Fünfzehn Fragen an Markus Wulf

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© Frederike Wetzels

Interview: Im Zoom-Gespräch mit dem deutschen Filmemacher Markus Wulf konnten wir mehr über seinen Kurzfilm „Louis 1er, Roi des Moutons“, der auf dem 38. Interfilm Berlin 2022 im Deutschen Wettbewerb lief, erfahren, wie er dazu kam das Kinderbuch zu verfilmen und sich dafür entschieden hat, seinen ersten Stop-Motion-Film zu realisieren.  

Wie kamst Du auf die Idee, das Buch „Louis 1er, Roi des Moutons“ von Olivier Tallec zu verfilmen?

Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich war in einer Buchhandlung und dort stand es so, dass ich den Titel und das Bild von dem Schaf mit der Krone in royaler Pose sehen konnte. Es hat mich sofort interessiert. Es erzählt von der Selbstinszenierung von Macht, ist humorvoll und präzise. Mit Themen der Macht habe ich mich schon immer in meinen Arbeiten beschäftigt. Mich interessiert die Verwendung von Machtsymbolen genauso wie die Dynamik hinter den Strukturen. Gleichzeitig bergen diese Themen auch Humor und das verbindet auch das Buch von Olivier. Also war es der perfekte Stoff für mich. Nur mir war klar, dass dies als Animationsfilm erzählt werden sollte, wo ich mich aber nicht auskenne. Ich komme aus einer ganz anderen Ecke: Ich habe mich auf Regie mit Schauspielerführung konzentriert. Doch wie es der Zufall so will, hat mich am nächsten Tag eine Freundin gefragt, die auch Produzentin ist, ob ich schon einmal darüber nachgedacht hätte, einen Stop-Motion-Film zu machen. Und meine Antwort war: „Ja, gestern“. Dann hat sie beim Verlag die Rechte angefragt, die zum Glück sehr kooperativ waren. Dann stand nur noch die Frage im Raum, wie man es finanziert und jetzt anpackt? Doch dann kam die Pandemie. 

Wie weit wart ihr, als die Pandemie euch ausgebremst hat?

Zu dem Zeitpunkt, an dem wir angefangen hatten, war ich gerade in New York und habe an der Columbia University Film studiert. Da kristallisierte sich schnell heraus, dass es mein Abschlussfilm werden sollte und wir begannen mit der Umsetzung. Wir haben zunächst das Drehbuch geschrieben und ich habe ein detailliertes Storyboard gezeichnet. Dann setzte die Pandemie ein und an der Columbia gab es ganz strenge Regeln. Als FilmstudentIn wurden jegliche Filmaufnahmen – auch alleine zuhause mit dem Handy – verboten. Das ist zwar verständlich, aber hatte vor allem auch juristische Gründe. Gerade Animationsfilme lassen sich eigentlich unter Corona-Bedingungen wunderbar verantwortlich umsetzen. Das Filmteam ist klein und man kann miteinander arbeiten, ohne gleichzeitig im selben Raum zu sein. Aber wir haben uns natürlich an die Vorschriften gehalten und so lag das Projekt erstmal auf Eis. Ich habe die Sets dann zur Seite gestellt, was ja das Wunderbare am Animationsfilm ist, denn wenn du wieder beginnst, sind der Himmel und das Licht immer noch dasselbe. Um den Film dann aber doch noch drehen zu können, habe ich ohne Abschlussfilm graduiert. Es war schon etwas komisch, einfach nur ein PDF zu unterschreiben und Tschüss. Dadurch wurde aber aus meinem eingefrorenen Studentenfilm ein freies Projekt, das ich in Deutschland mit deutscher Förderung und meinem Kölner Netzwerk realisieren konnte.

Wie nah bist Du, was die visuelle Ausgestaltung und die Geschichte angeht, an der Vorlage dran? 

Ich liebe den Stil der Vorlage, aber da wir mit einer anderen Technik und in einem anderen Medium gearbeitet haben, verändert sich natürlich auch die Ästhetik. Ich habe mich im Vorfeld mit Olivier in Paris getroffen und wollte seine Vision so genau wie möglich verstehen, aber er hat immer nur gesagt: Mach deinen Film, mach es so, wie du es siehst. Die Vorlage ist in 2D und Oliviers Malstil ist etwas abstrakter und kann durch Auslassungen und Übertreibungen besonders pointiert sein. Wir haben alles in 3D gebaut. Dadurch wird alles gleich sehr konkret: Wolle, Moos, Bling-bling. Das bringt dann aber auch die Möglichkeit mit sich, das Detail zu feiern und das haben wir gründlich getan. Wir haben 40 Sets für den Film gebaut, was völliger Verhältnisblödsinn für einen vierminütigen Film ist. Aber genau darin liegt auch die Komik und die Bedeutung. Es geht um ein zu viel, um Überhöhung und Inszenierung.

Ich orientierte mich bei der Ausgestaltung an dem Look von alten Dioramen in Museen. Dadurch bekam es etwas Lehrhaftes, wo einem hinter Glas die Welt erklärt wird, aber eben auch etwas Kostbares, wie in einer Schatzkammer, oder einem Kuriositätenkabinett. Was wir allerdings direkt von Olivier übernommen haben, ist die Freude an Lichtstimmungen, Wetter und Tageszeiten.

Ist das Ende im Kinderbuch das Gleiche? Und würdest Du sagen, Dein Film ist düsterer als das Buch?

Das Buch endet auf die gleiche Weise und es ist definitiv genau so düster, wie der Film. Aber möglicherweise liest sich das durch das fotografische Medium in meinem Film anders und dadurch düsterer. Ich glaube aber, es wird von Kindern auch anders wahrgenommen als von Erwachsenen. Erwachsene erkennen dann die Leni Riefenstahl Referenzen in der Bildkomposition und kennen die historische Dimension von Schreibtischtätern, während ein Kind wahrscheinlich einfach nur ein stempelndes Schaf sieht.

Hat der Autor den Film gesehen und was hat er dazu ja gesagt?

Er mochte ihn sehr und war sogar etwas gerührt.

Mich interessiert, für welche Zielgruppe Du den Film konzipiert hast, da er auf einem Kinderbuch basiert und anfänglich wie ein freundlicher Kinderfilm wirkt?

Hier muss ich etwas ausholen: Ich komme ursprünglich aus dem Figurentheater und das war auch für mich die Verbindung zum Stop-Motion-Film. Im Theater denken wir weniger in den Kategorien ‚Kinder‘ oder ‚Erwachsene‘, sondern eher in Nachmittags- oder Abendvorstellung. Bei der Inszenierung geht es dann vor allem darum, dem Inhalt gerecht zu werden. So verändern sich die Stücke manchmal und eignen sich für Kinder ebenso wie für Erwachsene. Klar sind manche Themen und Bilder zu verstörend für Kinder, aber langweilig sollten Inszenierungen weder für Kinder noch für Erwachsene sein. 

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich selber als Kind immer misstrauisch war, wenn etwas ‚extra‘ für Kinder gemacht wurde. Als ob die Erwachsenen das wirklich Gute für sich behalten wollen. So ist „Louis 1er Roi des Moutons“ nicht ‚extra‘ für Kinder gemacht, aber absolut für Kinder zumutbar. Aber Filme werden von anderen Leuten programmiert, als sie gemacht werden, und da gibt es eben Kategorien. So laufen wir jetzt manchmal in der Kurzfilm-Sektion, der Kinder-Sektion, der Jugend-Sektion oder, wie in Palm Springs, in der Tier-Sektion.

Kannst Du mir mehr über die Stimmung des Films erzählen und wie Du da Humor mit rein bringst?

© Mariana Saffon

Nachdem ich einer Freundin den Film gezeigt hatte, meinte sie der Film sei ‚unglaublich melancholisch‘. Ich hatte das so noch gar nicht gesehen, aber ich denke, sie hat recht. Es wird viel Düsteres gezeigt, aber nicht als Anklage, oder um irgendeine inspirierende politische Botschaft zu übermitteln, das wäre ja auch Propaganda. Es ist eher eine lakonische Zurkenntnisnahme des ‚sowas kommt von sowas‘, der Macht. Aber genau darin liegt auch der Humor und die Kraft. Weder der Mensch noch das Schaf, noch der Wolf sind schlecht. Machtanspruch ist absurd und das basteln wir hier mal eben niedlich nach. In all seiner Brutalität, aber eben auch Lächerlichkeit. Und am Ende ist die Welt sowieso größer.

Es war ja Dein erster Stop-Motion-Film. Wie hat sich das Medium für Dich angefühlt und würdest Du es nochmal machen?

JJa, das will ich unbedingt wieder machen. Es ist wirklich  grundsätzlich anders als Live-Action. Gar nicht zwangsläufig ästhetisch, sondern vor allem was den Produktionsablauf angeht. Bei Live-Action Drehs plant man zwar auch vor, aber die Magie entsteht am Set. Da kann man dann noch Dinge im Miteinander finden und Zufälle ergeben sich. Später entsteht aus dem Material dann im Schneideraum der Film und erst wenn man den gefunden hat und alles seinen Platz hat, macht man den ‚Picture Look‘. Beim Animationsfilm ist das genau umgekehrt. Nach dem Drehbuch zeichnet man, macht eine einfache Voranimation, das ‚Animatic‘ und wenn dann alles sitzt, macht man den Picture Lock und erst dann fängt man an zu drehen. Man dreht im Grunde genommen den Film erst, wenn er bereits fertig ist.

Obwohl es dann keine Pandemie-Auflage mehr war, habt ihr den Film in einem kleinen Team realisiert, richtig?

Nicht ganz. Am Ende waren deutlich mehr Personen beteiligt, Das Kernteam bestand aus mir, dem Kameramann Taylor Stanton und den beiden Animateurinnen Emily Ann Hoffman und Victoria Arslani. Insofern ein kleines Set, aber durch die ungewöhnliche Produktionsgeschichte, mit der Pandemie, den Unterbrechungen und dem Umzug der gesamten Produktion waren am Ende zu unterschiedlichen Punkten als Producer beteiligt: Su-Jin Song und Levin Hübner aus Deutschland, Maggie Briggs aus den USA und Jorge Granados Ross aus Mexiko. Außerdem haben mir viele Freunde mit den Sets geholfen und die Figuren wurden in meiner Heimat Oldenburg von Beatrice Bader und Arne Wachmann gebaut. In der Postproduktion gibt es dann auch im Animationsfilm genau so viele Positionen wie bei jedem anderen Film. Ich habe wieder mit meinem Komponisten Caspian Shines und Sounddesigner Holger Buff zusammengearbeitet und der Editor war Esteban García Vernaza, der das Projekt von Anfang an begleitet hat.

Wir haben jetzt schon über die Ästhetik des Films gesprochen. Ich persönlich habe mich gefragt, ob Du bei der Umsetzung gezielt Werke u.a. aus der Bildenden Kunst zitierst?

Das ist eine gute Frage. Ich habe nicht bestimmte Gemälde zitiert, aber natürlich gibt es Konventionen, wie ein Königsportrait aussieht, oder ein Schäferidyll und die habe ich natürlich alle im Kopf. 

Zwei direkte Referenzen fallen mir allerdings ein: bei seiner Rede haben wir Louis von schräg unten gefilmt, was eine Leni Riefenstahl Referenz ist und dann trägt das Schaf, dass den sterbenden Schwan tanzt, das Originalkostüm von Anna Pawlowa. Aber das ist natürlich albern. Ästhetik bedeutet letztendlich ja auch immer Haltung und wenn ich in der Haltung präzise sein will, dann auch in der Ästhetik. Also habe ich nicht einfach alles mal golden angemalt, sondern genau hingeschaut, wie Macht sich in der Kunst und Architekturgeschichte selbst inszeniert. Wie genau die Proportionen, Materialien und Fußleisten in so einem Palast eigentlich sind. Ich finde die Imitation da erbarmungsloser als die Karikatur. Wenn das dann hinterher an barocke Gemälde erinnert, ist das eigentlich logisch. Außerdem hatte ich mit meinem Kameramann ein Archiv barocker Gemälde als Referenzen für das Licht. Vielleicht ist es vor allem das, was jetzt an die Kunstgeschichte erinnert.

Du hast beinahe komplett auf Sprache verzichtet. Doch für die wenigen Sätze hast Du mit Isabella Rossellini eine prominente Sprecherin gewonnen, wie kam es dazu?

Ich war bei einem Theaterabend dabei, wo sie viel über die Psychologie von Tieren erzählt hat. Es stellte sich dann heraus, dass sie „Animal Behaviour“ studiert, einen Bio-Bauernhof besitzt und auch Schafe hält, so dass ich dachte, dass das perfekt passt. Meine Produzentin hat dann den Kontakt hergestellt und dann ging alles seinen Weg und ich hatte das Glück, diese tolle Schauspielerin als Sprecherin gewinnen zu können.

Warum habt ihr euch dafür entschieden, auf Französisch zu drehen?

Das hat einen ganz banalen Grund: Die Vorlage ist Französisch. Da gab es also keinen Grund für zwei Sätze auf Englisch zu drehen. Vor allem bei einem deutschen Film. Da sind wir jetzt einfach mal sperrige Europäer. Wir haben allerdings eine deutsche Sprachfassung – gerade auch für den Kinderfilmsektor – realisiert. Dort spricht Mark Waschke den Text ein. Er hat auch in jeder Fassung das Blöken von Louis übernommen und dabei viele verschiedene stimmliche Varianten eingebracht, so klingt das Schaf manchmal wie Hitler und manchmal wie Erich Honecker. 

Wo wird man den Kurzfilm als nächstes zu Gesicht bekommen?

Er läuft im Programm des Filmfestivals Max Ophüls Preis in Saarbrücken.

Kannst Du mir noch ein bisschen mehr zu Deinem Werdegang erzählen und wie Du zum Film gekommen bist?

Ich hatte bereits immer schon großes Interesse am Film. Aber trotzdem habe ich mich erstmal für einen anderen Weg entschieden und bin ans Theater gegangen. Nebenbei habe ich weiter selbst Filme realisiert. Doch 2010 habe ich mich dafür entschieden, an der IFS [Anm. d. Red. Internationale Filmschule] in Köln zu studieren und bin dann für meinen Master nach New York an die Columbia University gegangen. Bis zu meinem geplanten Abschlussfilm habe ich mein Augenmerk hauptsächlich auf Schauspielerführung gesetzt. Da lernt man als erstes, dass man auf keinen Fall als Regisseur den SchauspielerInnen vorspielen soll, wie man es haben will. Bei „Louis 1er Roi des Moutons“ war es das Gegenteil. Meine Animateurin wollte oft, dass ich ihr genau zeige, wie ich es mir vorstelle. Da musste ich dann auf allen Vieren selber das Schaf spielen.

Sind bereits neue Projekte geplant?

Natürlich! Ausgehend von „Louis 1er Roi des Moutons“ arbeite ich gerade am Drehbuch für einen längeren Animationsfilm, aber vorher muss ich noch ganz schnell wieder mit SchauspielerInnen arbeiten, sonst glaubt mir niemand mehr, dass ich das auch mal gelernt habe und liebe.

Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Louis 1er, Roi des Moutons

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