Studium der Kunstgeschichte - Schwerpunkt: Filmgeschichte (Abschluss 2010 mit der Arbeit "Rembrandt im Spielfilm") Nebenfächer: Philosophie und Alte Geschichte
- seit 2012: Filmkritikerin bei movieworlds (Kino, DVD, BD, Festivalberichte)
- seit 2015: Blog 'Testkammer' online
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Filmkritik: Der Regisseur Richard Eyre und der britische Autor Ian McEwan haben vor über 30 Jahren bereits mehrmals zusammengearbeitet und wollten seitdem mal wieder gemeinsam ein Projekt umsetzen. Als Ian McEwan 2014 den Roman “Kindeswohl” schrieb, spielten die zwei schon mit dem Gedanken den Stoff zu verfilmen. Aus der Idee wurde Wirklichkeit und so startet bald der Spielfilm “Kindeswohl” (OT: “The Children Act”, UK, 2017) mit der großartigen Emma Thompson in der Hauptrolle in den deutschen Kinos.
Als hochrangige Richterin am High Court of Justice beschäftigt sich Fiona Maye (Emma Thompson) mit den schwierigen Fällen des Familienrechts. Diese Arbeit nimmt sie so sehr ein, dass ihre Ehe mit Jack (Stanley Tucci) in Gefahr gerät. Gerade an einem schwierigen Punkt in ihrer Beziehung, an dem Jack davon spricht eine Affäre haben zu wollen, wird sie mit dem schwierigen Fall des Adam Henry (Fionn Whitehead) betraut. Der 17-jährige Junge ist an Leukämie erkrankt, verweigert aber aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas eine Bluttransfusion. Richterin Maye muss schnell zu einem Urteil kommen, denn es geht um Leben und Tod.
Die Idee zum Roman bekam der britische Schriftsteller Ian McEwan (*1948), der seit Jahren die britische Literaturlandschaft mit Büchern wie “Abbitte” (2001) und Amsterdam (1998) mitgestaltet, schon vor einigen Jahren, als er bei einem Dinner mit Richtern entdeckte, dass das Familienrecht viele spannende Fälle parat hielt. Nach intensiver Recherche entstand 2001 der Roman “Kindeswohl” (OT: “The Children Act”). Wie auch schon bei der letzten Verfilmung eines seiner Werke, “Am Strand” (2017), schrieb er das Drehbuch für den Film gleich selbst. Auch wenn er anfänglich wenig Lust dazu hatte, wollte er es keinem anderen überlassen. So kam es wieder zu einer Zusammenarbeit des Autors mit dem Regisseur Richard Eyre.
Eyre, geboren 1942 in Barnstaple, Devon (England), hatte sich mit den Filmen “Iris” (2001) mit Judi Dench und “Tagebuch eines Skandals” (2006) bereits einen Namen gemacht. So schuf er auf Grundlage des Romans und Drehbuchs von Ian McEwan einen stimmigen Film, der es schafft die Balance zwischen zwei Genres zu halten. Auf der einen Seite erzählt er uns ein spannendes Gerichtsdrama, das nah an der Realität bleibt und viele Einblicke in das Leben einer hochangesehenen Richterin gibt. Dabei fängt er die Arbeit und die Belastung, welche diese Position mit sich bringt, gut ein. Auf der anderen Seite erzählt der Film davon, wie sich eine langfristige Beziehung im Laufe der Jahre verändert und wie man damit umgehen kann. Besonders gut fängt der Film die Diskrepanz zwischen Wortgewandtheit im öffentlichen Bereich und den Kommunikationsprobleme im Privaten der Hauptheldin ein.
Diese Genrevermischung, welche wir bereits bei Abbitte (2001) gesehen haben, hätte auch nicht funktionieren können. Doch nicht nur die realitätsnahe Gestaltung der Dialoge, sondern vor allem die Wahl der Schauspieler tragen zum Funktionieren des Films bei. Allen voran Emma Thompson (*1959), welche sich schon seit Jahren immer wieder mit Filmen wie “Sinn und Sinnlichkeit” (1995), “Tatsächlich Liebe” (2003), “Saving Mr. Banks” (2013) und “Jeder stirbt für sich allein” (2016) in die Herzen der Zuschauer spielt und es schafft jede Nuance von Gefühlen einzufangen und dabei stets auch Humor zuzulassen. Ebenfalls wunderbar ausgewählt ist ihr Gegenpart: Stanley Tucci schafft es, dem Ehepaar trotz seiner Schwächen, viele Sympathien zu verleihen, sodass der Zuschauer sich auf seine Seite stellt, weil er das Problem angehen will. Hinzu kommt das noch recht unbekannte Gesicht von Fionn Whitehead (bisher nur gesehen in “Dunkirk” (2017)), der den zerbrechlichen und in seinen Gefühlen schwankenden Adam Henry wunderbar einfängt. Abgerundet von einem sehr gut ausgewählten Ensemble von Nebendarstellern mausert sich der Film zu einem sehenswerten Schauspielerkino. Hinzu kommt die solide formale Ausgestaltung, welche vor allem durch die Betonung der schönen Seiten Londons ins Auge fällt.
Fazit: Der Spielfilm “Kindeswohl” ist, wenn man es so ausdrücken, ein typischer Ian McEwan-Film, der eine Geschichte erzählt, welche größere Ereignisse mit sehr menschlichen Problemen verbindet. Hier gibt der Film, unter der Regie von Richard Eyre, einer kriselnden Ehe und einem Gerichtsurteil gleich viel Raum und schafft dabei eine gut funktionierende Mischung. Das liegt auch an den hervorragenden Darstellern, allen voran Thompson und Tucci, die es schaffen jegliche Plattitüden zu vermeiden und echte Gefühle ins Spiel zubringen. Das macht “Kindeswohl” zu einem gelungenen Kinofilm mit viel Herz und einer überaus interessanten Hintergrundgeschichte.
6 Gedanken zu ““Kindeswohl” (2017)”