„In 80 Tagen um die Welt“ (1956)

Doreen Kaltenecker
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Filmkritik: Der Spielfilm „In 80 Tagen um die Welt“ (OT: „Around the World in Eighty Days“, USA, 1956)  war neben „Einer flog über das Kuckucksnest“ (1975) lange Zeit der Film mit dem längsten Titel als ‚Besten Film‘-Gewinner der Oscargeschichte. Er konnte auf der 29. Oscarverleihung, die am 27.03.1957 an zwei Orten gleichzeitig stattfand (im RKO Pantages Theatre in Los Angeles und im NBC Century Theatre in New York City) von seinen acht Nominierungen (von insgesamt 20 Kategorien) fünf Oscars mit nach Hause nehmen. Darunter wurden ihm in der von Jerry Lewis in Los Angeles und Celeste Holm in New York City moderierten Gala u.a. der Preis für das ‚Beste adaptierte Drehbuch‘, aber auch für den ‚Besten Film‘ zugesprochen. In der Hauptkategorie setzte er sich durch gegen Filme wie „Die zehn Gebote“ (1956) von Cecil B. DeMille und „Giganten“ (1956) mit George Stevens, der im Gesamten der Verlierer der Oscarverleihung war, da er von seinen zehn Nominierungen nur eine Trophäe (Beste Regie) gewinnen konnte. 

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David Niven, Mario Moreno Cantinflas, Michael Anderson

Phileas Fogg (David Niven) ist ein streng nach Routinen lebender Mensch. Jeden Tag geht er den gleichen Tätigkeiten zur selben Uhrzeit nach. Nachmittags ist er wie immer in seinem Herrenclub, als die Unterhaltung auf die neue Zugverbindung zu sprechen kommt, durch die man jetzt die Welt in kürzester Zeit umrunden kann. Fogg geht davon aus, dass dies in 80 Tagen zu schaffen sei und löst damit eine Wette aus. Noch am gleichen Tag macht er sich zusammen mit seinem Diener Passepartout (Cantinflas) auf den Weg, diese Wette zu gewinnen. Neben diversen Problemen mit der Pünktlichkeit der Verkehrsmittel, der spontanen Rettung einer indischen Prinzessin (Shirley MacLaine) stellt sich auch der Inspektor Fix (Robert Newton), der in Fogg einen Dieb sieht, immer wieder der Reisegruppe in den Weg.

Der Film gilt bis heute als ein Erfolg eines Produzenten und nicht eines Regisseurs oder dessen Schauspielern. Verantwortlich war der amerikanische Produzenten Michael Todd, der mit großem persönlichen Engagement den Film formte und zum Leben erweckte. So verdankt der Film ihm seine Opulenz, Optik und auch die Besetzung mit vielen bekannten Stars der damaligen Zeit. Leider war es Todd, der hier erst sein zweites Projekt realisierte, nicht vergönnt, noch einen weiteren Film zu produzieren. Denn er starb kurze Zeit danach am 22. März 1958 bei einem Flugzeugabsturz in der Nähe von Grants (New Mexico). 

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Mario Moreno Cantinflas, Michael Anderson

Die Vorlage für den Film stammt aus der Hand des britischen Autors Jules Verne (1826-1905), der auch Geschichten wie „20.000 Meilen unter dem Meer“ (1869-1870) und „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ (1873) schrieb. Der Roman „In 80 Tagen um die Welt“ (OT: „Around the World in Eighty Days“) stammt aus dem Jahr 1872 und wurde im Verlauf der Filmgeschichte immer wieder verfilmt. Das bietet sich bei der Vorlage mehr als an, denn das Buch ist ein Sammelsurium an Abenteuern und Orten. So kann man es als großen Abenteuerfilm aufziehen und das Publikum in viele Länder entführen. Natürlich kann das auch ebenso abschreckend sein, da Projekte finanzierbar bleiben müssen. Bis ins Jahr 2023 gab es vier Verfilmungen des Stoffes, aber auch einige Regisseure wie Alexander Korda haben sich entschieden, dies erst gar nicht zu versuchen. Im Jahr 1956 verwandelten die drei Autoren S. J. Perelman (1904-1979), James Poe (1921-1980) und John Farrow (1904-1963), der letzte sollte auch ursprünglich die Regie übernehmen, wurde aber vom Produzenten Todd durch Michael Anderson ersetzt, den Roman in ein Drehbuch. Dieses ist dabei nah an der Vorlage, nutzt alle exotischen Orte des Romans und entführt uns in eine kunterbunte, temporeiche Reise um die Welt. Für diese Adaption wurden alle drei mit dem Oscar für das ‚Beste adaptierte Drehbuch‘ ausgezeichnet. Aus heutiger Sicht ist die Geschichte samt ihres Humors nicht besonders gut gealtert. Man stört sich gleichermaßen an dem patriarchalischen Wertesystem, was vermittelt wird, der Rolle der Frau sowie dem zuteils unangebrachten Humor.

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Shirley Mac Laine, David Niven, Cantinflas und Robert Newton

Doch der Produzent Michael Todd traute sich an den Stoff heran und schuf einen Bilderrausch. Mit viel Liebe baut er Sets mit enormer Größe auf. So benötigte er 70.000 Statisten, 8000 Tiere, unter ihnen 3800 Schafe und 2448 Büffel und 48 Hollywoodstars und es wurde in 13 Ländern gedreht. Ganze 146 Sets wurden für den Film in sechs Hollywood-Studios, sowie in England, Hongkong und Japan gebaut. Beinahe 75.000 Kostüme kamen zum Einsatz. Der ganze Film wurde an 75 Drehtagen abgedreht. Der Film steht am Anfang einer Epoche von Filmen, die ein großen Budgets hatten und mit viel Aufwand und Spezialeffekten überdimensionierte Spektakel schufen. Das Budget für diesen Film betrug sechs Millionen Dollar und stellte andere Produktionen dieser Zeit in den Schatten. Ursprünglich sollte Todd sich mit der Hälfte des Budgets zufrieden geben, doch er legte großen Wert auf Authentizität und den Dreh an Live-Locations. Zu den bekanntesten Szenen gehört die Ballonfahrt, die auch in allen weiteren Adaptionen übernommen wurde, obwohl diese im Buch gar nicht vorkommt. Die Detailversessenheit Todds hatte auch negative Blüten getrieben: So besorgte er u.a. ein flüssiges Dye (ein Farbstoff), dass dafür sorgte dass die Hautfarbe aller Native Americans, die er für den Film engagiert hatte, gleich aussah, um einheitliches Bild zu schaffen. 

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Mario Moreno Cantinflas, Charles Boyer

Besonders wichtig für die Umsetzung war die Kameraarbeit des Kameramanns Lionel Lindon (1905-1971), der insgesamt dreimal für den Oscar nominiert war und hier die Trophäe mit nach Hause nehmen konnte. Um die Weite und Fülle alle Orte einzufangen entwickelte der Produzent Michael Todd zusammen mit der Firma American Optical Company (AO) ein spezielles Breitwandformat, bei dem der Film auf 65mm aufgenommen und danach auf 70 mm kopiert wurde, was die Bildvergrößerung einfacher machte. Dafür wurden extra neue Kameras entwickelt. Nur neun existierten zu dem Zeitpunkt und wurden alle für den Film eingesetzt. Es war auch erst der zweite Gewinner des Oscars für den ‚Besten Film‘ (nach „Flügel aus Stahl“ (1927)) der Weitwinkelaufnahmen enthielt. Der Film spielt mit dem Format, indem er im 4:3-Format beginnt und das Bild erst nach und nach erweitert. Auch war die Credit-Szene am Ende des Films von beachtlicher Länge und listete alle Namen und schlussendlich den Filmtitel auf. Das war zu dieser Zeit ungewöhnlich. Auch der Schnitt von Gene Ruggiero (1910-2002) und Paul Weatherwax (1900-1960) wurde mit einem Oscar ausgezeichnet. Zu einem rundherum spektakulären Filmerlebnis gehörten natürlich auch ein gelungener Ton und ein guter Musikeinsatz. Der Komponist Victor Young (1900-1956) lieferte die Musik zum Film. Leider konnte er seinen Oscargewinn nach bereits 21 Nominierungen in den letzten 18 Jahren in den Kategorien ‚Bester Song‘ und ‚Beste Filmmusik‘ nicht mehr selbst entgegennehmen. Er starb vier Monate vor der Verleihung. Bis dahin hatte er die Musik für über 350 Filme komponiert u.a. „Samson und Delilah“ (1949), „Der Sieger“ (1952) und „Mein großer Freund Shane“ (1953), aber auch Evergreens wie „Over the Rainbow“ (1938) und „Around The World“, der sein einziger Charterfolg wurde, geschaffen. 

David Niven, Frank Sinatra, Mario Moreno Cantinflas, Marlene Dietrich, Michael Anderson

Wie bereits erwähnt, war der Kopf des Projekts der Produzent Michael Todd, der auch mit dem Film in Verbindung gebracht wird. Der Regisseur Michael Anderson (1920-2018) sagt dagegen wenigen Filmfreunden was. Er fing in den 30er-Jahren als Produktionsassistent und Assistenzregisseur an und gab 1949 mit „Private Angelo“ gemeinsam mit Peter Ustinov sein Regie-Debüt. Danach folgten viele unbedeutende Filmproduktionen. Neben der Regie bei „In 80 Tagen um die Welt“, was sein internationalen Durchbruch bedeutete und für die er auch bei den Oscars nominiert wurde, fiel er noch mit den Science-Fiction-Filmen „Neunzehnhundertvierundachtzig“ (1956) und „Flucht ins 23 Jahrhundert“ (1976) auf. Seine letzte Arbeit war 1999 „Die neuen Abenteuer des Pinocchio“. Doch der Film mit dem höchsten Bekanntheitsgrad seiner Karriere war diese Romanadaption, die maßgeblich von dem Produzenten gesteuert wurde. Sein größter Beitrag zur Entstehung des Films war vermutlich seine tadellose Zusammenarbeit mit Todd, mit dem er zusammen ein großes Spektakel auf die Leinwände zauberte.

Mario Moreno Cantinflas, Charles Boyer

Die Darsteller:innen scheinen bei diesem Spektakel beinahe unwichtig, doch trugen sie ebenso zum Erfolg des Films bei. Es gab zwar keine Oscar-Nominierungen für sie, aber Shirley MacLaine (*1934), die später einer Oscar für „Zeit der Zärtlichkeit“ erhalten sollte, als indische Prinzessin bleibt genauso in Erinnerung wie das versnobte Spiel von David Niven (1910-1983). Der britische Darsteller, der drei Jahre später auch mit einem Oscar für „Getrennt von Tisch und Bett“ (1958) ausgezeichnet wurde, spielt die Rolle des stets entspannten und niemals seine Contenance verlierenden Adligen so überzeugend, dass dies als Paradebeispiel für Phileas Fogg in die Filmgeschichte eingegangen ist. Stets an seiner Seite ist sein Diener Passepartout. Diese Rolle übernahm der mexikanische Schauspieler Cantinflas (vollständiger Name: Fortino Mario Alfonso Moreno Reyes, 1911-1993). Zum Zeitpunkt des Filmdrehs war Cantinflas bereits ein Star in Lateinamerika und die Rolle des Passepartout (im Original eigentlich ein Franzose) wurde auf ihn zugeschnitten. So wurde u.a. die Bullen-Kampfszene hinzugefügt, weil der Schauspieler Erfahrungen damit hatte. Durch den Film erlangte er Weltruhm und wirkte an mehr als 55 Filmen mit, trotzdem blieb er Zeit seines Lebens für diese äußerst alberne Rolle berühmt und ging damit in die Filmgeschichte ein. Der dritte wichtige Herr im Bund der Schauspieler war Robert Newton (1905-1956). Der in Großbritannien geborene Schauspieler ging nach der Weltwirtschaftskrise zum Film und wirkte an vielen Filmen wie „Riff-Piraten“ (1939), „Heinrich V.“ (1944), „Ausgestoßen“ (1947), „Oliver Twist“ (1948) und „Die Schatzinsel“ (1950) mit. Sein Freund Niven rang ihm für den Dreh des Films das Versprechen ab, nicht seiner Alkoholsucht nachzugeben. Doch zu diesem Zeitpunkt war es bereits zu spät, so dass er im Jahr der Veröffentlichung an den Folgen des langjährigen Alkoholismus starb. Neben den vier Hauptdarsteller:innen glänzt der Film mit 48 Camoes. So haben in dem Film u.a. Marlene Dietrich („Der blaue Engel“ (1930)), Buster Keaton („Der General“ (1926)), Peter Lorre („M“ (1931), „Casablanca“ (1942)) und Frank Sinatra („Frankie und seine Spießgesellen“ (1960)) einen Auftritt. Der Produzent Michael Todd hat damit den Begriff des Cameos (kommt von Kamee – ein Relief auf einem Schmuckstein, das den Blick auf sich zieht) erfunden und auch gleich perfektioniert. So konnte die Sichtung des Films – gerade für das damalige Publikum – mit vielen Überraschungen aufwarten.

Mario Moreno Cantinflas, Shirley MacLaine, David Niven, Robert Newton

Am 17. Oktober 1956 feierte der Film im Rivoli Theatre in New York seine Uraufführung. Der Premiere ging eine der größten Werbekampagne der Filmgeschichte voraus. Danach folgten einige Kassenerfolge. Der Film nahm an Reingewinn über 20 Millionen Dollar ein und war der zweiterfolgreichste Film nach „Die zehn Gebote“ von Cecil B. DeMille des Jahres 1957. Er lief über 16 Monate in den Kinos und die Vorstellungen waren wochenlang ausverkauft. Neben fünf Oscars konnte der Film auch noch zwei Golden Globes (‚Bester Film – Drama‘, ‚Bester Hauptdarsteller – Komödie/Musical‘) gewinnen, wurde vom National Board of Review als ‚Bester Film‘ ausgezeichnet und erhielt auch vom New York Film Critics Circle zwei Preise. Natürlich folgten auf diese Verfilmung auch weitere Adaptionen des Stoffes, die sich zum Teil auf den Film von 1956 und nicht auf das Buch selbst beziehen. Nach einer europäischen Adaption aus dem Jahr 1989, schlüpfte David Tennant („Doctor Who“) 2001 in die Rolle des Phileas Fogg und darauf folgte eine Fassung von 2004 mit Steve Coogan und Jackie Chan in den Hauptrollen. 

Fazit: Der Spielfilm „In 80 Tagen um die Welt“ von Michael Anderson war zu seinem Kinostart ein großes Spektakel. Es wurde an vielen Orten auf der Welt gedreht und mit vielen Statisten, Starauftritten und Materialaufwand inszeniert. Sein damaliger Kassenerfolg war enorm und er lief über 16 Monate lang in den Kinos. Es gilt als großer Erfolg des Produzenten Michael Todd, der mit dem Gewinn von fünf Oscars u.a. für den ‚Besten Film‘ auf der 29. Oscarverleihung 1957 bestätigt wurde. Doch leider ist der Film nicht gut gealtert, sodass man die Faszination heute nicht mehr richtig nachvollziehen kann. Auch funktioniert die Geschichte selbst mit patriarchalischen Werten und beinah Slapstick-Humor nicht mehr in der Jetzt-Zeit. Trotzdem kann man die Leistung, die dahinter steckt, noch sehen und sich an der ein oder anderen Idee oder manchem Cameo erfreuen.

Bewertung: 4,5/10

Trailer des Films „In 80 Tagen um die Welt“

geschrieben von Doreen Kaltenecker

Quellen:

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