Studium der Kunstgeschichte - Schwerpunkt: Filmgeschichte (Abschluss 2010 mit der Arbeit "Rembrandt im Spielfilm") Nebenfächer: Philosophie und Alte Geschichte
- seit 2012: Filmkritikerin bei movieworlds (Kino, DVD, BD, Festivalberichte)
- seit 2015: Blog 'Testkammer' online
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Festivalbericht: Seit 15 Jahren gehört das ‚Berlinale Shorts‘ zum festen Programm des größten deutschen Filmfestivals. Während der zwei Wochen der 73. Ausgabe der Berlinale konnte man an drei Spielstätten das 26 Kurzfilme aus 17 Ländern umfassende Programm sehen. Auch in diesem Jahr übernahm Anna Henckel-Donnersmarck als Leiterin und Kuratorin die Auswahl und Zusammenstellung der Filme. Sie bleibt sich dabei ihrer Auswahlkriterien treu und schuf ein Programm, das viele relevante Themen beinhaltet und sich dabei oft ungewöhnlicher Erzählweisen bedient.
Der französische Film „Les Chenilles“ von Noel und Michelle Keserwany gewann den Goldenen Bären für den Besten Kurzfilm. Er erzählt die Geschichte zweier Frauen, die ihre Heimat verlassen, ein neues Leben in Frankreich anfangen und sich dort auf neue Weise entfalten können. Von der eigenen Entwicklung und dem zu sich selbst finden, handelt auch der Gewinner des Silbernen Bären der Jury und des Teddy Awards – „Dipped in Black“ von Matthew Thorne und Derik Lynch. Angesiedelt im Aborigine-Gebiet in Australien findet ein junger Mann seinen Weg zwischen einem modernen Leben und den Traditionen. Um eine andere Art des Gesehenwerdens geht es in dem Film „Jill, Uncredited“ von Anthony Ing. Der Collagefilm reiht Szenen aus vielen Filmen zusammen, in denen man die Statistin Jill Goldston entdecken kann. Die tonale Untermalung zusammen mit dem gelungenen Schnitt machen daraus einen äußerst sehenswerten und auf seine Art spannenden Film. Auch der schweizer Film „Bear“ arbeitet viel mit Archivmaterial. Ursprünglich als Projekt geplant, um die Arbeiten des Naturfilmers Urs Amrein zusammenstellen, wurde die Regisseurin Morgane Frund aufmerksam auf weitere Dinge, auf die sich der Mann bei seinen Filmen konzentriert hat und beschließt, in den Diskurs mit ihm zu gehen. Der Blick des Mannes oder auch toxische Männlichkeit war in vielen Berlinale-Filmen in diesem Jahr Thema. Auch der Animationsfilm „Eeva“ von Lucija Mrzljak und Morten Tšinakov handelt davon und zeigt eine Frau, die versucht, mit ihrer Trauer umzugehen, und möglicherweise einen eigenen Weg einzuschlagen, abseits des patriarchalischen Systems. Die jungen Menschen in „Daydreaming So Vividly About Our Spanish Holidays“ wollen ebenfalls ihrem Leben entfliehen und finden den Ort ihres Herzens unter der Sonne Mallorcas. Mit seltsam anmutenden Bildern und einer retroartigen Inszenierung zieht der Regisseur Christian Avilés die Zuschauer:innen in den Bann.
Der chinesische Beitrag „All Tomorrow’s Parties“ geht in das Jahr 1990 zurück und liefert eine kurze Momentaufnahme aus dem Leben von Arbeiter:innen in der Zeit. Der weibliche Blick stand wohltuend oft im Fokus der Geschichten und kann als einer der Schwerpunkte in diesem Jahr angesehen werden. Ein anderer Schwerpunkt war der Umgang mit unserer Umwelt. Hier stachen Filme „The Veiled City“, der sich mit der Smog-Belastung in London von 1952 beschäftigte, oder „Terra Mater – Mother Land“, der sich auf künstlerische Weise sich dem Thema Müll nähert. Doch besonders stark war der deutsche Beitrag „The Waiting“ von Volker Schlecht, der mit akkuraten und schönen Zeichnungen die Worte einer Biologin, die vom Artensterben berichtet, sichtbar macht. So vermittelt der Film ganz unmittelbar, dass uns die Zeit davonläuft. Dieses Gefühl dominiert auch den ukrainischen Beitrag „It’s a Date“: Eine rasante Autofahrt, die in Anbetracht des Krieges nochmal eine ganz andere Gewichtung bekommt, wird erst am Ende erklärt und bringt unerwartet positive Gefühle und Hoffnung mit sich. Vielleicht kann man das im Allgemeinen aus dem Programm der Berlinale Shorts mitnehmen: Es muss sich in vielerlei Hinsicht etwas ändern, aber wenn das gelingt, kann die Welt ein besserer Ort werden.
Fazit: Auch in diesem Jahr gehörte das 26 Filme umfassende Kurzfilmprogramm der ‚Berlinale Shorts‘ zu den Highlights der 73. Berlinale und bot eine gelungene Auswahl an Kurzfilmen. Die Filme, ob nun als Spiel-, Animation-, Dokumentar- oder Essayfilm, erzählen oft von Aufbruch und von notwendigen Veränderungen. Sie decken dabei gesellschaftliche Defizite und menschliche Versäumnisse genauso auf, wie sie die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Protagonist:innen im Blick haben und arbeiten für die Zukunft daran, auch veraltete Denk- und Handlungsmuster aufzubrechen. So entstand ein rundherum gelungenes Programm, das viele spannende Beiträge und Entdeckungen parat hielt.