Neun Fragen an Carmen Aumedes Mier

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Interview: Im Gespräch mit der spanischen Filmemacherin Carmen Aumedes Mier konnten wir mehr über den Kurzfilm „I’m too Busy“ erfahren, der auf dem 33. Filmfest Dresden 2021 im Internationalen Wettbewerb lief. Sie erzählt uns, wie es sie nach China verschlug, auf welchem Weg sie ihre Hauptdarstellerin fand und wie sie ihre verschiedenen Themen halb fiktional, halb dokumentarisch miteinander vereint. 

The original English language interview is also available.

Was sind die Ursprünge der Geschichte deines Films?

I’m too Busy“ wurde als Dokumentarfilm gedreht und im Schnittraum in einen Spielfilm umgewandelt. Nachdem ich für das ‚Looking China‘-Programm ausgewählt worden war, musste ich mich für ein Thema aus den verschiedenen Optionen entscheiden, die uns das Programm bot. Ich entschied mich für Jitterbug Square Dancing, weil ich verstehen wollte, warum Hunderte von 60-jährigen Chinesen jeden Tag in einer Militärtracht tanzen. Ich habe mich schon immer für Frauen mittleren Alters und ältere Frauen interessiert, da ich in ihnen mein zukünftiges Ich widergespiegelt sehe. Ich bin auf der Suche nach attraktiven und realitätsnahen Bezugs-Frauen. So entstand die Geschichte, nachdem ich Oceans Haus, Familie und Freunde gefilmt hatte, indem ich mir verallgemeinerbare Charakterzüge ausdachte und aufbaute: Ich war nicht in der Lage, ihre Sprache – Chinesisch – zu verstehen, aber es gab eine Verbindung unter unserer Kommunikation, dem Alter und der kulturellen Distanz.

Besonders gelungen ist die Mischung aus ernsten, melancholischen Themen und Humor – kannst Du mir etwas zu diesem Ansatz für Deinen Film erzählen? 

Diese Mischung aus Ernsthaftigkeit, Melancholie und Humor ist es, die den Tenor des Films bestimmt. Ich kann mir das Drama nicht ohne Humor vorstellen, oder das Gegenteil. Jeder Konflikt kann zu einer Tragödie werden, es kommt auf den Blickwinkel und den Abstand des Betrachters an. Ohne respektlos oder rücksichtslos sein zu wollen, lockert ein bisschen Komik die Tatsache auf, dass wir uns zwar sehr ernst nehmen können, es aber nicht langweilig werden sollte.

Warum hast Du Dich für ein Voice Over entschieden?

Ouyang Rongping

Die Sprecherin ist ein starker Kontrapunkt, aber diese Art von Entscheidungen entstehen aus der Intuition heraus. Mein Ziel war es, einen ehrlichen Blick auf Shanghais Jitterbug zu werfen, aber ich habe nur einen Monat in China verbracht und hatte nicht die Zeit, in Oceans Universum einzudringen, es zu verstehen und darin einzutauchen. Das einzig wirklich Ehrliche, was ich anbieten konnte, war, ob es mir gefällt oder nicht, meine persönliche Sichtweise. Nach dieser Einsicht fügte ich meine eigene Stimme durch eine falsche Ocean-Gedankenstimme ein und gab den Bildern so einer zweiten Stimme. Wahrscheinlich war das nicht die beste ethische Entscheidung.

In Deinem Film steckt viel drin – das Miteinander von langjährig Verheirateten, den Umgang mit erwachsenen Kinder, ältere Menschen und neue Medien und auch die Selbstverwirklichung als Frau – was stand für Dich persönlich im Fokus?

Der Schwerpunkt lag darauf, die Dreharbeiten als Mittel zum Kennenlernen der chinesischen Kultur zu nutzen. Es begann als Forschungsprojekt und endete als Fiktion; in jedem Fall konzentrierte ich mich auf die Hypothese ‚60-jährige Shanghaierinnen haben das Bedürfnis, einer Jitterbug-Gruppe beizutreten, weil sie ihr ganzes Leben damit verbracht haben, sich um ihre Familien zu kümmern, ohne ein Berufsleben außerhalb des Hauses zu haben, und sich nun gelangweilt und leer fühlen‘. Um meine Hypothese in einem 10-Minuten-Film zu beweisen, habe ich mich auf eine einzige Hauptfigur konzentriert und nur ihre Geschichte erzählt. Der Hauptpunkt ist also Oceans Selbstverwirklichung als eine ältere Shanghaierin. 

Du hattest wie bereits ja erwähnt nur einen Monat Zeit zur Realisierung – Kannst Du mir ein bisschen mehr zu den Drehbedingungen und den Rahmen, in der Dein Film entstand, erzählen?

Ouyang Rongping

Das ‚Looking China‘-Programm lädt internationale junge Filmemacher ein, einen kurzen Dokumentarfilm über die chinesische Kultur zu drehen. Das Team von „I’m too Busy“ bestand aus zwei Personen: Mory, eine lokale Freiwillige und Journalismusstudentin, die als Produzentin, Übersetzerin und Tonassistentin vor Ort arbeitete, und mir. Es ist wahrscheinlich das kleinste Filmteam, mit dem ich je gearbeitet habe. In 25 Tagen haben Mory und ich den Film vorbereitet, gefilmt und geschnitten. Wir haben zwei-drei Tage damit verbracht, Ocean zu finden, ihr ein bisschen näher zu kommen und die Drehorte zu finden. Wir haben fünf Tage lang gefilmt – der Drehplan bestand darin, sie in ihrem alltäglichen Leben und ihrer Agenda zu begleiten und zu versuchen, einen erzählerischen Zusammenhang herzustellen – und schließlich haben wir sechs Tage lang zusammen mit anderen eingeladenen Filmemachern in einem Schneideraum geschnitten. Ich hatte auch noch drei-vier Tage Zeit, um das Voiceover aufzunehmen, den Ton zu gestalten und zu bearbeiten und schließlich die Farbkorrektur vorzunehmen. Ziemlich anspruchsvoll!!!

Was lag Dir visuell am Herzen?

Die Kameraführung war eine der stärksten Säulen: ein persönlicher ständiger Leitfaden war es, die beste Position zu finden, um Ocean in Beziehung zu Raum und Kontext zu setzen. Ich habe versucht, Luft und Raum um Ocean herum zu schaffen, um die ganze ‚aufgefüllte Leere‘ um sie herum zu zeigen. In der Geschichte versucht sie zu fliehen, und mein Ziel war es, deutlich zu machen, dass sie nicht in ihr Leben passt (das Haus, der Kleiderladen, der Park…). Das ist auch der Grund, warum die Aufnahmen meist in der Totalen sind, bis sie sich schließlich einer Jitterbug-Gruppe anschließt. Was die künstlerische Leitung betrifft, so habe ich versucht, so wenig wie möglich einzugreifen. Die realen Räume haben mich inspiriert und mir sehr geholfen, die Storyline zu finden, also habe ich sie natürlich gehalten.

Wie hast Du Deine großartige Hauptdarstellerin Ouyang Rongping gefunden?

Ouyang Rongping

Ich arbeite normalerweise auf klassische Weise: Ich schreibe einen Text, eine Figur und beginne dann mit dem Casting, um die besten Schauspielerin zu finden, welche die Geschichte ausfüllen und erzählen kann. In diesem Fall wusste ich nicht, was aus der Geschichte werden würde, also wurde mir klar, dass das Wichtigste für mich war, jemanden zu finden, die bereit war, ihre Haustür zu öffnen. Jemanden, der es nichts ausmacht, wenn ich sie beim Pinkeln, Niesen oder Essen filmte. Charisma (was für mich das Wichtigste ist) wurde bei dieser Gelegenheit fast zweitrangig. In den zwei Tagen, die uns für die Vorbereitung des Films zur Verfügung standen, nahmen wir Kontakt zu einigen Jitterbug-Gruppen auf, um sie zu besuchen und ihnen unser Dokumentarfilmvorhaben zu erläutern. Als wir die Jitterbug-Gruppe von Ocean trafen, war sie eindeutig die interessanteste. Als ich ihre umwerfende Sammlung von Jitterbug-Uniformen und glitzernden Mützen sah, hatte ich keinen Zweifel, dass sie die Richtige war.

Kannst Du mir am Schluss noch ein bisschen mehr von Dir erzählen und wie Du zum Film gekommen bist?

Wir drehten im April 2020. Ich hatte gerade mein Studium der Filmregie an der ESCAC (Filmhochschule Barcelona) abgeschlossen und mein Abschlussprojekt „Marleni, no Marlen“ (ein Kurzfilm) befand sich in der Postproduktion. Ehrlich gesagt, hatte ich mich vorher nicht für die chinesische Kultur interessiert, aber ich freute mich darauf, weiter Regie zu führen, und dieses Projekt erschien mir sehr reizvoll. Die ESCAC hatte schon früher mit dem Programm Looking China zusammengearbeitet, und ich hatte das Glück, für diese Ausgabe – die letzte vor Ort – ausgewählt zu werden.

Sind bereits neue Projekte geplant?

Ich bin Co-Autorin eines Spielfilms mit einer in Barcelona ansässigen Produktionsfirma. Gleichzeitig arbeite ich an zwei Serienideen. Ich schaffe es, all diese neuen Projekte mit meinem PPE-Studium (Philosophie, Politik und Wirtschaft), meinem Job als Casting-Assistentin/Regisseurin und meiner psychischen Gesundheit zu kombinieren. Mein nächster Film als Regisseurin und Kamerafrau, der – hoffentlich vor 2022 – veröffentlicht wird, ist ein 10-Minuten-Kapitel für die französische Serie Grandma’s Project (Chaï Chaï Films). 

Die Fragen stellte Doreen Matthei
Übersetzung von Michael Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „I’m too Busy


Interview: In a conversation with Spanish filmmaker Carmen Aumedes, we were able to learn more about the short film “I’m too Busy“, which was one of the International Competition films at the 33rd Filmfest Dresden 2021. She tells us how she ended up in China, the path she took to find her leading woman and how she combines her various themes in a half-fictional, half-documentary way. 

What are the origins of the story of your film?

I’m too Busy” was filmed as a documentary, and converted to fiction at the editing room. Once I was selected for the ‚Looking China‘-program, I had to choose a topic between different options the program offered to us. I chose Jitterbug Square Dancing because I wanted to understand why hundreds of 60-year-old Chinese women are dancing everyday in a military dress. I’ve always been interested in mid-age and older women, as I see my future self reflected on them. I’m kind of searching for attractive and real-women-style referents. Thereby, the story was born, after filming Ocean’s house, family and friends, by imagining and building up universalizable traits: I wasn’t able to understand her language – Chinese – but there was a link underneath our communication, age and cultural distance.

I especially like the mix of serious, melancholic themes and humor – can you tell me something about this approach for your film?

This mix of seriousness, melancholy and humor is what shapes the film tone. I can’t imagine the drama without humour, or the opposite. Every conflict can become a tragedy, it depends on the viewpoint and the terms’ distance to the eyes. Trying not to be disrespectful or inconsiderate, a bit of comedy lightens up the fact that, although we can take ourselves very seriously, we shouldn’t make it boring.

Why did you decide to do a voice over?

The voice over is a strong counterpoint, but these types of decisions come up by intuition. My objective was to offer an honest look at Shanghai’s Jitterbug but I only spent one month in China and I didn’t have the time to penetrate, understand and immerse into Ocean’s universe. The only true honest thing I was able to offer was, like it or not, my personal point of view. Following that insight, I inserted my own voice through a false Ocean thoughts’ voice over, giving a second lecture to the images. Probably not the most ethical decision actually.

There is a lot in your film – the coexistence of long-time married people, dealing with adult children, older people and new media and also the self-realization as a woman – what was the focus for you personally?

The focus was to use the filming as a tool to get to know Chinese culture. It started as a research project and ended up as a fiction; anyway, I focused on the hypothesis “60-year-old Shangainese women have the need to join a Jitterbug group because they have spent all their lives taking care of their families, with no professional life outside the house, and now they feel bored and empty”. In order to prove my hypothesis in a 10’ film, I focused on only one main character and explained just her story. The main point is, therefore, the self-realization as a Shanghainese older woman for Ocean. 

As already mentioned, you only had one month to realize the film – can you tell me a bit more about the shooting conditions and the context in which your film was made?

The ‚Looking China‘-program invites international young filmmakers to film a short documentary about Chinese culture. “I’m too Busy“s team was composed by two people: Mory, a local volunteer and journalism student who worked as a field producer, translator and sound assistant, and me. It’s probably the smallest film crew I’ve ever worked with. In 25 days Mory and I prepared, filmed and edited the movie. We spent 2-3 days trying to find Ocean, become a bit closer to her, find the shooting locations. We filmed for 5 days – the shooting plan consisted of following her in her ordinary life and agenda, trying to build up a narrative coherence – and finally, we edited together with other invited filmmakers in an editing room for 6 days. I also kept 3-4 days to record the voiceover, design and edit the sound and finally do the color grading. Pretty challenging!!

What was your main focus visually?

Camera direction was one of the strongest pillars: a personal permanent guide was to find the best position to relate Ocean to space and context. I tried to give air and space around Ocean, to show all the “refilled emptiness” around her. In the story, she is trying to scape and my aim was to make obvious that she doesn’t match her life (the house, the clothes shop, the park…). This is also the reason why the shots are mostly wide until she finally joins a Jitterbug group. Regarding art direction, I tried a minimum intervention… The real spaces were inspiring to me and helped me a lot to find the storyline, so I kept them natural.

How did you find your great leading actress Ouyang Rongping?

I usually work in a classical way: I write a text, a character, then start a casting process to find the best actor to fill and tell the story. In this case, I didn’t know what the story would become, so I realised that the most important thing to me was to find someone that was willing to open her house doors. Someone who didn’t care if I filmed her while peeing, sneezing, eating. Charisma (what’s the most important to me) became almost secondary on this occasion. In the two days we had to prepare the film we contacted a few Jitterbug groups to visit them and explain our documentary plan. When we met ocean’s Jitterbug group she was clearly the most interesting one. When I saw her stunning collection of Jitterbug uniforms and glittery caps, I had no doubt she was the one.

Finally, can you tell me a bit more about yourself and how you came to make the film?

We shot in April, 2020. I had just finished my cinema direction studies at ESCAC (Barcelona Film University) and my graduation project “Marleni, no Marlen” (a short film) was at post production stage. Honestly, I hadn’t been interested in Chinese culture before, but I was looking forward to keeping on directing and this project appeared super succulent. ESCAC had collaborated with Looking China program before and I was fortunately selected for that – the last in person – edition.

Are there already new projects planned?

I am co-writing a feature film with a production company based in Barcelona. At the same time, I’m working in two series ideas. I’m managing to combine all these new projects with my PPE (Philosophy, Politics and Economics) studies, my job as casting assistant/director and my mental health care. My next film as a director and cinematographer to be released – hopefully before 2022 – is a 10’ chapter for a French series Grandma’s Project (Chaï Chaï Films). 

Questions asked by Doreen Matthei

Read on the german review of the short film “I’m too Busy

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