Fünf Fragen an Richard Wilhelmer

Doreen Kaltenecker
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(c) Saulo Jamariqueli

Interview: Im Gespräch mit dem Dokumentar- und Experimentalfilmer und Künstler Richard Wilhelmer konnte ich mehr über seinen Kurzfilm „Hypnodrom“, gesehen u.a. auf dem 30. FIlmfest Dresden und auf der 25. Internationalen Kurzfilmwoche Regensburg, erfahren, wie dieser technisch realisiert wurde und wie er im Zusammenhang mit dem Dokumentarfilm „Anomalie“ steht.  

Wie hast Du die Idee zu deinem außergewöhnlichen Experimentalfilm entwickelt? Und was steckt dahinter?

Der Film entstand aus den visuellen Experimenten rund um meinen aktuellen Kino-Dokumentarfilm „Anomalie“. Ich suchte nach Möglichkeiten unterschiedliche Wahrnehmungsfacetten visuell zu übersetzen. Beispielsweise unsere „egozentrische“ Wahrnehmung der Welt.

Mein guter Freund und Kollege Julius von Bismarck hat sich auf der Art Basel 2015 auf einer schnell rotierenden großen Drehscheibe tagelang buchstäblich nur um sich selbst gedreht. Erste Testaufnahmen zu dieser Arbeit entstanden am Kinderspielplatz vor meinem Wohnhaus in Berlin. Inspiriert von seiner Arbeit, dem sogenannten „Egozentrischen System“ entstand dann mein „Egozentrisches Kamera-System“. „Hypnodrom“ ist ein Ergebnis aus diesen Studien. Es ist eine Reflexion auf das Kino als kontemplatives und hypnotisches Erlebnis.

Kannst Du mir mehr zu den technischen Aspekten Deines Films erzählen?

Unsere ‚Egozentrische Kamera‘ ist eine Art selbstgebautes Motion-Control-System. Der Prototyp entstand in Berlin im Studio von Benjamin Maus, der sich u.a. viel mit Robotik und anderen komplexen kybernetischen Apparaturen beschäftigt. (Gemeinsam mit ihm und Julius entstand beispielsweise auch unsere Arbeit „Public Face“, die noch bis Ende des Jahres in der Hafencity in Hamburg zu sehen ist.)

Aus Arduino-Chips, einem Elektromotor, einem selbstgebauten Controller und jeder Menge CNC-gefräster Einzelteile entstand eine Kamera-Applikation, die man problemlos an vielerlei Stative schrauben kann. Die Apparatur kann sogar schwergewichtige Highspeed-Kameras gezielt in Rotation versetzen und sich kontrolliert von sehr wenigen Umdrehungen bis hin zu ca. 70 Umdrehungen pro Minute steigern. Wir haben das System ursprünglich für horizontale Bewegungen entwickelt. Unser Kameramann Serafin Spitzer modifizierte die Apparatur, um sie vertikal – wie eine Waschmaschine – auf einer Motorhaube befestigen zu können.

Wie hast Du Dich für die Locations der Kamerafahrten entschieden – baust Du versteckte Schnitte ein?

Aufbau des ‚Egozentrischen Kamera-Systems‘ im Kurzfilm „Hypnodrom“

Die Aufnahmen für „Hypnodrom“ entstanden ausschließlich in Österreich, einem von mehreren Ländern, in denen der Kinofilm Anomalie produziert wurde. Dabei haben wir uns sowohl zu jedem Thema, als auch zu den jeweiligen örtlichen und kulturellen Begeben- oder Eigenheiten Gedanken gemacht. Die ursprüngliche Idee für „Anomalie“ war eine ‚egozentrische‘ Fahrt von Wien nach Linz in die forensische Klinik zur bekannten Psychiaterin Heidi Kastner. Ich habe mich dann dazu entschlossen diese „Reise“ als Kurzfilm auszukoppeln.

Der Film besteht aus einigen versteckten Schnitten, da ich die Wirkung unterschiedlicher Tageszeiten und Lichtsituationen miteinander verbinden wollte ohne die Fahrt zu stark zu unterbrechen. Zusätzlich bewegt man sich im Strudel wie durch eine Zeitmaschine, denn auch die Wahrnehmung von Zeit ist bekanntermaßen ebenso subjektiv wie relativ.

Kannst Du mir zur Bedeutung des Off-Kommentars erzählen?

Das Off-Kommentar ist ein Auszug, bzw. die Einführung einer Guided Imagery-Theraphy der Psychologin Belleruth Naperstak – eine Pionierin dieser alternativen Behandlungsmethode. Auch Belleruth Naperstak war ursprünglich als Protagonistin für „Anomalie“ geplant. Sie arbeitet üblicherweise mit statischen Bildern, auf die sich ihre Patienten konzentrieren sollen. Kombiniert mit den zeitbasierten Bildern unserer Egozentrischen Kamera kann man ihre Worte eben so sehr als „Anleitung fürs Kino“ verstehen.

Kannst Du zum Schluss ein bisschen mehr von Dir erzählen und auf welche spannende Projekte wir uns als nächstes freuen dürfen?

Im Moment läuft mein Dokumentarfilm „Anomalie“ noch bis Ende Mai bundesweit im Österreichischen Kino. Im Film geht es um die Frage welche Rolle soziale Normen für das gesellschaftliche Zusammenleben spielen und wo die Grenze zwischen normal und nicht normal bzw. psychischem Leiden verläuft. Neben den offiziellen Kinovorstellungen und Festivals freuen wir uns, dass der Film auch in der Fachwelt, sowie bei SchülerInnen und StudentInnen auf große Resonanz gestoßen ist und zusätzlich von vielen Sondervorführungen und Diskussionsrunden auf Unis und Schulen begleitet wird.

Unsere vorhin bereits kurz erwähnte Skulptur „Public Face“ (mit Julius von Bismarck und Benjamin Maus) ist noch bis September 2019 in der HafenCity Hamburg zu sehen. Es handelt sich um einen 10 Meter hohen Smiley aus Stahl, der minütlich die durchschnittliche Stimmung der Passanten in der Hafencity anzeigt. Die Stimmungen werden vereinzelt über bestehende Sicherheitssysteme bzw. von uns aufgestellte Messstationen ermittelt und in Echtzeit auf den Smiley übertragen. Die Arbeit thematisiert den gläsernen Menschen.

Die Fragen stellte Doreen Matthei

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Hypnodrom

3 Gedanken zu “Fünf Fragen an Richard Wilhelmer

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