Neun Fragen an Britt Dunse

Doreen Kaltenecker
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Interview: Im Gespräch mit der Filmemacherin Britt Dunse erzählt sie uns mehr über ihren Kurzfilm „Die gestiefelte Katze“, der auf dem Open Air des 35. Filmfest Dresden 2023 lief, ihre Zusammenarbeit mit den Schüler:innen und was sie sich für ihre Märchenreihe am meisten wünschen würde.

Wie ist die Idee zu dem Kinderfilm entstanden? Und wie wurde aus dem Kater eine Katze?

Während meines Studiums an der Universität der Künste Berlin in der Film- und Videoklasse, erarbeitete ich mir meine eigene Bildsprache. Collagen realer Aufnahmen in Verbindung mit grafischen Animationen. Kinder liebten meine Bilderwelten. Nach einer umfangreichen Recherche stellte ich fest, dass es kein Filmangebot für Kinder in deutscher Gebärdensprache gibt, in der die Darstellenden, Erwachsene wie Kinder, selbst gebärden. Üblich war und ist die Übersetzung in einer der Bildecken durch ein*e Gebärdensprachedolmetscher*in. 

So entstand 2010 die Idee, dem Kinderfernsehen eine Märchenfilmreihe in Gebärdensprache mit gehörlosen Kindern in meiner Bildsprache zur Produktion anzubieten. Dafür produzierte ich 2011 gemeinsam mit meiner Studienfreundin Isabell Schmidt als Beispiel und Skizze das Rotkäppchen in deutscher Gebärdensprache. Die selbstverständliche, alltägliche Repräsentanz im Fernsehen von Kindern mit Behinderung war damals noch nicht vorstellbar. Zu groß die Befürchtung, Kinder ohne Behinderung könnten sich damit nicht identifizieren und die Märchen damit nicht genug Zuschauer*innen erreichen. Ich hatte aber das große Glück, dass der Redaktion der Sendung mit dem Elefanten unser Rotkäppchen in DGS sehr gut gefiel und bekam den Auftrag für das Gebärdensprachspecial, weitere Beiträge in DGS mit gehörlosen Kindern zu produzieren. So entstand 2012 ein vierteiliges Tierquiz und das Lied „Alle meine Entchen“ in Deutscher Gebärdensprache.

Die Wandlung von Kater zu Katze war ganz einfach. Da die zehnjährige Zainab die Rolle des Katers übernahm, war für mich klar, dass aus dem Kater selbstverständlich eine schlaue Katze werden musste. 

Du hast mit der Ernst-Adolf-Eschke-Schule in Berlin zusammengearbeitet – wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Nach meiner Idee zur Herstellung eines Märchens als Vorbild fürs Kinderfernsehen, recherchierte ich Schulen in Berlin für gehörlose und hörbehinderte Kinder. Die Ernst Adolf Eschke Schule war begeistert von meiner Idee. Das kulturelle Angebot für gehörlose Kinder ist verschwindend gering. Aus der Kooperation ist eine zehnjährige Zusammenarbeit entstanden. Gemeinsam mit mittlerweile 12 Grundschulklassen haben wir sechs Märchen in DGS realisiert. In meinem 2012 aufwendig produzierten Märchen „Rotkäppchen, Dackel und der Wolf“, spielte neben dem tauben Schauspieler und Moderator Ace Mahbaz als Wolf unter anderen auch die taube Pädagogin Sandra Steier der Ernst Adolf Eschke Schule als Rotkäppchens Mutter mit. Der generationsübergreifende besetzte Film ist ausschließlich mit tauben Darstellenden besetzt.

Kannst Du mir zu der Realisierung des Projekts erzählen? Wie viel Zeit hattet ihr dafür?

Für die Realisierung der Märchen brauchen wir, aufgrund der kleinen Finanzierung, etwa ein Jahr. Das umfasst die Beantragung von Geldern, Planung, Treffen mit den Kindern, Entwicklung des Drehbuchs, Kostüm, Szenenbild, Dreh, Postproduktion, Schnitt, Animation, Farbkorrektur, Sounddesign, Musik, Sprachaufnahmen und die Herstellung einer festivaltauglichen Filmkopie. Nachdem ich das Rotkäppchen in DGS selbst finanziert habe, wurden die fünf weiteren Märchenprojekte seit 2012 vom Berliner Projektfonds kulturelle Bildung gefördert und unterstützt. Mein überwiegend festes Team besteht aus acht bis zehn professionellen Filmschaffenden und der Gebärdensprachdolmetscherin Paula Mahnke, die mich mittlerweile seit zwölf Jahren begleitet. Wir drehen mit den Kindern eine Woche in der Schule. Im Vorfeld treffen wir uns zum Proben, Kostüme basteln und um das Szenenbild zu bauen und zu bemalen.

Wie haben die Kinder das Projekt aufgenommen? Sie wirken alle so, als ob sie mit Leib und Seele dabei waren.

Unsere Märchenfilmdrehs werden immer mit großer Begeisterung aufgenommen. Von Anfang an war mir wichtig, dass selbstverständlich alle Kinder der Klasse mitmachen und es kein ‚Casting‘ gibt. Wir finden für jedes Kind die perfekte Rolle. Dabei zeigt sich von Märchen zu Märchen immer wieder eindrücklich, wie stark die Kraft des Zutrauens bei den Kindern ankommt. Viele Kinder der Ernst-Adolf-Eschke-Schule werden von der Gesellschaft übersehen, sind struktureller Diskriminierung ausgesetzt und von sozialer Ungleichheit betroffen. Auf eine Gruppe von Erwachsenen zu treffen, die sie gleichwertig behandeln und wertschätzen wie sie sind, ist für viele Kinder ungewöhnlich und macht allen Beteiligten sehr gute Laune, was sich eben in den Märchen widerspiegelt. Mit Begeisterung und Stolz schauen sie und ihre Eltern am Ende auf die fertigen Märchen. Ich freue mich sehr, dass die Kinder so tolle Vorbilder für andere Kinder mit Behinderungen sein können, die in den Medien nicht sichtbar sind und denen häufig von Erwachsenen ohne Behinderungen wenig bis gar nichts zugetraut wird.

Auch das Setting war großartig und voller Details – kannst Du mir noch ein bisschen mehr zu den Kulissen erzählen?

Das Szenenbild der letzten vier Märchen stammt von Franziska Lutze. Von Jahr zu Jahr bastelt sie mehr Kulissen und Requisiten mit den Kindern. Den Kindern fällt das natürliche Spiel mit Requisiten um sie herum sehr viel leichter, als ausschließlich in einem grünen Raum zu stehen. Aufgrund des geringen Budgets wird viel mit Pappe gebastelt und mit echten Requisiten gemischt. Bei der gestiefelten Katze war das beispielsweise ein ganzes Auto voller Gegenstände, die ich auf dem kleinen Islandpferdehof, auf dem ich halb lebe, eingesammelt habe. Eimer, Mistgabeln, Heu, Leiterwagen. Die optischen Spielereien, wie beispielsweise die kleinen Mäuse oder fliegenden Rebhühner, denke ich mir als riesiger Wimmelbuch- und Augsburger-Puppenkisten-Fan im Vorfeld aus. Meine Erfahrung ist, dass junge Kinder die Märchen gerne wieder und wieder sehen, weil sie immer etwas Neues entdecken können.

Du hast mit Deinem Film etwas geschaffen, was es noch viel zu selten gibt. Hast Du vor, weitere Märchen oder andere Geschichten auf diese Weise zu erzählen?

Wir haben bis jetzt sechs Märchen in DGS gestaltet. Auf dieser Seite gibt es ganz viele Informationen zu allen Märchen: https://www.dgs-kinderfilm.de

Der Kontakt zur Sendung mit dem Elefanten hat dazu geführt, dass ich mir einige weitere Beiträge im selben Stil mit inklusiven Grundschulklassen ausgedacht, produziert und Regie geführt habe. Unter anderen „Die Bremer Stadtmusikanten“ mit einer inklusiven Grundschulklasse der Erika-Mann-Schule Berlin, die im Freundschaftsspezial ihre Aufführung fand und mit dem Robert-Geisendörfer Preis belohnt wurde. Ginge es nach mir, würde ich mir unentwegt Geschichten ausdenken, in denen alle Kinder unserer Gesellschaft vorkommen und selbstverständlich repräsentiert werden. Allerdings ist die Finanzierung dafür bisher noch sehr komplex. Und das Arbeiten mit inklusiven Grundschulklassen, die unsere Gesellschaft so wunderbar widerspiegeln, ist ungewöhnlich. Was so einfach aussieht, ist Arbeit eines zehnköpfigen professionellen Filmteams, das selbstverständlich alle Kinder in gestalterische Prozesse mit einbezieht. Das bedeutet gegenseitiges Vertrauen, Zeit und Leidenschaft für eine selbstverständlich inklusive Welt.

Ich finde, der Film ist mehr als prädestiniert dafür, an Schulen gezeigt zu werden. Gab es schon Anfragen oder bist Du schon auf Schulen zugegangen?

Ende 2020 habe ich ein Crowdfunding für die Finanzierung einer DVD für fünf unserer Märchen gestartet. Im Zuge dessen habe ich viele Schulen in Deutschland kontaktiert. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Märchen in vielen Schulen gezeigt werden würden. Offiziell können die Schulen sich alle Märchen im katholischen Filmwerk ausleihen:  Märchen in deutscher Gebärdensprache (DGS)

Für private Zwecke sind die Märchen als DVD oder als Stream und Download hier bestellbar:  

Einer der Hauptgründe der Erstellung der DVD war mein aller-aller größter Wunsch, dass die DVDs in Bibliotheken und Bücherhallen Deutschland vertreten sind, so dass sich alle Kinder die Märchen anschauen können und auch darauf aufmerksam werden. Leider hat sich dieser Wunsch bisher nicht erfüllt, da die Bibliotheken nicht selbst ihre Ware einkaufen, sondern es Verlage gibt, die die staatlichen Bibliotheken beraten und beliefern und die Märchen in DGS es bisher leider nicht geschafft haben, in die Regale zu kommen. Ich freue mich über Tips, falls eine*r der Leser*innen eine Idee hat, wie ich mir den Wunsch, die Märchen für alle Kinder zugänglich machen zu können, doch noch erfüllen kann.

Kannst Du mir noch ein bisschen mehr von Dir erzählen und wie Du zum Film gekommen bist?

Ich bin 1974 in Lübeck geboren und inmitten von Schleswig-Holstein halb bei meinen Großeltern in einer klassischen Arbeiter*innenfamilie aufgewachsen. Ich habe an der Universität der Künste Berlin Visuelle Kommunikation studiert und bin nach meinem ersten Jahr in die Videokunst/Filmklasse der Udk gewechselt. Angefangen hat alles mit dem Videokunstmagazin „Superschool“, in dem ich mit Freund*innen ein eigenes Videokunstmagazin ausgedacht, Beiträge entwickelt, gedreht und Regie geführt habe. Es war für uns ein perfektes Experimentierfeld, indem wir mit viel Spaß und Leidenschaft spielerisch viel in den Bereichen Produktion, Regie, Schnitt, Animation und Vertonung lernen konnten und ich meine Liebe zur Collage von Realfilm und Animationen entdeckt habe. Mein Abschlussfilm „Norden“, der mich letztendlich zum Kinderfilm gebracht hat, ist auf vielen internationalen Filmfestivals aufgeführt worden und hat einige Preise gewonnen. Weitere absolute Herzensprojekte sind meine Dokufabeln „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, die Porträts von Arbeitern zeigen, die während ihrer täglichen Arbeit Märchengestalten begegnen. Die Trilogie handelt von Einsamkeit, Sehnsucht und Glück.

Sind bereits neue Projekte geplant?

Ich habe gerade meinen neuen Kurzfilm „Hai oder Hyäne“ abgeschlossen. Der Film dient als Vorbild für die von mir in der Akademie für Kindermedien 2021/22 entwickelten inklusiven Live-Action-Kinderserie „Die Eulenberger Bande“, in der Kinder mit Behinderungen selbstverständlich miterzählt und repräsentiert werden. Das Drehbuch basiert auf Interviews und erzählt Geschichten von Kindern und jungen Erwachsenen des ahoi.e.V. – Selbsthilfe bei Dysmelie, Armfehlbildung und Handfehlbildung. Zudem habe ich dieses Jahr mit einer Workshopreihe mit der Tänzerin und Choreografin Naomi Sanfo begonnen, in der wir gemeinsam mit Kindern und Expert*innen mit und ohne Behinderungen, Ästhetiken und Zugänge zu Barrierefreiheit für Kinder erforschen. Im April 23 ist die Performance „Blinzelwal“ mit zwölf Kindern mit und ohne Behinderungen entstanden. Ein weiteres Märchenfilmprojekt für gehörlose Kinder ist ebenfalls in Planung, diesmal „Leo im Glück“. 

Weitere Informationen unter:  BRITTDUNSE.de 

Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Die gestiefelte Katze

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