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An der Grenze zwischen Griechenland und Nordmazedonien liegt der Dojransee. Als im Jahr 2015 die Flüchtlingswelle über das Land schwappt, versuchen viele, über den Seeweg weiter- oder einzureisen. Der Fischer und Bauer Stergios (Stathis Stamoulakatos) wohnt zusammen mit seiner Frau Maria (Eleni Ouzounidou) und seiner gerade 18 Jahre alt gewordenen Tochter Anastasia (Evgenia Lavda) genau in diesem Grenzgebiet. Als sein Geld knapp wird, geht er auf das unmoralische Angebot ein, als Schleuser für Marias Bruder Christos (Christos Kontogeorgis) zu arbeiten. Währenddessen kommt Maria durch ihre Kirche auf andere Weise den Geflüchteten näher und hadert bald mit dem gelebten Ethos der christlichen Nächstenliebe in ihrem Ort. Die Tochter Anastasia, welche gerade eine frische Liebesbeziehung eingegangen ist, hat selbst kaum Überschneidungspunkte mit diesem Thema. Doch als eine Tragödie geschieht, erschüttert diese das Leben der ganzen Familie.
Die Regisseurin Asimina Proedrou (*1982), die auch das Kleine Fernsehspiel des ZDF für ihren Film gewinnen konnte, erzählt eine Geschichte aus dem Herzen der damaligen Flüchtlingskrise. Sie selbst schrieb das Drehbuch dazu und erzählt aus drei ganz unterschiedlichen Blickwinkeln, wie sich das Jahr 2015 für die Einwohner:innen vor Ort angefühlt hat. Dabei beginnt der Film mit einer Szene, die sofort zeigt, dass etwas Schreckliches geschieht und erzählt von da an rückblickend in drei Erzählsträngen von den Entwicklungen bis zu diesem Zeitpunkt. Es geht dabei um drei verschiedene Typen von Menschen: Jene, die sich entweder auf die eine oder andere Art und Weise an den Geflüchteten bereichern, dann um die Menschen, die mitleiden und humanitär tätig werden aber auch um jene, die scheinbar nicht davon tangiert werden. Raffiniert bringt sie alle drei in einer Familie zusammen, lässt sich Zeit die ganze Tragik der Geschichte zu entfalten, begrenzt durch den Blick der einzelnen Protagonist:innen den Blick der Zuschauer:innen, welche sich die gesamte Handlung so erst nach und nach vollends erschließen können. Auch wenn der Film acht Jahre in der Vergangenheit spielt, ist die Thematik weiterhin brandaktuell und der Film vermittelt ein Gefühl für die Länder, an deren Grenzen weiterhin eine starke Flüchtlingsbewegung herrscht, und ist trotz seines Spielfilmcharakters lehrreich, aber auch im Genre des Dramas unterhaltsam.
Die Inszenierung ist sehr gelungen. Die drei Perspektiven, die immer am Anfang des Erzählstrangs ansetzen, geben der Regisseurin Asimina Proedrou viel Spielraum auf erzählerischer Ebene. Diese überträgt sie auch in die Filmsprache. Denn oft hören und sehen wir nur das, was auch die entsprechende Figur wahrnehmen kann. So schafft sie es, einen lebendigen Eindruck von der subjektiven Sicht auf größere Ereignisse einzufangen. Spannend ist, wie die Themen an die einzelnen Personen herangetragen werden und wie sich auch der Blick des Publikums dem jeweiligen Erzähler:in anzupassen scheint. Hinzu kommt eine sehr realitätsnahe Bildgestaltung, so dass hier nicht verschleiert wird, dass es sich nicht nur um rein fiktive Themen handelt. Die Farbpalette bewegt sich meistens in Blau- und Grautönen und fängt so die Stimmung gut ein. Dass der Film so gut funktioniert, verdankt Proedrou auch ihrem hervorragenden Cast. Stathis Stamoulakatos, Eleni Ouzounidou und Evgenia Lavda füllen ihre Rollen mit so viel Leben, dass man beinahe denkt, realen Ereignissen beizuwohnen. So entstand ein rundherum gelungener, starker Film über die Flüchtlingskrise von 2015. Hoffentlich wird man auch in Deutschland die Möglichkeit haben, ihn im Kino oder zumindest im Fernsehen zu sehen.
Bewertung: 8/10
Kinostart: noch nicht bekannt
Trailer zum Film „Behind the Haystacks“:
geschrieben von Doreen Kaltenecker
Quellen:
- 30. Internationales Filmfest Oldenburg 2023 – Katalog (Programm ‚Independent‘)28
- Eintrag des Films „Behind the Haystacks“ bei Galway Film Fleadh
- Christopher Vourlias, ‚Refugee Crisis Exposes Family’s Flaws in Debut ‘Behind the Haystacks’‘, variety.com, 2022
- Eintrag des Films „Behind the Haystacks“ beim Europäischen Filmpreis
Sehr schöner Artikel, Frau Kaltenecker. Der Film wird unter dem dt. Titel HINTER DEN FASSADEN Anfang 2024 im ZDF ausgestrahlt. Auf Arte war er soeben.
Mit besten Grüßen, Markus Halberschmidt / FICTION PARK