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Interview: Im Gespräch mit dem russischen Dokumentarfilmer Andrei Konchalovsky konnten wir mehr über seine Dokumentation „Homo Sperans“ erfahren, welche auf dem 30. Filmfestival Cottbus 2020 in der Reihe ‚Russkiy Den‘ lief, wie er sein Material zusammengestellt hat, wie aus 20 Fragen dieser Film resultierte und was er denkt, was den russischen Charakter ausmacht.
Was war der Ausgangspunkt für Deine Dokumentation?
Russische Literatur, meine ständigen Reflexionen über den russischen Charakter, über das, was ich persönlich an dem Land, in dem ich lebe, liebe. Es gab kein bestimmtes Ereignis, das mich dazu gebracht hat, den Film zu drehen. Es gibt einen Kreis von Themen, die mich ständig beschäftigen.
Wie hast Du Deine Hauptcharaktere gefunden? Wie nahmen sie das Filmprojekt auf?
Die Suche nach Protagonisten dauerte fast zwei Jahre lang. Erstens haben wir den Film zusammen mit „Rossiya-1“ gedreht, einem landesweit tätigen Fernsehsender mit Niederlassungen und Korrespondenten im ganzen Land. Wir erzählten den Journalisten von unserer Idee und baten sie, uns Materialien über interessante Menschen, die sie in ihren Regionen gefunden haben, zu schicken. So haben wir zum Beispiel den Landwirt Boris Savinov gefunden.
Zweitens haben wir professionelle Dokumentarfilmer aus verschiedenen Regionen des Landes eingeladen, unsere Co-Autoren zu werden. Viele von ihnen hatten Erfahrung, interessante Charaktere, aber z.B. nicht genug Geld, um eine eigene Dokumentation zu drehen. Dank dieser Dokumentarfilmer ist eine Kurzgeschichte über die Kinder der Familie Semjakow aus einem abgelegenen sibirischen Dorf entstanden, welcher der Regisseur, der die Figuren gefunden hat, mit unserem Filmteam gedreht hat.
Wie die Leute auf das Angebot, im Film mitzuwirken, reagiert haben – das sage ich gern: Zunächst einmal sind unsere Charaktere sehr offen für die Welt. Zweitens habe ich eine ausgezeichnete professionelle Filmcrew. Wir waren uns von Anfang an einig, dass unser Hauptprinzip am Set die Beobachtung ist. Einer der größten französischen Filmemacher, Robert Bresson, beschrieb einmal die Methode, die Welt durch eine Kamera zu sehen: ‚das Auge der Kuh‘ statt ‚das Auge des Affen‘. Der Affe dreht seinen Kopf und folgt seinem Objekt, während die Kuh nur das sieht, was sich in ihrem Blickfeld befindet. So haben wir es gemacht: Wir haben eine Kamera aufgestellt und den Protagonisten sein Leben leben lassen. Wir haben nur zugesehen. Kein Zwang, keine Inszenierung. Der Charakter würde fragen, was er tun wollte, und wir würden sagen, einfach nur was man zu tun gewohnt war. Und dann haben wir bei der Bearbeitung die wichtigen Dinge ausgewählt.
Und noch etwas: Ganz am Anfang meiner Reise habe ich denjenigen, die in direktem Kontakt mit den Figuren standen, gesagt: Ihr müsst sie lieben. Ihn nicht arrogant zu behandeln. Nicht zu unterbrechen. Zuhören mit dem Wunsch zuzuhören.
Hast Du die Portraitierten mehrmals besucht? Über welchen Zeitraum hast Du den Film gefilmt?
Hast Du noch Kontakt? Haben sie den fertigen Film schon gesehen?
Ich selbst kommuniziere im Moment nicht mit den Figuren, aber der Co-Regisseur und der Drehbuchautor schon. Aber nur per Telefon – es ist ein großes Land, es ist schwer, sich gegenseitig zu besuchen. Fast keiner der Charaktere hat den Film bisher gesehen. Nur Nikolay Panyushev, ein Lehrer, war zufällig an dem Tag in Moskau, als wir die Premierenvorführung im Rahmen des Moscow International Film Festival hatten. Natürlich haben wir ihn in den Saal eingeladen, und anschließend hat er sogar von der Bühne aus Fragen aus dem Publikum beantwortet. Alle anderen werden den Film, so hoffe ich, sehen, wenn er online verfügbar ist.
Viele Aussagen unterliegen einem Konsens und wirken sehr ähnlich. Dank Deines Zusammenschnitts wird das richtig deutlich.
Und so haben wir auch nach dem Prinzip der Forschung gearbeitet. Als wir mit den Dreharbeiten begannen, wussten wir nicht, ob etwas funktionieren würde. Wir hatten kein fertiges Drehbuch, keine Vorstellung davon, wie der Film ausfallen sollte. Wir haben mit Hunderten von Stunden an Material gearbeitet. Wir haben es lange analysiert.
Welche Botschaft lag Dir im Gesamten am Herzen?
Es kommt nicht darauf an, was ich für das Wichtigste halte, sondern was meinen Zuschauern am wichtigsten erschien. Jeden Einzelnen von uns, auch dir.
Was war Dir bei den Filmaufnahmen wichtig – wie hast Du den Film gefilmt? Wie groß war die Crew?
Ich habe bereits gesagt, dass es wichtig war, die Realität nicht zu verzerren, nicht Ihre Sichtweise aufzuzwingen. Das Team, das auf die Expedition ging, bestand aus einem Regisseur, einem Drehbuchautor, einem Kameramann und einem Tontechniker. Manchmal ging auch der Produzent mit. Beim Schnitt hatten wir auch einen anderen Regisseur, einen Drehbuchautor und zwei Schnittdirektoren und natürlich, die technischen Spezialisten, die Produzenten.
Die unterschiedliche Qualität der Aufnahmen ist mir aufgefallen – wurde auch anderes Material oder Älteres verwendet?
Kurz vorm Abspann kann man noch harte Fakten lesen – was denkst Du persönlich wieso die russische Bevölkerung glücklich ist, obwohl viel zu verbessern wäre?
Ich will damit nicht sagen, dass alle Russen glücklich sind. Übrigens sagen das die Figuren selbst auch nicht. Maria, eine Ärztin aus der Region Irkutsk, sagt zum Beispiel, dass sie sich nicht unglücklich fühlt, also ist sie glücklich. Viele Menschen wissen, wie sie mit wenig zufrieden sein können. Es ist alles sehr kompliziert hier.
Aber ich glaube, dass die Fähigkeit, sich nicht entmutigen zu lassen, ein Wesenszug des russischen Mannes ist. Übrigens erwies es sich als sehr schwierig, das Wort ‚неунывающий‘ in andere Sprachen zu übersetzen. Für die internationalen Shows haben wir uns einen Namen auf Latein ausgedacht: „Homo Sperans“. Aber sperans ist nicht gerade ein Synonym. ‚Sperans‘ ist jemand, der glaubt. Ein ‚resilienter Mensch‘ ist jemand, der nie den Mut verliert, der Prüfungen mit Ehre und Optimismus überwindet. In den westeuropäischen Sprachen haben wir kein einziges Wort gefunden, das das vollständig darstellt.
Sind bereits neue Projekte geplant?
Die Fragen stellte Doreen Matthei
Übersetzung aus dem Russischen von Michael Kaltenecker
Lies auch die Rezension des Films „Homo Sperans“