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Die 55-jährige Nancy Stokes (Emma Thompson) hat nach einer langjährigen Ehe und ausschließlich einem Liebespartner beschlossen, ihren sexuellen Horizont zu erweitern, Dinge auszuprobieren und vielleicht sogar ihren ersten Orgasmus zu erleben. Ihr bisheriges Leben verlief konservativ und sie ging mit der richtigen Mischung aus Strenge und Erziehung ihrem Beruf als Religionslehrerin nach. Jetzt, ganz gegen ihre moralischen Vorstellungen, engagiert sie einen Callboy. In einem Hotelzimmer trifft sie sich mit dem jungen Leo Grande (Daryl McCormack). Bevor es zur Sache geht, hat sie das Bedürfnis, sich zu erklären und auch beim nächsten Treffen gibt es noch viel zu erörtern, bevor sie sich ihre Wünsche erfüllt.
Prinzipiell möchte man den Film, der auf der 72. Berlinale 2022 in der ‚Berlinale Special Gala‘ lief, in den höchsten Tönen loben. Die Regisseurin Sophie Hyde (*1977) und ihre Drehbuchschreiberin Katy Brand (*1979) erschufen eine Geschichte über eine ältere Frau, die lernt, ihren Körper zu akzeptieren und aus ihm heraus Lust zu gewinnen. Sexuelle Freiheit, Experimentierfreude und Selbstbestimmung kennzeichnen die Geschichte und man wünscht der Hauptfigur, auch gerade weil sie von Emma Thompson gespielt wird, all das. Doch neben den guten Ansätzen ergeben sich doch ein paar Fragen: Warum muss es so ein junger Liebhaber sein? Wie würde man den Film wahrnehmen, wenn ein älterer Mann eine jüngere Prostituierte nimmt? Warum muss der Callboy unbedingt eine schwierige Vergangenheit besitzen? Warum werden hier, obwohl es nicht notwendig erscheint, zwischen den beiden Konflikte geschürt? Diese geben der ansonsten starken positiven Botschaft einen leicht schalen Beigeschmack, machen den Film mehr zum Drama, der damit die Leichtfüßigkeit einer Komödie verliert, die Sex eindach als etwas Natürliches und Unproblematisches feiern könnte.
Warum der Film trotzdem noch eine Sichtung wert ist, liegt an dem Spiel der beiden Hauptdarsteller:innen Emma Thompson („Sinn und Sinnlichkeit“ (1995), „Kindeswohl“ (2017)) und Daryl McCormack („Peaky Blinders“ (2019)). Nach eigenen Aussagen wurden Szenen auch komplett nackt geprobt, um die Befangenheit mit dem eigenen Körper zu nehmen. Genau diese Offenheit und Ehrlichkeit merkt man dem Film an. Es macht Freude, den beiden bei der Annäherung zuzusehen. Der Film selbst ist bis auf wenige Szenen ein Kammerspiel, das sich ganz auf seine zwei Darsteller:innen verlassen kann. Die kühle Atmosphäre des Hotels hilft dabei genauso, wie der unaufdringliche Score von Stephen Rennicks. So ist der Film großes Schauspielerkino, welche mit viel Offenheit in ihren Rollen glänzen.
Fazit: „Meine Stunden mit Leo“ ist ein britischer Spielfilm von Sophie Hyde, der die Sexualität der Frauen und ihr Verhältnis zu ihren Körpern ins Zentrum der Geschichte stellt. Hervorragend besetzt mit Emma Thompson und Daryl McCormack denkt er das Thema aber leider nicht ohne emotionalen Ballast zu Ende. Doch das Spiel macht auch die Schwächen des Drehbuchs wett, so dass man trotzdem gut unterhalten wird und sich mit der Thematik beschäftigt.
Bewertung: 6/10
Kinostart: 14. Juli 2022
Trailer zum Film „Meine Stunden mit Leo“:
geschrieben von Doreen Kaltenecker
Quellen:
- Wikipedia-Artikel über den Film „Meine Stunden mit Leo“
- Kathleen Hildebrand, ‚„Meine Stunden mit Leo“ im Kino: Termin beim Sexheiligen‘, sueddeutsche.de, 2022
- dpa, ‚Komödie: “Meine Stunden mit Leo”: Im Hotelzimmer mit Emma Thompson‘, zeit.de, 2022
- Ulrich Sonnenschein, ‚Kritik zu Meine Stunden mit Leo‘, epd-film.de, 2022