Studium der Kunstgeschichte - Schwerpunkt: Filmgeschichte (Abschluss 2010 mit der Arbeit "Rembrandt im Spielfilm") Nebenfächer: Philosophie und Alte Geschichte
- seit 2012: Filmkritikerin bei movieworlds (Kino, DVD, BD, Festivalberichte)
- seit 2015: Blog 'Testkammer' online
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14.-18. September 2022 / Casablanca Kino, Cine K, theater hof/19
Festivalbericht: Einst von ‚The Hollywood Reporter‘ als deutsches Sundance-Festival bezeichnet, hat sich das Internationale Filmfest Oldenburg mittlerweile zur festen Größe des Indie-Film-Marktes etabliert. Unter der Leitung von Torsten Neumann fand nun vom 14. bis 18. September 2022 die 29. Ausgabe statt und bot in fünf Tagen 42 Langfilme und 12 Kurzfilme aus 23 Ländern aus den Bereichen Spiel-, Fernseh- und Dokumentarfilm.
Das Festival setzt sich aus verschiedenen Programmen zusammen. In der ‚Internationalen Reihe‘ konnte man 12 Produktionen aus fünf Ländern sehen. Es gab auch fünf deutsche Beiträge, u.a. der Spielfilm „The Ordinaries“ von Sophie Linnenbaum. Mit ihrem Abschlussfilm feierte sie hier Weltpremiere und eröffnete gleichzeitig das Festival, bei dem zuvor die Gäste mit Auszügen aus einem Konzert des Jugendsinfonieorchesters Siam Sinfonietta und dem Trailer eingestimmt wurden. In Anwesenheit einiger Darsteller:innen aus „The Ordinaries“ hatte man die Chance, den Film in der Messehalle auf großer Leinwand zu sehen. Dieser war passend zu einem Filmfestival, geht es in dem Film doch um das Leben als Hauptfigur und wie man sich von den Nebenfiguren und ganzen Filmfehlern unterscheidet. Zudem hatte man in diesem Programm die Chance den neuesten Film von Park Chan-wook, dem Regisseur von Meisterwerken wie „Oldboy“ (2003) und „The Handmaiden“ (2016) zu sehen: „Decision to Leave“ besticht mit dem intensiven Spiel der beiden Hauptdarsteller:innen und einer spannenden, überraschenden Geschichte. Auch konnte man den Cannes-Gewinner „Rodeo“ von Lola Quivoron entdecken. Belebt von der Kraft der Hauptdarstellerin Julie Ledru, dieser unstillbaren Energie und der Liebe zu schweren Maschinen erinnerte der Film ein bisschen an den letztjährigen Gewinner der Goldenen Palme „Titane“ (2021). Neben solchen Schwergewichten konnte man auch ruhigere Filme, wie „Alma Viva“ von Cristèle Alves Meira entdecken, der von Verlust und Magie gleichermaßen erzählt.
In der ‚Independent‘-Reihe waren 12 Filme aus neun Ländern vertreten. In dieser Sektion wurden auch vier der insgesamt sechs Preise verliehen. Gleich zwei Preise (den German Independence Award für den Besten Film sowie den Seymour Cassel Award für den besten Darsteller) erhielt der irische Film „The Black Guelph“, der vom klerikalen Missbrauch in Irland handelt. Den Spirit of Cinema Award, der für den besonderen Spirit des Unabhängigen Kinos steht, gewann der kasachische Film „Brothers“ von Darkhan Tulegenov, der im Q&A sagte, es sei ein Liebesfilm zwischen zwei Brüdern, der aber nur den konsequenten Niedergang von zweien zeigte, die sich nicht gut tun. Zu recht gewann die Darstellerin Cyndie Lundy den Seymour Cassel Award als Beste Darstellerin für ihre Rolle in „Parsley“, einem Film, der die Zuschauer:innen durch seine intensive Darstellung des Genozids von 1937 an der haitianischen Bevölkerung bis ins Mark erschüttert. Auf andere Art bewegend war der Spielfilm „Linoleum“ von Colin West. Er erzählt darin die Geschichte eines Mannes, der Astronaut werden möchte und dafür eine Rakete in seiner Garage baut. Er ist hervorragend besetzt mit dem Komiker Jim Gaffigan, der hier auch seine ernsten Seiten zeigt, und der Jungdarstellerin Katelyn Nacon („The Walking Dead“). Zwei kleinere Independent-Filme werfen jeweils ein Schlaglicht auf eine bestimmte Bevölkerungsschicht. Der amerikanische „Way Out Ahead of Us“ von Bob Rice erzählt mit starken dokumentarischen Einflüssen von einem Leben auf dem Land in Kalifornien und „We don’t Dance for Nothing“ von Stefanos Tai portraitiert auf artifizielle Weise das Leben der vielen philippinischen Arbeitskräfte in Hongkong.
Abgerundet wurde das Festival mit der Retrospektive zu Peter Hyams und John Hyams Filmen u.a. „Outland“ (1981), „Universal Soldier: Day of Reckoning“ (2012) und „Alone“ (2020). Zudem gab es einen Tribute-Reihe für Andrea Rau: Die deutsche Schauspielerin hat in 19 Filmen mitgewirkt und war wie John Hyams persönlich beim Festival anwesend. Zudem gab es noch die ‚Midnite Express‘-Reihe, in der Horror-/Fantasy-Genre-Filme gezeigt wurden, u.a. konnte man das filmische Essay „Brutal Moods“ von Marta Bisbal Torres sehen, das sich mit der Betonarchitektur in Filmen beschäftigt. Außerdem lief dort der Film „Aberrance“ von Baatar Batsukh, der mit dem Audacity Award ausgezeichnet wurde. Neben den unzähligen Langfilmen gab es auch 12 Kurzfilme zu sehen. Da stachen besonders die beiden Filme „Still is“ aus Japan und „The Sound of Dreaming“ aus Nepal hervor. Den Preis für German Independence Award – Bester Kurzfilm erhielt der Kurzfilm „Jockstrap Jesus“ von Samuel Bereuther, der sich mit dem Münchhausen-by-Proxy-Syndrom beschäftigt.
Fazit: Das niedersächsische Städtchen Oldenburg stand fünf Tage lang, wobei man immer erst am Nachmittag mit den Kinovorstellungen begann, ganz im Sinne des Independent-Films. An mehreren Spielstätten und mit nur je zwei Vorstellungen pro Film hatte man bei dem reichhaltigen Angebot die Qual der Wahl, u.a. ob man sich eher dem Spielfilm oder dem Dokumentarfilm zuwenden, sich in der Retrospektiven verlieren oder sich neueste Produktionen aus allen Ländern widmen wollte. Es gab wenig Rahmenprogramme oder Anmoderationen, dafür aber Filme satt, ab und zu mit einem Q&A gewürzt.