Im Staatsschauspiel Dresden: Der Idiot

Aufführungsbericht: Regisseur Matthias Hartmann hat Fjodor Dostojewskis rund 900 Seiten langen Roman auf die Bühne gebracht. Dabei galt es, ein Gewirr aus Handlungen und eine Vielzahl an Figuren in ein übersichtliches, bühnentaugliches Format zu gießen. Das gelingt unglaublich gut. Trotz Kürzungen bleibt es ein Mammutabend von etwa vier Stunden Länge, aber vollkommen ohne Längen. Dafür sorgt vor allem die kluge wie gewitzte Entscheidung, die erzählerische Form beizubehalten. Das bringt eine gute Portion Humor in den Stoff, der von den meisten Lesern als finster und pessimistisch empfunden wird.

Einzeln treten die Schauspieler zu Anfang auf die Bühne. Sie stellen die Figur vor, die sie verkörpern. Es reichen wenige Gesten (zum Beispiel das Zurückbeugen von Rosa Enskat als Generalin Jepantschina) oder Redewendungen (etwa die stete Betonung von Kilian Lands Gawrila Iwolgin, eine stattliche Erscheinung zu sein), um die Figuren eindrücklich zu charakterisieren. Dazu tragen auch die Kostüme von Tina Kloempken bei.

Mit einer Zugfahrt nimmt die Handlung ihren und das Schicksal seinen Lauf. Der frisch aus einem Schweizer Sanatorium entlassene Fürst Myschkin (kindlich und zerbrechlich: André Kaczmarczyk) trifft im Zug auf den reichen Rogoschin (herrlich zwischen Verzweiflung und brutalem Jähzorn schwankend: Christian Erdmann). Von dessen Geld magisch angezogen wird der kleine Beamte Lebedjew (wunderbar dem Mammon Untertan: Philipp Lux). Noch vor der Ankunft in Sankt Petersburg sind aus den beiden Weggefährten gute Freunde geworden. Und noch vor Ankunft in Sankt Petersburg kam die Rede schon auf Nastassja Filippowna, die schöne Mätresse des reichen Großgrundbesitzers Tozkij („Ich bin nun einmal ein Lüstling“: Rainer Philippi). Diese Frau wird begehrt, gefürchtet und geschmäht von der russischen Oberschicht. Yohanna Schwertfeger mimt sie als stolze Seele, die sich ihrer Verlorenheit bewusst ist und daran nicht nur verzweifelt, sondern aus dieser Tatsache auch die Kraft zieht, anderen die Stirn zu bieten und ihren eigenen Willen durchzusetzen.

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@Matthias Horn für das Staatsschauspiel Dresden

In Sankt Petersburg besucht Fürst Myschkin zuerst einmal den General Jepantschin (Holger Hübner als behäbiger Familienmensch, der um den Anschein von Jovialität und Tatkraft ringt). In Myschkins absurdem Kampf darum, zum vermeintlich letzten lebenden Verwandten vorzudringen, kommt erstmals das Bühnenbild von Johannes Schütz zum Einsatz. Die zuerst in der Bretterwand versenkten Schiebewände, von denen nur ein oberer Vorsprung wie Aktenreiter oder Fallbeile anmuten, werden zu Wänden von Vorzimmern, deren Durchquerung von diversen Dienern verhindert wird. Mit seiner höflichen, jede Kränkung verzeihenden Art gewinnt Fürst Myschkin erst die Dienerschaft, dann auch die Generalsfamilie für sich. Es mündet darin, dass der General ihn bei seinem Sekretär Gawrila Iwolgin einmietet. Der karrieregeile Emporkömmling ist wenig begeistert, was nicht zuletzt an dessen ewig besoffenem Vater (so herrlich beschwipst: Jan Maak) liegt, für den sich Gawrila schämt.

Über Verstrickungen und Wendungen entsteht eine Dreiecksbeziehung zwischen der wankelmütigen Nastassja Filippowna, dem von ihr besessenen Rogoschin und dem zwischen Freundschaft und mitleidiger Liebe treibenden Myschkin. Der hat sich eigentlich in die Aglaja, eine der Töchter von General Jepantschin, verguckt. Weil er die Trost- und Hilfsbedürftigkeit der Nastassja aber erkennt und über sein eigenes Glücksbedürfnis stellt, entschließt er sich endlich, Nastassja zu heiraten. Die flüchtet kurz vorm Traualtar zusammen mit Rogoschin, der sie jedoch in seiner Eifersucht erdolcht. Myschkin, der erst noch verantwortungsbewusst beim zerrütteten Rogoschin bleibt, verfällt durch die Vorkommnisse wieder in seine Krankheit.

Vier Stunden fesselnd zu inszenieren, wie schafft Matthias Hartmann das? Es liegt vor allem an der Art, wie der Text für die Bühne aufbereitet wurde. Das ist keine Einzelleistung der Dramaturgin Janine Ortiz. Das gesamte Ensemble erarbeitete gemeinsam alle wichtigen Szenen. Die werden nicht einfach gespielt, sondern mit Erzählung vermischt. Episches Theater, ganz im Sinne eines Bert Brecht. So bekommt der Zuschauer eben nicht nur die tragische Geschichte vom Scheitern der guten Seele Myschkin vorgesetzt, einer Figur, die gerade wegen ihrer uneingeschränkten Gutmütigkeit verlacht wird. Sondern er blickt gleichzeitig den Schauspielern beim Vorführen in die Karten. Da nörgelt eine Rosa Enskat: „Ach, schon wieder!“, wenn der erzählende Schauspieler erklärt, ihre Figur würde verbittert dreingucken. Und wenige Augenblicke später berichtet ebendiese, wie eine andere Figur jetzt von der Bühne verschwinden würde. Der Darsteller der Figur zögert, Enskat macht ihm mit einer wedelnden Handbewegung Beine.

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@Matthias Horn für das Staatsschauspiel Dresden. – Ist das Licht nicht irre?

Durch all das verliert der Stoff die Düsternis, die Schwere und den Pathos. Gleichwohl nimmt die Inszenierung das zu Erzählende ernst, zieht es nicht ins Lächerliche. Allein die Bemühungen um die Darstellung sollen sichtbar gemacht werden. Die sparsam eingesetzten Videoprojektionen und Geräusche vermitteln ebenso Atmosphäre wie der Einsatz des Lichtes, für den sich Michael Gööck verantwortlich zeichnet.

Es ist ein Glücksfall für das Dresdner Staatsschauspiel, dass es Matthias Hartmann gewinnen konnte. Er nutzt das Können seines Teams auf und hinter der Bühne, um einen großartigen Theaterabend zu gestalten. Diese Inszenierung ist ein Genuss nicht nur für Menschen, die Anspruchsvolles mögen, sondern ist eine wunderbar unterhaltsame Einladung in das Reich der russischen Literatur. Es ist schwere Kost, leichtfüßig dargeboten. Die Premiere läuft am 16.01.2016.

Weitere Informationen, Bilder und Tickets gibt es auf der Seite des Staatsschauspiels.

Geschrieben von Katrin Mai

3 Gedanken zu “Im Staatsschauspiel Dresden: Der Idiot

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