Sieben Fragen an Herzette (Henriette Rietz)

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© Florian Kolmer

Interview: Im Gespräch mit der Illustratorin, Animationskünstlerin und Filmemacherin Henriette Rietz, die auch u.a. unter dem Alter Ego Herzette arbeitet, konnten wir mehr über ihren ersten Kurzfilm „Wochenbett“ sowie die großartigen Animationen dazu und wie sie Charlotte Roche als Sprecherin gewinnen konnte erfahren. 

Die Entstehung Deines Kurzfilms „Wochenbett“ beruht auf eigene Erfahrungen, richtig?

Das ist korrekt. Als ich 2017 mein erstes Kind bekam und mit meinem Mann in unsere Wochenbettblase stieg, hatten wir keine Ahnung, was uns erwarten würde. Voll mit Hormonen und ohne Schlaf hat sich diese intensive Zeit tief in mein Herz gebrannt. Letztes Jahr beschloss ich dann einen animierten Kurzfilm über diese absurdeste und emotionalste Phase meines Lebens zu kreieren.

 Dein Kurzfilm ist eine Ansammlung von Gedanken – war es Dir wichtig, gerade Dinge anzusprechen, welche im Allgemeinen nicht laut ausgesprochen werden?

Absolut. Ich finde, dass gerade durch soziale Medien ein völlig verzerrtes Bild von Mutterschaft und dem Leben mit Baby existiert. Ich folge dem Hashtag #Wochenbett auf Instagram und könnte mich immer über die Fotos von fröhlichen, perfekt hergerichteten, in Blumenwiesen sitzenden Müttern mit ihren drei Tage alten Babys amüsieren. Das soll gar kein Mom Bashing sein. Allerdings habe ich mich dann schon gefragt, warum ich nicht auf so einer Wiese stehe, sondern damit beschäftigt bin, dass meine Brustwarzen nicht abfallen. Meiner Meinung nach führt diese realitätsferne Darstellung dazu, dass die Gesellschaft auf frisch gebackene, erschöpfte Eltern mit Unverständnis reagiert.

 Neben der Ehrlichkeit sind die Illustrationen das Herzstück Deines Films. Kannst Du mir mehr zur Entstehung dieser erzählen?

Für mein künstlerisches Alter Ego »Herzette« ist die Illustration das persönliche Ausdrucksmittel. Bewegte schwarz-weiß Bilder sind stilistisch ganz typisch für Herzette. Der Film ist eine Aneinanderreihung meiner Gedankenschnipsel, die durch Gif-Animationen zum Leben erweckt werden. Als ich mit der Visualisierung begonnen habe, merkte ich schnell, dass diese Schnipsel auch vollflächige Farbszenen als Kontrast brauchten. 

 Wie würdest Du Deinen eigenen Stil beschreiben?

Ich beschreibe meinen Stil gerne als laut, schnell und geradlinig, vielleicht auch komisch. Ich mag es, wenn es plakativ ist und voll auf die Zwölf geht. Mit filigranem Gefrickel kann ich nichts anfangen. 

 Hast Du selbst filmische oder illustratorische Vorbilder, an denen Du Dich orientierst?

Inhaltlich mag ich total die Arbeiten von Paula Kuka und Maja Säfström, da sie sich auch mit einer ähnlichen Thematik, aber auf eine ganz andere Art und Weise beschäftigen. Ich mag es, dass die beiden auch so ehrlich sind. Cecile Dormeaus Stil und Themen finde ich auch großartig. Im Animationsbereich bin ich unter anderem von Robert Löbel [Anmerk. Regisseur von „Wind“ (2013), „Link“ (2017), „Island“ (2017) und „Labyrinth“ (2020)] und Dante Zaballa begeistert. 

 Eingesprochen hat das Voice-Over des Films Charlotte Roche – wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Mir war es wichtig, eine prägnante Stimme von einer starken Frau zu finden. Auf dem Female Future Force Day 2019 in Berlin schwirrte dann Charlotte Roche herum und ich wusste, dass ich sie ansprechen muss. In ihrer Stimme und in ihrer Art und Weise liegt genau der Swag, den ich für dieses Herzensprojekt brauchte. Sie gab mir ihren Kontakt und ich schickte ihr mein Animatic. Ich bin unglaublich stolz darauf, dass ich sie für das Voice-Over gewinnen konnte.

 Erzähl mir bitte mehr von Dir. Du bist gelernte Designerin und arbeitest vor allem als Illustratorin – stimmt das? Und ist „Wochenbett“ Dein erster Kurzfilm? Kann man weitere filmische Projekte erwarten?

Nachdem ich meinen ersten Job nach dem Studium bei Paul Snowden als Grafikdesignerin hatte und kurz bei der DOJO Werbeagentur vorbeihuschte, machte ich mich selbstständig und übernahm für mehrere Jahre die Artdirektion des HipHop Magazins JUICE. Da mein Herz aber schon immer für konzeptionelle Illustrationsaufträge höher schlug, beschloss ich meinen Fokus darauf zu legen. Zu diesem beruflichen Werdegang habe ich übrigens 2015 auch mein aller erstes Animationsvideo „What did you do?“ kreiert. 2017 kam dann mein erstes Kind und nach der Elternzeit war die Zeit plötzlich wahnsinnig begrenzt. Auftragsarbeit und eigene Projekte passten nicht mehr unter einen Hut. Da ich das Wochenbett so intensiv erlebte, war es mir aber sehr wichtig, diese Anfangszeit mit Baby als Animationsfilm zu erzählen.

 Ich habe keinen filmischen Background, die ganze Filmszene ist absolutes Neuland für mich. „Wochenbett“ entstand durch Learning by Doing. Professionelle Animatoren*innen würden wahrscheinlich die Hände über den Kopf schlagen, wenn sie meinen Workflow sehen. „Wochenbett“ ist ein No-Budget-Projekt und ich habe mit Unterbrechungen ein knappes Jahr daran gearbeitet. Ich will definitiv weitere Filmprojekte umsetzen, da mir die Arbeit an dem Film unglaublich viel Freude bereitet hat. Außerdem ist „Wochenbett“ meinem ersten Kind gewidmet. Da bin ich meinem zweiten Kind, das 2020 zur Welt gekommen ist, schon auch noch einen Film schuldig. ;-)

Die Fragen stellte Doreen Matthei

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Wochenbett

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