Sieben Fragen an Ru Kuwahata

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© Tiny Inventions

Interview: Einer der Oscar-Kandidaten der 90. Academy Awards für den ‘Besten Animationskurzfilm’ war die französische Produktion “Negative Space”. Die Regie und die meisten handwerklichen Aufgaben übernahm das Duo Max Porter und Ru Kuwahata. Im Gespräch mit der gebürtigen Japanerin Ru Kuwahata erzählt sie, wie es zu dem Stop-Motion-Film kam, von ihrer Zusammenarbeit mit Max und was ihnen wichtig bei der visuellen Umsetzung war.

The original english language interview is also available.

Euer oscarnominierter Kurzfilm “Negative Space” beruht auf einem Gedicht und eigenen Erfahrungen. Kannst Du es mehr erzählen, wie das Projekt entstand und wie eure beide Kindheiten dort mit rein spielten?

Ein Freund von uns hat Ron Koertges Gedicht “Negative Space” auf Facebook veröffentlicht und die Klarheit der Wörter hat sich wie ein kleines Juwel einen Weg durch das Rauschen der sozialen Medien geschnitten. Der Text hatte diese seltene Direktheit, indem er das Sentimentale mit Humor perfekt in Einklang brachte, und die letzte Zeile fühlte sich wie eine befriedigender ‘Punkt’ an, konnte aber auch vielfach interpretiert werden.

Als Airline-Pilot reiste mein Vater oft, als ich aufwuchs. Ich erinnere mich nicht wirklich an Dinge wie Ausflüge in den Zoo oder in Freizeitparks, aber das Bild von ihm, wie er ein frisches, weißes Hemd packt, ist in meinem Gedächtnis eingebrannt. Ich erinnere mich, dass mein Vater seine Uhr genau vor dem Verlassen des Hauses justiert hat, und ich erinnere mich an die Packliste, die er an die Wand seines Arbeitszimmers geheftet hatte. Meine lebhaftesten Kindheitserinnerungen sind mit Objekten, Texturen und gewöhnlichen Routinen verbunden.

Max stammt aus Amerika und Du aus Japan. Beim Vergleich eurer Kindheiten gab es da mehr Parallelen als Unterschiede? Wie beflügelt eure unterschiedliche Herkunft eure Projekte?

© IKKI FILMS / MANUEL CAM STUDIO

Unsere Kindheiten war ähnlich und verschieden zugleich. Es ist wirklich schwer zu erklären. Trotz unserer unterschiedlichen Hintergründe war unsere Zusammenarbeit einer der natürlichsten Prozesse. Wir haben einen ähnlichen Geschmack in der Kunst, Sinn für Humor und Ethik im Kunstmachen. In unserer 11-jährigen Zusammenarbeit haben wir eine eigene Kultur geschaffen, die eine Mischung aus unseren beiden Identitäten ist.

Der Film ist perfekt austariert zwischen Humor und einer emotional ergreifenden Geschichte. Wie seid ihr das angegangen?

© IKKI FILMS / MANUEL CAM STUDIO

Diese Empfindsamkeit ist etwas, das wir anstreben und wahrscheinlich einer der Gründe, warum das Gedicht uns überhaupt überhaupt ansprechen konnte. Wir finden, dass Humor entwaffnend sein kann, uns hilft, in schwierigen Zeiten Sinn zu finden oder uns selbst ehrlich zu verstehen. Aber wir versuchen, emotional verwundbar zu bleiben, auch in humorvollen Momenten. Andernfalls wird die Komödie zu einer schützenden Hülle, die uns daran hindert, eine tiefere Wahrheit zu finden.

Max Porter und Du ihr arbeitet seit langer Zeit zusammen. Macht ihr immer alles oder gibt es eine häufig wiederkehrende Aufteilung in den Projekten? Und wie war es bei “Negative Space”?

© IKKI FILMS / MANUEL CAM STUDIO

Wir arbeiten seit über einem Jahrzehnt zusammen, und die Art und Weise, wie wir die Arbeit aufteilen, hat sich im Laufe der Zeit ganz natürlich etabliert. Unser Schreibprozess ist eine Art Dialog. Max denkt sich eine Idee aus, dann macht Ru daraus Zeichnungen, dann baut Max auf der Sequenz mit neuen Zeichnungen auf. Am Ende ist es schwierig zu wissen, wer wofür verantwortlich war.

Nach der ersten Schreib- und Entwicklungsphase leite ich das Design, das Set- und Prop-Making und die Charakteranimation. Max übernimmt die Leitung bei der Kinematographie, der frühen Tonarbeit, dem redaktionellen Tempo, der Postproduktion und der Animation von Objekten und Effekten.  

Für “Negative Space” hatten wir das große Glück, ein Team zu haben, das sich sehr für das Projekt einsetzte.

In der Umsetzung habt ihr nicht nur das Gedicht wiedergegeben, sondern traumhafte Episoden eingebaut. Kannst Du uns mehr über euer visuelles Konzept erzählen?

© IKKI FILMS / MANUEL CAM STUDIO

Da Rons Gedicht so minimalistisch ist – nur 150 Wörter –, hatten wir das Gefühl, dass es genug Platz gab, um unsere persönlichen Erfahrungen mit Animation in die Geschichte einzubringen. Wir sind beide skeptisch gegenüber Adaptionen, die sich zu wortwörtlich anfühlen, und wollten sicherstellen, dass wir gute Gründe hatten, das Gedicht in etwas anderes zu verwandeln.

Bei der Adaption eines Gedichts mussten wir die narrative Struktur für filmische Zwecke herausfinden. Wir experimentierten mit ein paar Versionen, aber diese Struktur war die erste, die entwickelt wurde und die, bei der wir geblieben sind. Um dies in einem fünfminütigen Film zu kommunizieren, haben wir uns entschieden, die beiden Teile mit unterschiedlichen Farbschemata zu unterscheiden.

Die gegenwärtigen Szenen sind im Winter. Die Idee, dass Schnee den Klang und das leblose Gefühl verdeckt, passt zum Gefühl, zu einer Beerdigung zu gehen. Im Gegensatz dazu fand die Vergangenheit im Sommer statt, und auf der Grundlage von der Farbe Orange war der Ton warm und nostalgisch. Sogar der Übergang und die Animation passen sich dem magischen Realismus an, wenn unsere Erinnerungen verblassen und ineinander übergehen und oft unsere Emotionen betonen.

Wie lange hat die Realisierung des Projekts gedauert und mit welchen Materialien habt ihr hauptsächlich gearbeitet?

© IKKI FILMS / MANUEL CAM STUDIO

Insgesamt waren es ungefähr zwei Jahre. Im ersten Jahr konzentrierten wir uns auf die Bereiche Entwicklung, Vorproduktion und Förderanträge. Die Produktion selbst betrug neun Monate und setzte sich aus drei Monate Set und Requisitenbau, drei Monate Dreharbeiten und drei Monate Postproduktion zusammen.

Bei den Materialien haben wir hauptsächlich Stoff und Holz verwendet.

Wie geht es bei euch weiter? Werden wir bald einen Langfilm (vielleicht sogar in Stop Motion) von euch sehen?

Ja! Wir entwickeln derzeit einen abendfüllenden Animationsfilm als Teil des ‘Torino Script Lab’ und haben gerade die Version 32.7 fertig gestellt.

Es ist eine Geschichte, die wir schon seit einiger Zeit erzählen wollten, und das ist alles sehr aufregend, aber der Umfang eines Spielfilms ist beängstigend.

Die Fragen stellte Doreen Matthei
Übersetzung von Michael Kaltenecker

Schau Dir auch die Rezension des Kurzfilms “Negative Space” an.


Interview: One of the Oscar nominees of the 90th Academy Awards for the ‘Best Animation Short Film’ was the French production “Negative Space“. The duo Max Porter and Ru Kuwahata took over the direction and most of the technical tasks. In an interview with Japanese-born Ru Kuwahata, she talks about how the stop motion film came about, about her collaboration with Max and what was important to her in the visual realization.

Your oscar-nominated short film “Negative Space” is based on a poem and your own experiences can tell you more about how the project came into being and how both of your childhoods played a part in it?

A friend of ours posted Ron Koertge’s poem, “Negative Space,” on Facebook and the clarity of the words cut through social media noise like a little gem. The text had this rare directness, balancing the sentimental with humor perfectly, and the last line felt like a satisfying “period,” but could also be interpret multiple ways.

As an airline pilot, my father traveled often when I was growing up. I don’t really remember things like trips to the zoo or theme parks, but the image of him packing a crisp, white shirt is burned in my memory. I remember my dad adjusting his watch precisely before leaving the house and I remember the packing list that he pinned to the wall of his study. My most vivid childhood memories are connected with objects, textures and ordinary routines.

Max comes from America and you from Japan. When comparing your childhoods there were more parallels than differences? How do your different backgrounds inspire your projects?

Our childhoods were similar and different at the same. It’s difficult to explain, really. Despite of our difference backgrounds, our collaboration has been one of the most natural processes. We have similar taste in art, sense of humor and ethics in art making. In our 11 years of collaboration, we have created our own culture that is a mix of both of our identities.

The film is perfectly balanced between humor and an emotionally moving story. How did you approach this?

That sensibility is something that we gravitate towards and probably one of the reasons that poem resonated with us in the first place. We find that humor can be disarming, helping us make sense of difficult times or understand ourselves in an honest way. But we try to remain emotionally vulnerable, even in humorous moments. Otherwise the comedy becomes a protective shell preventing us from finding a deeper truth.

I read that Max Porter and you have been working together for ten years. Are you both always involved in everything or is there a recurring division in the projects? And how was it with “Negative Space“?

We have been working together for over a decade and the way we split work naturally fell into place over time. Our writing process is a dialog of sorts; Max would come up with an idea, then Ru does drawings based on that, then Max builds on the sequence with new drawings. In the end, it’s difficult to know who was responsible for what.

After the initial writing and development phase, Ru guides the design, set/prop making and character animation. Max takes lead with the cinematography, early sound work, editorial pacing, post-production and the animation of objects/effects.  

For “Negative Space“, we were extremely fortunate to have a team who were extremely dedicated to the project.

In the realization you not only reproduced the poem, but also incorporated dreamlike episodes. Can you tell us more about your visual concept?

Because Ron’s poem is so minimal—only 150 words— we felt that there was enough space to bring our personal experiences to the story with animation. We’re both skeptical of adaptations that feel too literal and wanted to make sure that we had strong reasons for transforming the poem into something else.

When adapting a poem, we needed to figure out the narrative structure for cinematic purposes. We experimented with a few versions but this structure was the first to came up with and the one we stayed with. In order to communicate this in 5min film, we decided to distinguish the two parts with different color schemes.

The present scenes are in winter. The idea of snow covering up the sound and lifeless feeling suits the feeling of going to a funeral. In contrast, the past took place in the summer and, using orange as a foundation, the tone was warm and nostalgic. Even the transition and animation are adapting more magical realism as our memories fade and merge into one other, often emphasizing our emotions.

How long did the realization of the project take and what materials did you mainly work with?

Approximately 2 years total. The first year we focused on development, pre-production and grant applications. The production itself was nine months and broke down to three months set/prop building, three months shooting and three months post-production.

For materials, we mainly used fabric and wood.

What will happen next for you? Will we soon see a feature-length film (maybe even in stop motion) of you?

Yes! We’re currently developing a feature length animation film as part of Torino Script Lab and just finished version 32.7.

It’s a story we’ve wanted to tell for a while and it’s all very exciting, but the scope of a feature is daunting.

Questions asked by Doreen Matthei

Read on the german review of the shortfilm “Negative Space

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