Sieben Fragen an Livia Huang

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Interview: Im Gespräch mit der amerikanischen Filmemacherin Livia Huang konnten wir mehr über ihren Kurzfilm „More Happiness“ erfahren, der im ‚Berlinale Shorts‘-Programm lief, sowie über falsche Ratschläge von Müttern, der fragmentarischen Struktur und wie Filme Erinnerungen visuell einfangen können.  

The original english language interview is also available.

Kannst Du mir mehr zum Ursprung Deines Kurzfilms „More Happiness“ erzählen?

Ich wollte einen Kurzfilm machen, der nicht linear eine große Zeitspanne abdeckt, bei dem die Kontinuität eine Konversation ist. Ursprünglich sollten es Sprachnachrichten sein, da ich mich für den Briefroman „Last Words from Montmartre“ von Qiu Miaojin interessierte, aber die einseitige Natur von Sprachnachrichten hat für mich nicht funktioniert, als ich sie ausprobierte. Da die Bilder bereits zugespitzt waren, dachte ich, dass die Sprache, die man hört, eher beiläufig sein sollte, damit die Texturen nicht zu reichhaltig wirken.  

Das Verhältnis von Mutter und Tochter ist besonders. Die Offenheit mit der sie sich auch unterhalten – wie kam es zu dieser Konstellation? 

Ich dachte über Gespräche zwischen meiner Mutter und mir nach. Sie ist sehr direkt mit ihren Ratschlägen und spricht offen mit mir über ihr Scheitern und ihre Triumphe. Ich brauche einige Zeit, um zu entscheiden, ob ich ihr zustimme oder nicht, weil sie diese Ratschläge so stark als Wahrheit formuliert. Ich habe den ersten Teil des Dialogs für die Mutter geschrieben, die ihrer Tochter einen, wie ich finde, stark vertretenen, aber schlechten Ratschlag gibt. Das Erstaunliche war dann, dass wir die Schauspielerin Tinas echter Mutter gegenüberstellen konnten, und ich habe Tina angewiesen, ein offenes Gespräch mit ihrer Mutter zu führen, in dem sie um einen ähnlichen Ratschlag bittet. Ich hatte das Glück, dass die beiden ein wirklich gutes Verhältnis zueinander haben, und so zeigt sich dieses Vertrauen auch in dem Film. 

Warum hast Du Dich für die Rückblickstruktur und das beinahe Fragmentarische entschieden? 

Ich erlebe Erinnerungen als multiple und gleichzeitige Unterbrechungen in der Gegenwart, also wollte ich, dass der Film das formal widerspiegelt. 

Was lag Dir visuell am Herzen? 

Die Bilder sollten etwas Zeit brauchen, um sich im Gehirn zu entfalten. Ich mag es nicht, wenn etwas sofort in der Aufnahme zu sehen ist und wir dann nur darauf warten, dass es vorbei ist. Mein Lieblingsbild ist eigentlich das Testmaterial mit einer schlechteren Kamera als der, die wir für die Dreharbeiten verwendet haben. Ich mochte die ruckartigen Bewegungen meines Kameramanns, als er versuchte, diese Schwäne einzufangen, weil man die Anstrengung spürte, die es brauchte, um dieses unvollkommene Bild zu erzeugen, und dann sind die Schwäne einfach so gleichgültig uns gegenüber, sie haben ihre eigenen Beziehungen zueinander und wir sehen sie nur flüchtig. Ich fand, das war ein großartiges Gefühl für den Film insgesamt, dass wir versuchen, diese Erinnerungsfragmente einzufangen, um sie zusammenzufügen. 

Wie hast Du die Besetzung für Deinen Film gefunden – was war Dir wichtig bei der Wahl der Darstellerinnen? 

Ich liebe SchauspielerInnen, die in Filmen ihre eigene Privatsphäre bewahren können, sie drängen uns nichts auf, sie reagieren einfach auf etwas in dem Moment. Ich hatte diese beiden Schauspielerinnen, Tina Wonglu und Joyce Keokham, in meinem ersten richtigen Kurzfilm vor ein paar Jahren gecastet, weil ich dachte, dass sie auf der Leinwand wie echte Menschen wirken, nicht wie Schauspieler, die uns etwas zeigen wollen. Ich finde es manchmal seltsam, dass gute Schauspielerei als die Distanz zwischen der ‚echten‘ Persönlichkeit und der Person, die man spielt, gesehen wird, obwohl natürlich die Person, die man ist, die Art und Weise beeinflusst, wie man schauspielert, und diese Beziehung zu nutzen, eine Stärke ist. Ich denke, eine Eigenschaft, die beide auf dem Bildschirm und außerhalb haben, ist tatsächlich Feindseligkeit, und das ist meine Lieblingseigenschaft, die ich mit ihnen teile als ein weiteres Kind chinesischer Einwanderer. Ich fühle mich extrem misstrauisch, wenn ich ‚gesehen werde‘, d.h. wenn man versucht, mich dazu zu bringen, einen zu mögen, oder welche Blicke man von der Kamera annimmt. Ich hasse es, wenn ich das Gefühl habe, dass der Regisseur, die Schauspieler oder die Geschichte das Publikum anflehen, sie zu mögen oder zu bemitleiden, denn das fühlt sich für mich entwürdigend an. Daher liebe ich Tina und Joyce wirklich, weil ich denke, dass wir irgendwie wütend sind, und als Schauspieler wissen sie, was ich meine, wenn ich ihnen sage, sie sollen sich zurückhalten und nicht alles so offensichtlich machen.

Kannst Du mir am Schluss noch ein bisschen von Dir erzählen und wie Du zum Film gekommen bist?? 

Ich ging auf eine der wenigen öffentlichen Filmhochschulen in Amerika, die gerade erst ein paar Jahre zuvor gegründet worden waren, und der Hauptfaktor für meine Entscheidung, dorthin zu gehen, war ein garantiertes Stipendium für den Abschlussfilm. Das Skript, das ich dafür schrieb, war eine Reihe von Vignetten, die ich nach dem Ende einer Beziehung umdrehen würde, und ich wusste, dass ich in der Lage sein musste, den Film günstig zu machen, um mir keine Sorgen über die Beschaffung zusätzlicher Mittel zu machen. Vor dem Filmemachen hatte ich diese mentale Trennung, bei der ich privat malen und öffentlich schreiben wollte, aber in meinem literarischen Schreiben wollte ich immer wieder Bilder beschreiben, die so mühsam zu lesen sind, dass ich sie als Leser selbst überlesen würde, und ich hasste diese Sätze, die sich verrenken, um ein Bild in möglichst wenigen Worten zu beschreiben, sie wurden zu diesen frommen, unnatürlichen Ornamenten. Filmemachen schien mir unmöglich zu sein, da es andere Menschen und technisches Wissen erforderte, aber um das herauszufinden, nahm ich ein paar einmalige Videokurse und sie machten einfach so viel mehr Spaß, ich fühlte mich erleichtert, endlich ein Handwerk zu finden, das zu mir passte.

Sind bereits neue Projekte geplant?

Ich arbeite gerade an einem Drehbuch über eine jüngere Frau, die eine ältere Frau stalkt, die Fotografin ist. Ich denke, es wird auch ein Zeitreise-Element geben, aber ein ganz einfaches, ich mag die mechanische Diskussion darüber nicht, nur die schönen Metaphern. 

Die Fragen stellte Doreen Matthei
Übersetzung von Michael Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „More Happiness


Interview: In our conversation with American filmmaker Livia Huang, we were able to learn more about her short film “More Happiness“, which screened in the ‘Berlinale Shorts’ program, as well as wrong advice from mothers, fragmentary structure, and how films can visually capture memories.

Can you tell me more about the origin of your short film “More Happiness“? 

I wanted to make a short that covered a lot of time not linearly, where the continuity was a conversation. Originally they were supposed to be voicemails, since I was interested in an epistolary novel “Last Words from Montmartre” by Qiu Miaojin, but the one-way nature of voicemails didn’t work for me when I tried them. Because the images were already heightened I thought the language you hear should be more casual, so the textures don’t feel too rich.  

The relationship between mother and daughter is special. The openness with which they also talk to each other – how did this constellation come about? 

I thought about conversations between my mom and I. She is very direct with her advice, and speaks openly to me about her regrets and triumphs. It takes some time for me to decide whether or not I agree with her due to how strongly she frames this advice as truth. I wrote the first part of the dialogue for the mother to give her daughter what I believe to be strongly held but bad advice, and then what was amazing was we were able to get the actor Tina’s real mother opposite her, and I instructed Tina to have an open conversation with her mom where she requests similar advice. I was lucky that they have a really good relationship, and so that trust shows up in the film. 

Why did you decide on the flashback structure and the almost fragmentary approach? 

I experience memories as multiple and simultaneous interruptions in the present, so I wanted the film to formally reflect that. 

What was visually important to you? 

The images should take some time to unfold in your brain, I don’t like when something is immediately apparent in the shot and then we are just waiting for it to be over. My favorite image is actually test footage with a worse camera than the one we used for principal photography. I loved the jerky movement of my cinematographer trying to capture these swans because you felt the effort it took to create this imperfect image, and then the swans are just so indifferent to us, they have their own relationships with each other and we are only glimpsing them. I thought that was a great feeling for the film at large, us trying to capture these fragments of memories to stitch them together. 

How did you find the cast for your film – what was important to you in choosing the actresses? 

I love actors that can hold onto their own privacy in films, they are not pushing out anything for us, they are just responding to something in the moment. I had cast these two actors, Tina Wonglu and Joyce Keokham, in my first real short a few years ago because I thought on screen they seem like real people, not actors who are trying to show us something. I think it’s odd sometimes that good acting is seen as the distance between your “real” personality and who you are playing, when of course who you are informs how you act, and using that relationship is a strength. I think a quality they both have onscreen and off is hostility actually, and it is my favorite characteristic I think I share with them. As another child of Chinese immigrants. I feel extremely suspicious of “being seen,” i.e. who you are trying to get to like you, or which gazes you are assuming the camera represents. I hate when I feel like the director, actors, or story are begging the audience to like or pity them, since to me that feels degrading. Thus, I really love Tina and Joyce because I think we are kind of angry, and as actors, they know what I mean when I tell them to hold back and to not make everything so apparent.

Finally, can you tell me a little bit about yourself and how you came to make the film? 

I went to one of the few public graduate film schools in America that had just been founded a few years earlier, where the main factor in my decision to go was a guaranteed grant for the final film. The script I wrote for it was a series of vignettes I would switch around, just moments from a relationship after it was over, and I knew I had to be able to make it cheaply to not worry about raising additional funds. Prior to filmmaking, I had this mental split where I wanted to privately paint and publicly write, but in my literary writing I kept wanting to describe images which are so laborious to read, it’s what I would skip over myself as a reader, and I hated those sentences that contorted themselves to describe an image in as few words as possible, they became these pious, unnatural ornaments. Filmmaking seemed impossible to do since it required other people and technical knowledge but to find out I took a few one off video classes and they were just so much more fun, I felt relieved to finally find a craft that suited me.

Are there any new projects planned? 

I’m working on a feature script about a younger woman stalking an older woman who is a photographer. I think there will also be a time travel element, but a really simple one, I don’t like the mechanical discussion of that, just the nice metaphors. 

Questions asked by Doreen Matthei

Read on the german review of the shortfilm “More Happiness” 

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