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2003 / 75. Oscarverleihung / 13 Nominierungen / 6 Auszeichnungen
Roxie Hart (Renée Zellweger) lebt im Chicago der 1920er Jahre und hat nur einen Traum: Sie möchte berühmt werden. Dafür fängt sie eine Affäre mit Fred (Dominic West) an, doch als sie herausfindet, dass er sie nur ausgenutzt hat, tötet sie ihn. Da kann ihr auch ihr gutmütiger Mann Amos (John C. Reilly) nicht mehr helfen und so wandert sie ins Gefängnis. Dort begegnet sie der ebenfalls erfolgsorientierten Velma Kelly (Catherine Zeta-Jones), die sich auch wegen Mordes zu verantworten hat. Für beide könnte der Ausweg aus dem Gefängnis nicht nur die bestechliche Gefängniswärterin Mama Morton (Queen Latifah) sein, sondern auch der clevere Anwalt Billy Flynn (Richard Gere), der genau weiß, wie er aussichtslose Fälle noch drehen kann.
Alles hat mit einer wahren Geschichte angefangen, die bereits 1926 von Maurine Dallas Watkins niedergeschrieben wurden. So wurde die Geschichte der Mörderinnen bereits in der frühen Filmgeschichte verfilmt. Einmal 1927 als Stummfilm – „Chicago“ – und dann 1942 „Roxie Hart“ mit Ginger Rogers in der Hauptrolle unter der Regie von William A. Wellman („Flügel aus Stahl“ (1927)). Doch richtig bekannt wurde die Geschichte erst durch die Broadway-Adaption von Bob Fosse aus dem Jahr 1975. Der Film- und Theaterregisseur schrieb zusammen mit Fred Ebb das Drehbuch dazu und gestaltete auch die Choreographie. Er selbst wollte es auch in einem Film umsetzen, nachdem sein Musical „Cabaret“ (1972) große Erfolge auf den Leinwänden feierte. Durch unzählige Probleme vor allem bei der Finanzierung und der Besetzung der Rollen, es waren unter anderem Liza Minelli, Goldie Hawn, Michelle Pfeiffer und Madonna im Gespräch, verzögerte sich die Realisation. Als Bob Fosse 1987 überraschend mit 60 Jahren verstarb, wurde das Projekt auf Eis gelegt. Der Stoff galt als unverfilmbar und wurde auch bis zum Jahr 1997, wo es eine Wiederaufführung am Broadway gab, nicht mehr beachtet. Zusammen mit dem Drehbuchautor Bill Condon, der mit einer Oscarnominierung bedacht war, wagte sich der Regisseur Rob Marshall schließlich 2003 an die Adaption und schafft es, die Originalgeschichte adäquat auf die Leinwand zu übertragen. Dabei geht er den Weg, den ein Jahr zuvor Baz Luhrmann mit seinem unkonventionellen Musical „Moulin Rouge“ (2001) geebnet hatte. Klassische Musical-Elemente und eine moderne Videoclip-Ästhetik werden hier stimmig vermischt. So steht „Chicago“ am Anfang einer neu entfachten Musical-Liebe, die bis heute anhält und mit Filmen wie „Mamma Mia“ (2008), „Les Misérables“ (2012), „Into the Woods“ (2014) und „Rocketman“ (2019) gefüttert wird.
Die Umsetzung ist bei einem Musical besonders wichtig. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten die Lieder in die Geschichte einzuflechten. Rob Marshall und sein Team entschieden sich meist für fast traumartige Szenen, die an einer echten Stelle in der Geschichte anknüpfen, aber diese dann als Song meist auf eine bühnenartige Situation übertragen. Dabei passt sich alles an: Farben, Licht und Kostüme strahlen auf einmal mehr Glamour aus und bilden einen Kontrast zum Gefängnisalltag. Die Songs sind meist kombiniert mit großartigen Choreographien, die zeigen, dass unzählige Proben vorausgegangen sind. Auch wenn nicht alle Darsteller erfolgreiche Profi-Sänger werden würden, geben sie ihre Songs mit dem richtigen Verve wieder und werden von der perfekten Gestaltung umrandet. Kein Wunder, dass der Film in diesen Kategorien die meisten Oscars gewann. Es wurde nicht nur die ‚Beste Tonmischung‘ prämiert, sondern auch das ‚Beste Szenenbild‘, entworfen von John Myhre und Gordon Sim, erhielt einen Oscar. Die bekannte Kostümdesignerin Colleen Atwood, die u.a. für „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind” (2016) ebenfalls einen Oscar bekam, erhielt er die Trophäe des ‚Besten Kostümdesign‘ und das zu recht. Den Look und die Mode der 20er Jahre fängt der Film mit einem Hauch Künstlichkeit wunderbar ein. Weiterhin waren Dion Beebe für die ‚Beste Kamera‘ sowie Johan Kander und Fred Ebb mit ihrem Song „I Move On“ als ‚Bester Filmsong‘ nominiert, unterlagen hier aber der Konkurrenz. Im Gesamten ist „Chicago“ optisch und inszenatorisch ein Genuß und liefert alles, was man von einem guten Musical erwartet.
Zum Leben erweckt hat diese gelungene Musical-Satire über Reichtum und Ruhm der Regisseur Rob Marshall (*1960), der mit einer Oscar-Nominierung bedacht wurde. Schon im Alter von zwölf Jahren ging der kleine Rob Marshall zum Theater und gab bereits in den 70ern sein Musical-Debüt mit „A Chorus Line“. Doch wie viele Tänzer musste er aufgrund einer Verletzung gezwungenermaßen bereits mit 26 Jahren aufhören und arbeitete danach als Choreograph und Theaterregisseur. Mit „Chicago“ gab er sein Kinodebüt und schaffte es mit seinem Background die Musical-Atmosphäre der Bühne auf den Film zu übertragen. Danach blieb er fast ausschließlich dem Musical treu mit Filmen wie „Nine“ (2009), „Into the Woods“ (2014) und „Mary Poppins’ Rückkehr“ (2019).
Für seine Musical-Adaption entschied sich Rob Marshall nicht auf professionelle Sänger und Tänzer zurückzugreifen (außer Queen Latifah), sondern engagierte SchauspielerInnen für die Rollen. Allen von ihnen merkt man ihre Spielfreude an und, auch wenn der Gesang nicht hundertprozentig überzeugt, so sieht man doch die Arbeit, die sie in ihren Rollen gesteckt haben. Die Choreographien funktionieren ebenso wie Timing, Darstellung und Intonation überzeugen. Belohnt wurde dafür die Schauspielerin Catherine Zeta-Jones, die ursprünglich Sängerin und Tänzerin werden wollte, mit einem Oscar als ‚Beste Nebendarstellerin‘. In ihrer Karriere sah und sieht man sie vor allem als Schauspielerin u.a. in den Filmen „Geisterschloss“ (1999), „High Fidelity“ (2000) und „American Sweethearts“ (2001), aber ab und zu auch als Sängerin in u.a. „Rock of Ages” (2012). Auch die anderen Cast-Member u.a. John C. Reilly („Der Gott des Gemetzels“ (2011)), Renée Zellweger („Bridget Jones“ (2001)) und Queen Latifah („Hairspray“ (2007)) wurden mit einer Oscarnominierung bedacht. Warum gerade Richard Gere keine erhielt, erschließt sich nicht, denn er gibt den Anwalt mit der richtigen Süffisanz und schlägt sich auch ansonsten erstaunlich gut. Dafür konnte er aber einen Golden Globe für diese Rolle gewinnen. Im Gesamten überzeugt das Ensemble und verleiht den Figuren den richtigen Glanz, Charme, Humor und liefert überzeugende Songs und Choreographien ab.
Der Film kostete 54 Millionen Dollar und galt als riskantes Unternehmen. Doch der enorme Erfolg an den Kinokassen, nach seiner Premiere am 10. Dezember 2002 in Los Angeles, brachte dem Film ein Einspielergebnis von 170 Millionen Dollar ein. In Deutschland wurde er verhalten aufgenommen, obwohl er sogar die Berliner Filmfestspiele 2003 eröffnete. Neben seinen sechs Oscars erhielt er auch bei den Golden Globes drei Preise ( ‚Beste Hauptdarstellerin‘, ‚Bester Hauptdarsteller‘ und ‚Bester Film‘) und wurde bei den BAFTA (‚Beste Nebendarstellerin‘ und ‚Bester Ton‘) und Screen Actors Guild Awards bedacht. Der Soundtrack gewann sogar einen Grammy bei den Grammy Awards 2004. Im Gesamten erhielt der Film „Chicago“ enorme Aufmerksamkeit und machte das Genre Musical wieder hoffähig.
Fazit: Im Jahr 2002, kurz nachdem Amerika dem Irak den Krieg erklärt hat, wurde auf der 75. Oscarverleihung das Jubiläum der Academy gefeiert. Wie zum Trotz gewann die leichtfüßige, aber gesellschaftlich bissige Musical-Satire „Chicago“ sechs der Trophäen u.a. für den ‚Besten Film‘. Das Debüt des Regisseurs Rob Marshall überzeugt mit einem Gespür für eine passende Inszenierung und gibt seinem prominent besetzten Cast die Chance sich in der perfekten Atmosphäre, Kulisse und mit den richtigen Musical-Nummern als Sänger und Tänzer mit einer gelungenen Choreographie auszutoben. Dieser Film macht einfach gute Laune und gab den richtigen Anstoß, um das Musical-Fach wiederzubeleben.
Bewertung: 8/10
Trailer zum Film „Chicago“
geschrieben von Doreen Matthei
Quellen:
- Wikipedia-Artikel über den Film „Chicago“
- Wikipedia-Artikel über die Schauspielerin Catherine Zeta-Jones
- Wikipedia-Artikel über den Regisseur Rob Marshall
- Eintrag des Films „Chicago“ im Dirk Japser Filmlexikon
- Eintrag des Films „Chicago“ im Portal filmszene.de
- Eintrag des Films „Chicago“ im Portal filmspiegel.de
- Wikipedia-Artikel über das Musical „Chicago“
- Daniel Haas, ‚Sex, Lügen und Varieté‘, spiegel.de, 2003
- Kubiak, Hans-Jürgen: Die Oscarfilme, Schüren-Verlag GmbH, Marburg, 2007.
Diese Rezension ist als Teil der Oscar-Reihe der Testkammer erschienen.
Ein Gedanke zu “„Chicago“ (2002)”