Im Staatsschauspiel Dresden: Nathan der Weise

kmmai
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Sultan Saladin (Matthias Reichwald) nimmt Nathan (Philipp Lux) in die Zange @ David Baltzer

Aufführungsbericht: Nathan, der altbackene Schinken, den wir aus der Schule kennen. Das einzig Spannende an dem erschien den meisten doch der Ort des Geschehens: Jerusalem. Der Schmelztopf, in dem der biedere Christ nicht nur auf Juden, sondern gar noch auf exotische Muselmane traf. Genau dieses letzten Funkens Exotik entkleidet sich der Dresdner Nathan. Das Bühnenbild zeigt sich puristisch modern (zuständig dafür: Ansgar Prüwer-LeMieux). Nicht einmal an den Kostümen lässt sich ablesen, welche Figur woran glaubt. Da gibt es keine Schläfenlocken und keinen Turban. Aber gerade deshalb begeistert es so: Schon bei den Kostümen fängt die Zertrümmerung der Vorurteile an. Wenn der muslimische Herrscher auf einmal genauso angezogen ist wie ein großer Teil des Publikums. Das allein reicht, um ohne einschneidenden Eingriff in den Text das ganze Stück ins Heute zu setzen (Dramaturgin Felicitas Zürcher nahm nur kleine Kürzungen vor). Denn dieser Text hat auch heute noch Pfeffer im Arsch.

Noch einmal kurz zum Inhalt, für alle, die im Deutschunterricht Wichtigeres zu tun hatten: Der reiche Jude Nathan lebt um das Jahr 1200 mit Ziehtochter Recha und der christlichen Dienerin Daja in Jerusalem. Er ist auf Dienstreise, als sein Haus in Flammen steht. Ein Tempelherr rettet Recha aus dem brennenden Haus. Von Dankerweisung will er nichts wissen, denn mit Juden will der Christ nichts zu tun haben. Dieser Tempelherr konnte die Heldentat nur vollbringen, weil er vorher von Sultan Saladin begnadigt wurde. Den drücken Geldsorgen. Deshalb stachelt Saladins Schwester Sittah ihn an, dem als Weisen bekannten Nathan eine Falle zu stellen. Dann Kopf ab und Geld her. Nathan mit seiner gewinnenden Art hat bereits mit dem Tempelherrn Freundschaft geschlossen, ihn zu sich eingeladen, und schwupps hat sich der Tempelherr in Recha verliebt. Als der junge Mann dann Nathan um Rechas Hand bittet, blockt der ab. Dämlicherweise sagt er nicht, wieso: Der Tempelherr hatte Nathan kurz zuvor seinen Namen genannt, und der war ganz ähnlich wie der von Rechas Verwandten.

Jetzt heißt es erst einmal beim Sultan bestehen. Die Fangfrage lautet, welche die beste Religion sei. Nathan zieht seinen Kopf mittels Ringparabel (wer die nicht kennt, muss sie lesen!) aus der Schlinge. Nun sind auch Saladin und Nathan Freunde. Dienerin Daja, die lieber unter Christen und in Europa wäre, weiß um die Liebe des Tempelherrn und eröffnet diesem, dass Recha eine Christin ist. Nun ist der Tempelherr sowieso jung und impulsiv, und dann randvoll mit, sagen wir, Liebe. Jetzt weiß er gar nicht mehr weiter. Er geht zum Patriarchen, dem christlichen Oberhaupt vor Ort. Er legt ihm den Fall dar ohne Namen zu nennen. Für den Patriarchen ist die Sache eindeutig, egal, ob der Jude seine Ziehtochter liebt und gut erzogen hat: Der Jude muss brennen. Zum Glück hört der Klosterbruder mit, und plötzlich stellt sich bei ihm die Erinnerung ein. Er eilt zu Nathan, berichtet vom gerade Gehörten und vom lange Geschehenen. Denn er war es, der einst das Christenmädchen zu Nathan brachte. Ein Buch des christlichen Vaters kann der Klosterbruder dem Nathan noch überreichen, dann muss er fort. Das Buch ist Nathans Rettung. Er geht zum Sultan, nimmt den Tempelherrn mit und findet auch Recha dort. Endlich löst sich der Knoten: Recha und der Tempelherr sind Geschwister und obendrein die Bruderkinder von Sultan Saladin und Sittah. Niemand wird verbrannt.

Nathan, den Alleswisser, sucht man in der Inszenierung von Wolfgang Engel vergeblich. Philipp Lux ist ein junger Weiser, der mit klarem Menschenverstand und Respekt gegenüber Andersgläubigen seiner Welt entgegentritt. Die Ringparabel entsteht bei ihm unter Zeitnot. Angestrengt sucht er nach den richtigen Worten. Matthias Reichwald ist ein Herrscher mit Machtbewusstsein. Seine Präsenz reicht, damit andere sich bei ihm klein fühlen. Dennoch ist er ein gerechter Herrscher. Er übt erst gewaltigen Druck auf Nathan aus und lümmelt sich dann ganz entspannt hin, um zu hören, wie er um sein Leben redet. Leider sehen ihn in dieser Position nur die Zuschauer, die in der ersten Reihe sitzen. Mit kühlem Kalkül und jeder Menge Charisma stattet Nele Rosetz die Sultansschwester Sittah aus. Kilian Land ist ein stürmischer Tempelherr, der nicht weiß wohin mit sich und seinen Gefühlen. Holger Hübners Klosterbruder tut, wie ihm der Patriarch (Lars Jung) geheißen. Nicht alle Aufträge führt er mit der Überzeugung aus, richtig zu handeln. Die Unsicherheit mündet darin, dass er zweifelt, ob es wirklich so erstrebenswert sei, ein Christ zu sein. Ist es nicht vielleicht besser, einfach ein Mensch zu sein, und das richtig gut? Hannelore Koch ist eine in Einfalt gealterte Daja. Gegen andere verteidigt sie ihren jüdischen Herrn zwar, sehnt sich aber doch danach, unter reinen Christen zu leben. Recha ist ihr geistig schon überlegen, die Kunst der Schauspielstudentin Lieke Hoppe ist es verständlicherweise nicht.

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Sittah (Nele Rosetz) und Saladin (Matthias Reichwald), im Hintergrund das restliche Ensemble plus Lessingbüste. @ David Baltzer

Szenenwechsel kennzeichnet Getrommel, das orientalisch ist, wenn man das heraushören möchte. Über fast die ganze Zeit sind alle Schauspieler auf einer Stuhlreihe am hinteren Bühnenrand präsent. Kurz von den vorn Spielenden auf sie zu schielen, lohnt sich. Da zündet sich der kettenrauchende Sultan eine neue Kippe an, Daja nimmt die Recha in den Arm – so kommentieren die Figuren die Handlung. Das verleiht dem 200 Jahre alten Stück die Dynamik, die unsere Sehgewohnheiten erfordern.

Im Ganzen ist Wolfgang Engels Nathan ein Stück, das den Klassiker aus dem Giftschrank der Schullektüre befreit und dem Zuschauer ans Herz legt: Sieh darüber hinweg, dass du einstmals damit gequält wurdest, und gib dem Text eine zweite Chance. Der Text bedankt sich mit einem Abend, der pädagogisch wertvoll ist, aber das nie spüren lässt. Weil er einfach unterhält, den belehrenden Zeigefinger einsteckt und zeigt, dass auch Nathan der Weise gespickt ist mit feinem Humor.

Geschrieben von Katrin Mai

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