Sechs Fragen an Sabine Ehrl

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Interview: Im Gespräch mit der deutschen Filmemacherin Sabine Ehrl erzählt sie von der ursprünglichen Idee aus einem Traum bis hin zum fertigen Skript für den dystopischen Kurzfilm „F for Freaks“, der u.a. in Dresden und Bamberg lief. Dabei berichtet sie, wie visuelle Regeln bei der Gestaltung geholfen haben und wie sie die bekannte Darstellerin Ursula Werner („Der Junge muss an die frische Luft“ (2018)) für ihren Film gewinnen konnte und ob wir das Glück haben werden, noch mehr von dieser Welt zu sehen.

Ein außergewöhnliches Drehbuch liegt Deinem Film zugrunde. Du schaffst es bekannte Elemente aus Horrorfilmen und Dystopien ganz neuartig zu vereinen. Wie bist Du auf die Idee für die Geschichte gekommen? Und wie würdest Du ihn selbst einordnen?

Die ganz ursprüngliche Idee stammt aus einem Traum: Ich war mit Kopfgeldjägern unterwegs und wir sind in einem tollen Wagen durch die leeren Wälder geheizt. Im Traum habe ich mich wirklich sehr, sehr besonders gefühlt, dass ich da dabei sein durfte. Das waren so dämonisch schöne Leute. Irgendwann haben sie an einer Straßenausbuchtung angehalten und dort habe sie zwei „Kleine Menschen“ (ca. halbe Größe von uns, aber gleiche Proportion) aus einem Kasten rausgezogen und sie gequält. Außer mir, ich stand dabei, aber eingegriffen hab ich auch nicht. 

Das war die ganz grobe Ausgangslage für den Film. Diese bedrohliche, aber dennoch aufregende Stimmung und dann eben diese vollkommene Beiläufigkeit der perfiden Gewalttaten. Die Beiläufigkeit hat dem Ganzen eine Art Legitimation gegeben. Das hat mich dann sehr beschäftigt, wie viele Dinge nimmt man hin, obwohl man mindestens eine Ahnung hat, dass da eine große Ungerechtigkeit dahinter steckt und ab wann wäre man gezwungen zu handeln. Also quasi, kann man vor sich selbst rechtfertigen bei großen Bekleidungsgeschäften einzukaufen und was würde sich ändern, würde man selbst die tatsächlichen Zustände in einer ausbeuterischen Nähfabrik sehen. Das hat sich dann alles so Stück für Stück weiterentwickelt, bis hin zu dem Festlegen der konkreten Umstände: Woher kommen die Kleinen Menschen, wie sind sie entstanden evolutionär, wie und wo wohnen sie, welche Sprache sprechen sie, wie kommen die Kopfgeldjäger an ihre Aufträge usw. … 

Zunächst sollte es sehr actionlastig werden. Die erste Drehbuchversion hieß: „Mad Max Look-alike“ bzw. dachte ich mir, ich will jetzt mal meinen eigenen Tarantino machen. Irgendwann kam dann eine Figur mit dazu, die quasi unsere Eintrittskarte in die Welt sein sollte, das war dann die Figur von Ursula Werner. Spätestens da hat die Geschichte noch mal eine ganz andere zusätzliche Ebene bekommen, in der es um das Festhalten am Leben und medizinischen Irrsinn geht.  

Beim Schreiben habe ich überhaupt nicht an Genres gedacht. Ich wusste auch gar nicht, wie ich eine Welt einordnen sollte, die in den 80ern stehen geblieben ist, ich hatte das Gefühl, SciFi müsste in der Zukunft angesiedelt sein. Dann bliebe Fantasy und da musste ich an Harry Potter denken und das fand ich auch nicht passend. Dystopie klappte dann am besten. Ebenso haben wir uns dann im Verlauf auch vermehrt an Western orientiert. 

Du schaffst es visuell den perfekten Look zu kreieren. Ich möchte gern mehr über das Setting, die Ausstattung und wo die Dreharbeiten stattfanden, erfahren.

Ursula Werner

Die Dreharbeiten fanden in Thüringen statt, nicht zuletzt, weil wir eine Förderung vom MDR bekommen hatten (MDR KurzKino). Landschaftlich gab es dort alles, was wir uns gewünscht hatten und die Thüringer waren wahnsinnig hilfsbereit. Ich kann nur empfehlen, dort zu drehen. Der Kameramann Stephan Buske, die Szenenbildnerin Isabelle Siegrist sowie alle anderen kreativen Departments und ich haben uns visuelle Regeln gesetzt, z.B. dass der Himmel immer möglichst herausgehalten werden sollte und dass kaum gerade Linien im Bild auftauchen sollen. Die Figuren sollten quasi bildlich gesehen auf den Boden gedrückt werden und von Wirrwarr umgeben sein. Ich glaube, das funktioniert ganz gut. 

Von den Farben her sollte auf gar keinen Fall Neon auftauchen, sondern eher Erdtöne. Alles musste patiniert sein, alle sollte immer schwitzen und Dreck unter den Nägeln haben. Visuelle Regeln sind grandios, dann muss man nicht immer wieder von vorne anfangen zu denken, wenn es später dann um schnelle Entscheidungen geht und am Ende halten sie den Film zusammen. 

Wie lange habt ihr gedreht? Und wie seid ihr die notwendigen Spezialeffekte angegangen?

Ursula Werner

Wir hatten zehn Drehtage mit tollen Cast- und Teammitgliedern, die richtig abliefern mussten. Das war schon heftig, hat aber auch großen Spaß gemacht.

Die Effekte mit den Kleinen Menschen haben wir zum Teil analog hergestellt und zum Teil digital (Compositing). Hier ein Beispiel, wie das analog funktioniert, und hier ein Beispiel aus „F for Freaks“, wie wir mit Green-Screen gearbeitet haben. Bei beiden Herangehensweisen brauchten wir Gegenstände in verschiedenen Größen. Einmal normal und einmal doppelt so groß, damit der Effekt funktioniert und wir eine Relation im Bild haben. 

Kannst Du mir mehr zum Casting erzählen? Die Besetzung ist hervorragend – vor allem konntest Du auch Ursula Werner für Deine Hauptrolle gewinnen. Wie hat sie im Vorfeld und im Nachgang den Film aufgenommen?

Paul Boche

Glücklicherweise war Lisa Stutzky die Casterin des Films und ich konnte mich an ihren großartigen Vorschlägen dann entlang hangeln und schauen wer, wie und mit wem funktioniert und natürlich auch mit mir. Das war viel Arbeit im Vorhinein, aber dafür war die Arbeit am Set dann der reinste Spaß. 

Ursula Werner hatte ich im Film „Sommerhäuser“ [Anm. d. Red.: 2017, Regie: Sonja Kröner] gesehen und war direkt schockverliebt, hatte aber auch einen sehr großen Respekt. Wir haben dann ganz klassisch über ihren Agenten Kontakt aufgenommen und ihr das Drehbuch zukommen lassen. Ich meine, dass sie schon von Anfang an sehr interessiert war, es ist ja keine klassische Rolle, aber sie war auch skeptisch. Find ich ganz nachvollziehbar, zwei Wochen mit irgendwelchen Filmhochschüler*innen in Thüringen rumgurken, kann ja auch sonst wie werden. Ursula hat dann mehrmals abgesagt, aber dennoch immer ein Hintertürchen offengelassen. Durch das allerletzte Hintertürchen sind wir dann reingeschlüpft. Ich hatte sie gefragt, ob wir nicht eine Arbeitsprobe zusammen machen wollen und dann wissen wir beide, was bzw. ob wir etwas verpassen würden. Paul Boche und ich waren dann bei ihr zu Hause und die beiden hatten die Szene improvisiert, in welcher er ihr erklärt, wie sie die Waffe zu beladen hätte. Das war unfassbar toll. Die beiden hatten Spaß zusammen zu spielen und Ursula hatte sich eine Rolle zurechtgelegt, die einfach fantastisch funktioniert hat. Nach sechs Minuten habe ich dann begeistert abgebrochen und sie meinte: „Fandest du gut so? Dann kann ich mit dem Rest auch was anfangen.“ Und von da an war sie dabei und das beste und wichtigste Teammitglied. 

Generell ist noch erwähnenswert, dass wir für alle Rollen sowohl Frauen als auch Männer gecastet hatten, was noch mal eine ganz neue Freiheit für den Film bedeutet hat. 

Kannst Du Dir vorstellen in Deiner geschaffenen Dystopie noch weitere Geschichte zu erzählen – vielleicht sogar als einen Langfilm?

Aleksandra Cwen

Es gibt die Idee zu einer Miniserie. Das könnte wie folgt aussehen: In der Endszene des jetzigen Films liegen ja alle auf dem Boden der Landstraße. Die Figur von Ursula Werner versucht noch mal die geschundenen Kleinen Menschen zu überreden, wieder mit ihr ins Krankenhaus zu kommen. Motorengeräusche und Scheinwerfer nähern sich. Kurz bevor das Auto (vermutlich das Auto der Kopfgeldjäger) über sie drüber fahren würde, gehen wir abrupt in die grandiose Titel-Sequenz (von Louis Huwald, Montage), mit der ebenso fantastischen Musik (Erik Fodi) über. In der zweiten Folge der Miniserie wären wir dann in diesem Auto, in dem eine neue Gruppe von Kopfgeldjägern sitzt und auf dem Weg zu einem/einer neuen Kunden/in ist. Dann kann man sich noch eine Folge vorstellen, die nur in der Welt der Kleinen Menschen stattfindet, usw…. Die Welt ist ja ziemlich reich, das würde mir großen Spaß machen das für circa. sechs Folgen zu entwickeln. Danach wäre dann aber auch Schluss damit.  

Kannst Du mir zum Schluss noch etwas mehr von Dir erzählen? Wirst Du dem Genre treu bleiben und sind bereits neue Projekte geplant?

Ursula Werner

Dem Genre treu bleiben, dass weiß ich noch nicht so genau, weil ich mich eher gerne mehrerer Genres in Kombination bedienen will. Vielleicht kommt aber auch das Naturalistische Sozialdrama, why not. 

An sich glaube ich aber, dass es schon eine Linie gibt bzw. geben wird, aber die hat eher was mit den zugrundeliegenden Thematiken zu tun: Traumata, die Lust an der visuellen Umsetzung, Provokation und das Zeigen des Unausgesprochenen oder der unausgesprochenen Ungerechtigkeit, Willkür und Wut, ausgeliefert sein, usw…. Lässt sich aber auch nicht leugnen, dass das sehr gut zu Horror passt, fällt mir gerade auf. Jetzt steht erstmal ein Musikvideo an. In Zusammenarbeit mit dem RBB und generell geht es jetzt mit der Recherche los, für den ersten langen Film. Das soll ein sehr breiter, epischer Episodenfilm werden, angesiedelt im Bayern meiner Kindheit. Mal schauen, wie viel Horror da drin steckt.  

Die Fragen stellte Doreen Matthei

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „F for Freaks

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