Fünf Fragen an Andrew Stephen Lee

Doreen Kaltenecker
Letzte Artikel von Doreen Kaltenecker (Alle anzeigen)

Interview: Im Gespräch mit dem Filmemacher Andrew Stephen Lee konnten wir mehr erfahren über seinen Kurzfilm „Manila is Full of Men named Boy“, der den Goldenen Reiter für den ‘Besten Spielfilm’ auf dem 31. Filmfest Dresden gewonnen hat. Dabei berichtet er von der Entstehung des Films, warum er sich für eine schwarz-weiße Inszenierung entschieden hat und welchen Stellenwert er dem Film in der Gesellschaft im Allgemeinen zuspricht.

The original english language interview is also available.

Kannst Du mir zum Ursprung Deines Kurzfilms „Manila is Full of Men named Boy“ erzählen? Spielen autobiographische Elemente eine Rolle?

Die Ideen zum Film entstammt einer langen, zweijährigen Schreibphase. Der Film begann zunächst als ernsthaftes Drama, basierend auf einer Nachrichtenreportage, die ich las. Aber er verwandelte sich langsam in etwas anderes, während ich in Manila lebte und mit meiner Familie zusammen war. Ich versuchte, meine eigene Perspektive auf einen Ort zu verstehen, der mir vertraut und distanziert zugleich erscheint. Inspiriert davon, was mein Lieblingskünstler Robert Frank sagt, betrachtete ich die „Dinge, die es irgendwo und überall gibt, die leicht zu finden, nicht leicht auszuwählen und zu interpretieren sind“. So begann ich über die Philippinen und Amerika nachzudenken – ihre Beziehung und dann meine eigene Identität als doppelter Staatsbürger. Was bedeutete das für mich und was bedeutete das für andere Menschen – Menschen, die ich nicht kenne, und meine Familie? Ein Großteil des Films wurde tatsächlich von meiner Familie geprägt: Der Film wurde im Haus meiner Großeltern in Quezon City gedreht, wo meine Großmutter sieben Kinder großzog. Und die Szenen mit all den Männern, sie wurden von Partys inspiriert, die in einer Autowerkstatt nebenan stattfanden. Ich habe sogar ein Familienmitglied von mir in den Film aufgenommen – die Figur, die aufsteht und viel tanzt und trinkt. Nachdem ich also wirklich eine Struktur gefunden hatte, wurde es zu einem Prozess des Versuchs, meine eigene Erfahrung zu zerlegen und zu verarbeiten. 

Kannst Du mir mehr zum innewohnenden Männlichkeitsbild erzählen und warum Michael Jackson so eine prominente Rolle in diesem Film einnimmt?

Jon Norman Schneider

Der Film kritisiert eine ganz bestimmte Art von Männlichkeit, die ich auf den Philippinen sehe. Ich war neugierig, woher dieser „Machismo“ kommt. Ich denke, dass es zum Teil auf koloniale Einflüsse und kulturellen Imperialismus zurückzuführen ist, weshalb Michael Jacksons im Fernsehen übertragene Beerdigung überall prominent ist. Außerdem versucht der Film, die Absurdität dieser Männlichkeit zum Ausdruck zu bringen und wie sie bestimmt, was auf sozialer Ebene von Wert ist. Auf einer Meta-Ebene ist es das, worauf der Film tatsächlich hinausläuft: Er versucht zu erfassen, wie Menschen Wert auf der elementarsten Ebene formulieren. Warum wird Michael Jacksons Beerdigung mehr Aufmerksamkeit gewidmet als dem tragischen Bericht zu Beginn? Warum werden Kinder auf ihre grundlegendste Selbstdefinition reduziert? Warum werden Rauchen und Trinken von diesen hyper-maskulinen Männern geschätzt? Ich denke, wenn wir uns die schwierigen Fragen stellen, was unsere Gesellschaft ausmacht, werden wir schließlich viele Probleme verstehen, die wir auch überwinden müssen.

Bezüglich Deines Titel, muss ich einfach fragen: Ist wirklich so? Und wenn ja, warum ist das so ein beliebter Name?

Boy ist tatsächlich ein sehr gebräuchlicher Name. Es ist der Name meines Onkels. Für ihn ist es ein Spitzname, da er der Jüngste war. Aber für andere kann es ein richtiger Name sein. Ich bin mir nicht ganz sicher, warum es ein beliebter Name ist, aber ich stelle mir vor, dass er von kolonialen Einflüssen stammt!

Erzähl mir mehr zu Deinem visuellen Erzählstil. Warum hast Du Dich u.a. für schwarz-weiß Bilder entschieden?

Alles im Film ist auf einer metaphorischen Ebene verbunden. Für mich gibt es ein ständiges Thema der Distanzierung. Das war wirklich inspiriert von dem, was gerade auf den Philippinen passiert. Ich habe so viele Geschichten von Familie und Freunden darüber gehört, wie sich Dutertes [Anm. d. Red.: Rodrigo Duterte, Präsident der Philippinen] außergerichtliche Tötungen jetzt sehr normal anfühlen. Und ich wollte über diese Desensibilisierung sprechen, ohne direkt über das Thema zu sprechen. Ich fragte mich, wie etwas so Extremes so normal werden konnte. Es ist der Grund, warum die Charaktere die Absurdität, die vor ihnen geschieht, nicht wahrnehmen, aber auch der Grund, warum die Mise en Scène distanziert und entfremdet ist. Außerdem war das Schwarz-Weiß eine tonale Wahl. Ich fühlte, dass eine andere Ebene der Distanz dem Publikum unbewusst helfen würde.

Wie verlief das Casting – war es schwer, speziell den richtigen Jungdarsteller zu finden?

Jon Norman Schneider

Ich wusste schon immer, dass ich in der Hauptrolle Jon Norman Schneider besetzen wollte, nachdem ich ihn in einem Theaterstück in New York City mit dem Titel „Awake and Sing!“ gesehen hatte. Die Rolle in meinem Film wurde eigentlich für ihn geschrieben. Er ist ein erstaunlich talentierter Schauspieler und einfach der Beste! Außerdem wusste ich, dass ich mit Rafael Roco Jr. arbeiten wollte. Ich bin so ein Fan von „Manila“ [OT: „Maynila, sa mga Kuko ng Liwanag“, 1975, Regie: Lino Brocka]. Er ist so brillant und behütete in diesem Film und im Allgemeinen, die Sage des philippinischen Kinos. Und was die anderen Charaktere betrifft, so war es eine Mischung aus Vorschlägen meines Line Producers und Juwelen, die ich bei einem offenen Casting gefunden habe. Ich fand Bing Bong, gespielt von Reynald Raissel Santos, in diesem offenen Casting. Er spielte die Figur wahrhaftiger, als ich es mir vorgestellt hatte, und war perfekt für die Rolle.

Kannst Du mir am Ende noch ein wenig mehr über Dich erzählen?

Meine Eltern sind auf den Philippinen geboren und ich bin doppelter Staatsbürger. Für mich und andere Menschen, die Diaspora-Identitäten haben, gibt es eine Komplexität unserer Identitäten, die wir gerade erst beginnen, in der Kunst zu reflektieren. Ich strebe danach, Filme darüber zu drehen, und ich würde gerne mehr Geschichten darüber sehen, wie komplex die Menschheit im Moment ist – das gilt für jeden Ort und jede Umgebung. In diesem politischen Klima auf der ganzen Welt gibt es meiner Meinung nach zu viele reduktive Filme mit einfachen sozialen Bewertungen, die das Publikum nicht herausfordern, tiefer als über die Oberfläche hinaus zu denken – vielleicht kleine Pflaster für größere Wunden! Und ich muss sagen, ich komme aus bescheidenen Verhältnissen und in den Staaten sind viele meiner Verwandten Hausangestellte: Nanny, Hausmeister, etc. Also muss ich eine Frage stellen, wenn die arme Magd nur als die arme Magd verstanden werden kann, wie kann das Publikum sie darüber hinaus sehen? Als eine Gleichgestellte, die zu der gleichen menschlichen Komplexität fähig ist, die alle anderen teilen? Meine Sorge ist, dass, wenn wir weiterhin solche Filme machen (Sympathie statt Empathie), wir auch weiterhin begrenzen werden, wie die Gesellschaft bestimmte Identitäten betrachtet. Ich denke also, das ist eine politische Verantwortung, an die ich mich halte!

Der Film war dein Debüt an der Columbia University, richtig? Wie geht es jetzt danach weiter? Sind schon neue Projekte am Start?  

Ja und nein. Dies war ein Film, den ich während meiner Zeit am MFA-Filmprogramm der Columbia University gedreht habe, aber es war eigentlich meine Abschlussarbeit! Ich habe vorher noch ein paar mehr gemacht, aber ich denke, dieser Film war der Höhepunkt meiner fünf Jahre dort. Und ab sofort schreibe ich meinen ersten Spielfilm mit dem Titel „In the Shade, Hardly Any Sun“. Es ist eine tragische Liebesgeschichte über zwei Menschen, die in die Staaten einwandern und dort überleben.

Die Fragen stellte Doreen Matthei
Übersetzung von Michael Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Manila is Full of Men named Boy


Interview: In our conversation with filmmaker Andrew Stephen Lee we could learn more about his short film “Manila is Full of Men named Boy“, which won the Golden Horseman for the ‘Best Short Fiction Film’ at the 31st Filmfest Dresden. He talks about the making of the film, why he opted for a black-and-white production and what value he attributes to film in society in general.

Can you tell me about the origins of your short film “Manila is Full of Men named Boy“? Do autobiographical elements play a role? 

The ideas behind the film came from a long two year writing period. The film first began as a serious drama from a news report that I read…but it slowly morphed into something else while I was living in Manila and hanging out with my family. I was trying to understand my own perspective of a place that seems familiar and distant at the same time. So, inspired to find what my favorite artist, Robert Frank, says as “things that are there, anywhere and everywhere – easily found, not easily selected and interpreted,” I began to think about the Philippines and America – their relationship and then my own identity being a dual citizen. What did that mean to me and what did that mean to other people…people I didn’t know, and my family? A lot of the film was actually shaped by my family: the film is shot at my ancestral home in Quezon City, where my grandmother raised seven children. And the scenes with all the men, they were inspired by parties that happened at an auto-machanic shop next door. I even put a family member of mine in the film – the character who gets up and dances and drinks a lot.  So really, after I found a structure, it became a process of trying to break down and process my own experience. 

Can you tell me more about the image of masculinity the film portrays and why Michael Jackson plays such a prominent role in this film?

The film is critiquing a very specific type of masculinity that I see in The Philippines. I was curious where this “machismo” comes from. I think it’s partly due to colonial influences and cultural imperialism, thus why Michael Jackson’s televised funeral is prominent throughout. Also, the film is attempting to express the absurdity of this masculinity and how it determines what is of value on a social level. On a meta-level this is what the film is actually getting at…it’s attempting to capture how people formulate value at the most basic level. Why does Michael Jackson’s funeral have more attention over the tragic new report at the beginning? Why are children being reduced to their most basic self-definition? Why is smoking and drinking valued by these hyper-masculine men? I think if we ask ourselves the hard questions about what our society values, we eventually come to understand many issues that we also must overcome.

Regarding your title, I just have to ask: is it really like that? And if so, why is it such a popular name?

Boy is actually a very common name. It is the name of my Uncle. For him, it is a nickname as he was the youngest…but for others it might be a proper name. I’m not entirely sure why it’s a popular name, but I imagine it’s from colonial influences!

Tell me more about your visual narrative style. Why did you choose black and white?

Everything in the film is connected on a metaphoric level. For me there is a constant theme of detachment. That was really inspired by what’s happening in The Philippines right now. I’ve heard so many stories from family and friends about how Duterte’s extrajudicial Killings feel very normal now. And I wanted to speak about that desensitization without speaking directly about the issue. I wondered how something so extreme could become so normal. It’s the reason for why the characters are unaware of the absurdity happening before them, but also the reason why the mise en scène is removed and detached. Additionally, the black and white was a tonal choice. I felt that having another level of detachment would help the audience subconsciously.

How did the casting go – was it hard to find the right young actor?

I always knew I wanted to work with the lead, Jon Norman Schneider, after I had seen him in a play in New York City entitled, Awake and Sing!. The role in my film was actually written with him in mind. He’s an amazingly talented actor and simply the best! Additionally I knew I wanted to work the Rafael Roco Jr…I’m such a fan of “Manila in the Claws of Light” [OT: „Maynila, sa mga Kuko ng Liwanag“, 1975, Director: Lino Brocka]. He’s so brilliant and guarded in that film and in general, a legend of Philippine cinema. And as for the other characters, it was a mixture of suggestions from my line producer as well as gems that I found during an open call. I found Bing Bong, played by Reynald Raissel Santos, in that open call. He played the character more truthfully than I had envisioned and was perfect for the role.

Can you tell me a little bit more about yourself at the end?

My parents were born in The Philippines and I am a dual citizen. For myself and other people who are of diasporic identities, there is a complexity to our identities that we’re just beginning to reflect in art. I’m striving to make films about this and I’d like to see more stories about how complex humanity is right now – that goes for any place or setting. In this political climate around the world, it is my opinion that there are too many reductive films with easy social assessments that are not challenging audiences to think deeper than beyond the surface…perhaps bandaids for larger wounds!  And I must say, I come from a humble background and in The States…many of my relatives are domestic servants: nanny, caretaker, etc. So, I must pose a question, if the poor maid can only be understood as the poor maid, how can audiences think of them beyond that? As an equal capable of the same human complexity that everyone else shares? My worry is that if we continue to make films like this (sympathizing rather than empathizing), we’ll also continue to imprison how society views particular identities. So I think this is a political responsibility that I hold myself to!

The movie was your debut film at Columbia University, right? What’s the next step now? Are there any new projects planned? 

Yes and no…this was a film that I made during my time at Columbia University’s MFA Film Program, but it was actually my thesis! I have made a few more before this but I think this film was a culmination of my five years there. And as of right now, I’m writing my first feature entitled, In the Shade, Hardly Any Sun. It’s a tragic love story about two people immigrating and surviving in The States.

Questions asked by Doreen Matthei

Read on the german review of the shortfilm „Manila is Full of Men named Boy“ 

 

2 Gedanken zu “Fünf Fragen an Andrew Stephen Lee

Kommentar verfassen