gezeigt, aber da ging es nur darum, mit ihr in Erinnerungen zu schwelgen. Sie hat sicher immer nur uns darin gesehen und nicht den Kinofilm, der noch entstehen sollte. Es gab vor vielen Jahren einen Teaser der Kanutour, um Filmförderung für das Projekt zu akquirieren. Den hat sie gerne angeschaut und auch jedes Mal gelacht, wenn sie mit uns auf der Reise irgendwelche Späße gemacht hat. 

Es gab sicher Momente, in denen ich gerne alles hingeschmissen hätte, das war aber eher aus Verzweiflung darüber, wie aus diesem ganzen Berg an Emotionen jemals ein Film werden sollte, der wirklich wiedergibt, was für mich all die Jahre so wichtig war. 

Und es gab Momente, in denen ich mich unglaublich geärgert habe, dass ich mich nicht überwinden konnte, die Kamera anzustellen, denn immer wieder war es mir einfach wichtiger für meine Großeltern da zu sein. Das klingt aus heutiger Sicht sicher nachvollziehbar, als Filmemacherin ist es aber dann kurz die Hölle, wenn sich vor einem eine Situation entfaltet, die einfach alles beinhaltet und die Situation auf den Punkt bringt. Und das ist ja dann gleichzeitig auch die Magie des Dokumentarfilms, dass Vieles einfach passiert und natürlich immer dann, wenn man gerade nicht damit rechnet.

Was lag Dir visuell am Herzen?

Astrid, Carmen und Hendric

Für mich hatte zunächst immer der Inhalt Vorrang. Das heißt, ich habe oft eine Kameraposition gesucht, die mir nach klassischer Bildaufteilung und Ästhetik gefällt und habe sie dann genau dort auf einem Stativ stehen gelassen und erst später überprüft, ob ich etwas ‚Brauchbares‘ aufgenommen habe. Im Schnitt hatte das zur Folge, dass wir zunächst nach den Dialogen bzw. dem Inhalt gegangen sind und erst dann überlegt haben, ob wir das visuell noch verbessern können. Also Nahaufnahmen zum Beispiel, oder totale Aufnahmen, in denen Niemand zu sehen ist, habe ich zum Teil nachgedreht, bzw. sind ursprünglich zu einem anderen Zeitpunkt oder Zweck entstanden. Vielleicht auch erst mit einer ganz anderen Idee im Hinterkopf, wofür diese Aufnahmen später gut sein könnten. Am Anfang hatten wir visuell ganz schön viele verwackelte oder auch unscharfe Aufnahmen. Mit der Zeit haben wir dann im Bild- und Filmmaterial neue mögliche Aufnahmen oder Situation gefunden, die die dramaturgische Funktion einer Szene noch besser oder eben visuell stärker erzählen konnten. Und diese Flickenteppicharbeit wurde dann auch akustisch und visuell zum Stilmittel des Films. Schließlich geht es ja auch viel um den Prozess des Loslassens und den damit verbundenen Erinnerungen. Das Fragmentarische wurde dann durch die subjektive Sichtweise und das Voice Over zu einer Erzählung verdichtet.

Über die lange Zeit hast Du viel Material gesammelt. Wie schwierig war es im Schnitt, die Szenen zusammenzubringen?

Das war in der Tat sehr schwierig. Ich habe zunächst einmal das gesamte Material im Schnittprogramm angelegt und alles wirklich komplett Unbrauchbare rausgeschmissen. Dann hat mein Editor Justin Koch das Material alleine geschaut und noch einmal wesentlich gekürzt. Wobei man dazu sagen muss, dass er einige Jahre Nachrichten geschnitten hat. Er hat also wirklich „nur“ die echten Perlen herausgepickt und dann lag es wieder an mir, ständig im Material rauszusuchen, was meiner Meinung nach da eigentlich noch hinein müsste, oder was ich wie erlebt hatte und dann ging das Ausprobieren los. Ich mit irgendeiner ‚Gefühlsduselei‘, die mir total wesentlich erschien, und Justin immer wieder mit dem Realitätscheck. „Aber das sehen wir so nicht im Material, Astrid.“ ist ein Satz, der mich immer wieder sehr viel bereits heraus gesiebtes Material erneut hat durchschauen lassen. Irgendwann kristallisierten sich einzelne Szenen heraus, viele davon sind auch heute noch im Film. Dann ging es darum, eine Struktur für den Film zu finden. Und auch die haben wir bis zum Schluss immer wieder verändert. Sich von der gedrehten Chronologie des Bildmaterials zu befreien und am Ende doch bei einer chronologischen Erzählung zu landen, ist ein Resultat davon.

Warum hast Du Dich dafür entschieden, einen Off-Kommentar einzusprechen?

Es hat etwas gedauert, bis ich mich entschieden habe, den Film aus meiner Sicht zu erzählen. Als das klar war, wurde deutlich, dass gewisse Informationen einfach nicht aus dem gefilmten Material ersichtlich waren. Das Voice Over war am Ende der natürlichste Weg, diese Informationen zu geben. Viel schwieriger war dann wiederum herauszufinden, was ich sagen würde und wie. Meine ziemlich poetischen Tagebucheinträge passten nicht immer zum Stil des rohen Filmmaterials. Aber mit der Entscheidung, mich als Hauptprotagonistin einzusetzen, sortierte sich in meinem Kopf plötzlich sehr viel. Wieder war es die Hilfe meines Editors, meine verkorksten Gedanken so zu sortieren, so dass auch hier eine Mischung entstanden ist, aus poetischen Momenten und faktischen Sätzen, die das Publikum an die Hand nehmen meinem Gedankengang zu folgen, zu sehen was ich sehe, während ohne diese Informationen nicht wirklich etwas erkennbar wäre. 

Welche Möglichkeiten gibt es, Deinen Film in Zukunft zu sehen?

Der Film kommt ab dem 25. Mai 2023 bundesweit in die deutschen Kinos. Wir starten die Tour in Bremen und ich reise mit dem Film dann zunächst entlang der Kanutourroute. Im Juni weiten wir die Tour dann auch auf weitere Städte aus. Eine aktuelle Übersicht der Kinotermine gibt es auf der Seite des Verleihers Across Nations.

Kannst Du mir am Schluss noch etwas mehr von Dir erzählen und wie Du zum Film gekommen bist?

Für mich begann alles mit einem ersten Praktikum als Setrunner für eine französische Filmproduktion, die in Portugal gedreht wurde. Damals lebte ich schon einige Zeit in Lissabon und hatte einfach jedem, der mir über den Weg lief, erzählt, dass ich zum Film wollte. Den ersten „Setrunner-Job“ habe ich dann ganz gut gemacht und so wurde ich dann anschließend wiederholt als Produktionsassistentin gebucht. Dann habe ich Film an der staatlichen Fachhochschule ESTC in Lissabon studiert und mich dabei auf Regie und Schnitt konzentriert. Eine befreundete Produzentin setzte mich als ‚persönliche Fahrerin‘ von dem Regisseur Bille August bei der internationalen Filmproduktion von „Nachtzug nach Lissabon“ ein. Bille August war dann für ein paar Monate wie ein Mentor zu mir. Auf dem Weg zum Set hat er mit mir die Szenen des Tages durchgesprochen, am Set durfte ich immer neben ihm am Teleprompter stehen und abends mit im Schnittraum die Aufnahmen vom Vortag anschauen. Ich habe unheimlich viel von ihm gelernt. Es folgten Regie-Assistenzen in Berlin und irgendwann war ich dann auch bereit, eine Filmförderung meines ersten Kurzfilms „Nicht im Traum“ zu beantragen. Die Fertigstellung hat dann auch noch mal zwei Jahre gedauert. Aber mit Erfolg, der Film hat international Preise gewonnen und war meine ‚Visitenkarte‘ um weitere Filmförderungen zu erhalten, wie etwa für „Blauer Himmel Weiße Wolken“.

Sind bereits neue Projekte geplant?

Ich schreibe gerade an meinem Spielfilmdebüt „Zellophan“. Ein Ehepaar, das kurz vor der Berentung steht, muss sich entscheiden, ob sie zusammenbleiben oder nicht. Er hat seine Jugendliebe wieder getroffen. Kann seine Ehefrau aber nur verlassen, wenn sie damit leben kann. Sie kann sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen. 

Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Blauer Himmel Weiße Wolken

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