Berlinale Shorts 2022

Doreen Kaltenecker
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10.-20. Februar 2022

Internationale Filmfestspiele Berlin / Claudia Schramke, Berlin

Festivalbericht: Unter anderen Bedingungen fand in diesem Jahr die 72. Berlinale zur gewohnten Zeit im Februar statt, lockte viele BesucherInnen an und bot wie in jedem Jahr eine gelungene Mischung aus internationalen Beiträgen. Auch die ‚Berlinale Shorts‘, welche seit über 14 Jahren ein fester Bestandteil des Festivals sind und seit 2019 von Anna Henckel-Donnersmarck kuratiert werden, boten ein ebenso vielfältiges Programm und präsentierten 21 Kurzfilme aus 19 Ländern.


Der Kern vieler Berlinale-Kurzfilme ist oft gesellschaftskritischer Natur. Durch das Medium Film blicken die Regisseure und Regisseurinnen auf die heutige Zeit und verwenden dafür oft persönliche oder poetische Ansätze. Die Gestaltungsformen und die Genrezugriffe sind dabei mannigfaltig und oft vermischt sich die Grenze zum Dokumentarischen. Auch bei dem Gewinnerfilm des Goldenen Bären – „Trap“ von Anastasia Veber – ist dies der Fall. Er ist gleichzeitig eine Studie junger Olympioniken, sachlich, beinah dokumentarisch betrachtet, doch die Bilder werden immer wieder durch experimentelle Sequenzen unterbrochen. Öfters wird in dem Programm auf die experimentelle Erzählform zurückgegriffen, um persönliche Stoffe („It’s Raining Frogs Outside“), ein Land, eine Stimmung oder eine Stadt („The Sower of Stars) zu portraitieren. Nah an dieser Erzählform dran sind auch die drei Animationsfilme des Programms, die doch dabei sehr unterschiedlich sind. Der französische Kurzfilm A Story for 2 Trumpetserzählt in Anlehnung an die großen Surrealisten die persönliche Geschichte der Künstlerin-Werdung. Der sanfte Kurzfilm House of Existencebraucht keine Worte um Verlust und Melancholie spürbar zu machen. Der faszinierendste Beitrag unter den Animationsfilmen war der neueste Film von Atsushi Wada („My Exercise“): „Bird in the Peninsula. Der japanische Kurzfilm spielt gleichzeitig mit düsteren wie Coming-of-Age-Themen und fordert die ZuschauerInnen auf, die teils sehr abstrakten Bilder selbst zu deuten.

Neben den eher verklausulierten Kurzfilmen, gab es auch viele, die stark im Dokumentarischen verhaftet sind. Dabei stechen natürlich die beiden Filme Dirndlschuld“ von Wilbirg Brainin-Donnenberg sowie „Memories from the Eastern Front von Radu Jude (Gewinner der letztjährigen Berlinale mit seinem Film „Bad Luck Banging or Loony Porn“) heraus. Der erste arbeitet dabei mit persönlichen Videomaterial und erläutert in einem essayistischen Voice-Over die Bedeutungsebene und die persönliche Geschichte. Der zweite Film zeigt 30 Minuten lang stumm alte Fotografien, welche den Weg des 6. Regiments der rumänischen Armee im Zeiten Weltkrieg erzählen. Der ebenfalls wortlose Film „Agrilogistics“ fängt faszinierend die Automatisierung der Landwirtschaft ein. Der besonders starke Kurzfilm Haulout von Evgenia Arbugaeva und Maxim Arbugaev entführt uns an einen unwirtlichen Ort, wo sich einmal im Jahr über 100.000 Walrosse zur Paarung versammeln und raubt einem mit starken Bildern und schockierenden Fakten den Atem. „Heroínas“ von Marina Herrera dagegen tut so als ob sie dokumentarisch die Verehrung einer indigenen Heldin filmisch begleitet und schuf so eine Mockumentary, der man glauben möchte. In den meisten Filmen geht es um starke gesellschaftliche Belange. Besonders gelungen ist „By Flávio von Pedro Cabeleira, der sich wunderbar mit einer alleinerziehenden Mutter sowie dem Umgang mit den sozialen Medien beschäftigt und das erzählerisch wie visuell stimmig einfängt. Auch das queere Kino war mit wenigen Filmen vertreten. „Starfuckers“, ein Rachedrama, stach genauso raus, wie der wortlose „Exalted Mars“, der mit dem Teddy Award ausgezeichnet wurde. Besonders stark waren auch zwei Spielfilme, die sich mit Abschieden beschäftigten. In „Further and Further Away müssen sich zwei Geschwister von ihrer Heimat verabschieden, finden dabei aber ganz unterschiedliche Ansatzpunkte. Der in Somalia spielende „Will My Parents Come To See Me“ erzählt vom letzten Tag eines zu Tode verurteilten jungen Mannes und schafft es mit beinah dokumentarischer Präzision, die Tragik herauszuarbeiten.

Daniel Seiffert / Berlinale

Fazit: Die 21 Kurzfilme des diesjährigen ‚Berlinale Shorts‘-Programms gaben wieder eine ausdifferenzierte Sicht auf die Welt. Aus 19 Ländern, mit verschiedenen Ansätzen, ob nun persönlich, historisch oder als Animation oder Spielfilm, sowie dokumentarisch oder fiktiv bestach die Mischung und erlaubte dem Publikum wieder den Blick über den Tellerrand. So konnte man im Programm sowohl Humorvolles als auch Berührendes entdecken und für sich selbst was mitnehmen, was wieder einmal die Stärke des Mediums Kurzfilm offenbart.
geschrieben von Doreen Matthei
Alle im Bericht erwähnten Filme

  • A Story for 2 Trumpets“ (OT: „Histoire pour 2 Trompettes“, Frankreich, 2022, Regie: Amandine Meyer)
  • „Agrilogistics“ (OT: „Agrilogistics“, UK/Spanien, 2022, Regie: Gerard Ortín Castellví)
  • Bird in the Peninsula“ (OT: „Bird in the Peninsula“, Japan, 2022, Regie: Atsushi Wada)
  • By Flávio“ (OT: „By Flávio“, Portugal/Frankreich, 2022, Regie: Pedro Cabeleira)
  • Dirndlschuld“ (OT: „Dirndlschuld“, Österreich, 2021, Regie: Wilbirg Brainin-Donnenberg)
  • „Exalted Mars“ (OT: „Mars Exalté“, Frankreich, 2022, Regie: Jean-Sébastien Chauvin)
  • Further and Further Away“ (OT: „Chhngai Dach Alai“, Kambodscha, 2022, Regie: Polen Ly)
  • Haulout“ (OT: „Haulout“, UK/Russische Föderation, 2022, Regie: Evgenia Arbugaeva, Maxim
  • „Heroínas“ (OT: „Heroínas“, Peru, 2022, Regie: Marina Herrera)
  • House of Existence“ (OT: „Jon-Jae-Ui Jib“, Republik Korea, 2022, Regie: Joung Yumi)
  • „It’s Raining Frogs Outside“ (OT: „Ampangabagat Nin Talakba Ha Likol“, Philippinen, 2021, Regie: Maria Estela Paiso)
  • „Memories from the Eastern Front“ (OT: „Amintiri de pe Frontul de Est“, Rumänien, 2022, Regie: Radu Jude, Adrian Cioflâncă)
  • „Starfuckers“ (OT: „Starfuckers“, USA, 2022, Regie: Antonio Marziale)
  • „The Sower of Stars“ (OT: „El sembrador de estrellas“, Spanien, 2022, Regie: Lois Patiño)
  • Trap“ (OT: „Trap“, Russische Föderation/Litauen, 2021, Regie: Anastasia Veber)
  • Arbugaev)
  • „Will My Parents Come To See Me“ (OT: „Will My Parents Come To See Me“, Deutschland/Österreich/Somalia, 2022, Regie: Mo Harawe)

Rezensionen zu weiteren Filmen, die auf de Berlinale Shorts 2022 gelaufen sind

  • Born in Damaskus“ (OT: „Born in Damaskus“, Schottland, 2021, Regie: Laura Wadha)

Quellen:

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