Sieben Fragen an Jean-Guillaume Bastien

Doreen Kaltenecker
Letzte Artikel von Doreen Kaltenecker (Alle anzeigen)

Jean-Guillaume Bastien auf dem 30. Filmfest Dresden

Interview: Die Besucher des 30. Filmfest Dresden bekamen die Gelegenheit die Filme von Joëlle Desjardins Paquette und Jean-Guillaume Bastien in einer Retrospektive zu sehen. Von dem kanadischen Filmemacher Bastien liefen die beiden Filme “Ruby pleine de marde” (ET: “Ruby full of shit”) und “Je ne suis pas un grand acteur” (“I’m not a great actor”). Im Interview erzählt er uns mehr über die Entstehung der beiden Filme und seine Liebe zum Theater.

The original english language interview is also available.

Wie hast Du den Stoff für die Geschichte von “Ruby pleine de marde” entwickelt? Spielen persönliche Erfahrungen eine Rolle?

Ruby ist eine Adaption eines kurzen Theaterstücks von Sébastien David. Es war ein monologisches Stück, das Teil einer kollektiven Ausstellung war, in der Weihnachten das Hauptthema war. Ich lachte so sehr (und das Publikum auch!), dass ich schon wusste, dass ich diese Geschichte teilen musste. Ich konnte mich mit dem Material vor allem durch den katholischen Hintergrund, in dem ich aufgewachsen bin, und die Tatsache, dass mein Bruder auch schwul ist, identifizieren. Es fühlte sich einfach befreiend an, über all das zu lachen.  

Die Umsetzung ist vor allem wegen seines lakonischen Humors und seines wahnsinnigen Tempos großartig. Hast Du dafür Vorbilder? Und was war bei der visuellen Umsetzung wichtig?

Ich habe Alain Resnais immer geliebt, der mit einem sehr formalen ‘Twist’ an jedem Projekt arbeitet. Für Ruby wurde ich formal von Peter Greenaway und Gregg Araki beeinflusst. Eine Mischung aus klassischem Storytelling mit ausgefallenen und merkwürdigen Elementen. Außerdem wollte ich einen ‘Voice-over-Film’ machen, der definitiv einen schlechten Ruf hat (zumindest während der Filmschulzeit). Ich erinnere mich an Filme wie Jean-Pierre Jeunets “Amelie” und “Fight Club”, die diese sehr fesselnde Stimme durch und durch haben und die dieses Tempo und diesen Rhythmus besitzen. Während der Regie bezeichnete ich das Projekt als “Simpsons”-Film. Ich wollte, dass alles schnell und sogar von der Ängstlichkeit schwindelerregend wird.

Nicht französischsprachige Zuschauer werden wahrscheinlich nicht ganz mit dem Sprechtempo mithalten können. Hast Du schon einmal an eine englische Übersetzung gedacht?

Es war mir sehr wichtig, den Monologtext von Sébastien David zu respektieren. Er ist ein sehr talentierter Schriftsteller und seine Werke haben definitiv einen inneren Fluss und einen starken Sprachgebrauch. Ich denke, das schnelle Sprechen macht es auf Französisch lustiger, aber es verliert sich leider ein wenig in der Übersetzung. Es wäre toll, eine englische Übersetzung zu machen, aber ich glaube nicht, dass das meine Verantwortung ist. Ich wusste, dass der Film wegen einiger sehr spezifischer Québec-Referenzen international schwer zu verbreiten sein würde, aber ich drehte ihn vor allem für das Québecer Publikum. Es sprach definitiv viel von diesem Publikum und wenn der Film danach ein breiteres Publikum erreicht, ist das noch besser, aber das war nicht das Hauptziel. Sogar die französischen Filmfestivals fanden den Text sehr schnell und ich musste französische Untertitel machen, damit der Québecer Akzent verständlicher wird. Es ging immer darum, wen man zuerst ansprechen will und es wie ein Québecer Fenster zur Welt zu sehen.

Auf dem 30. Filmfestival konnten wir auch Ihren Film “Je ne suis pas un grand acteur” im Québecer Block sehen. Dort gibt einen intimen Blick hinter die Kulissen. Hast Du Deine eigenen Verbindungen zur Welt oder wie hast Du die Idee für das Drehbuch entwickelt?

Ich arbeitete viele Jahren in Teilzeit an der Theaterkasse, so dass die Hauptinspiration hauptsächlich darin bestand, durch die langen Gänge eines Theatergebäudes zu gehen. Mich interessieren die Theaterwelt, die Verspieltheit der Schauspieler, aber auch die Menschen, die dort arbeiten. Es fühlte sich an wie eine kleine, aber sehr überfüllte Welt mit viel Energie von innen. Ich wollte eine ‘emotionale Krise’ in dieser Welt zeigen, in der jeder sein Bestes geben muss. Eine Art ‘Alleine mit allen’; eine Erinnerung daran, dass Theater auch ‘nur ein Job’ sein kann, wenn die Leidenschaft weg ist.

Auch hier ist die Umsetzung sehr faszinierend. Der Film sieht wie ein One-Take-Film aus. Gibt es irgendwelche Schnitte? Warum hast Du diesen Ansatz gewählt?

Der Film ist in fünf lange Aufnahmen aufgeteilt, die durch unsichtbare Schnitte verbunden sind. Erstens half es definitiv bei der Produktionsherausforderung, und durch die Aufteilung des Films ergaben sich neue Möglichkeiten in Bezug auf die Raum-Zeit-Beziehungen. Das Theater wurde zu einem viel ‘labyrinthischeren’ Ort, weil wir seine eigene Raumlogik ändern konnten. Für mich war es wichtig, dass dieser formale Aspekt des Kurzfilms das Echtzeit-Feeling des Theaters respektiert und, dass der beste Weg, diese Geschichte zu erzählen, ein Countdown war, der sich durch den Film zog. Auf diese Weise konnte sich das Publikum für den Schauspieler gestresst fühlen und die Realität des Drucks, der einige Minuten vor einer Aufführung entsteht, besser verstehen. Es war aber auch ein interessanter Kontrast zwischen den inneren konfliktgeladenen Emotionen des Charakters und dieser Art von Totraum (und fast langweiliger Zeit) um ihn herum, bevor er auf die Bühne kam. Schauspieler sind sehr mutige Menschen und ich wollte ihnen auch eine Hommage erweisen.

In beiden Filmen fällt nicht nur die souveräne stilistische Umsetzung auf, sondern auch die Wahl der Schauspieler. Wie findest Du deine Protagonisten?

Es ist ein sehr intuitiver Prozess; Ich liebe Schauspieler mit großer Sensibilität. Ich versuche immer, mit Leuten zu arbeiten, von denen ich weiß, dass ich mit ihnen auskommen kann. Ich mag es, wenn sie mich überraschen und neue Elemente in ein Projekt einbringen können. Ich versuche, viele Theaterstücke zu sehen, damit ich sie live sehen kann. Wenn nicht, schaue ich mir die Demos der Schauspieler an oder mache Vorsprechen. Ein Film ist ein sehr kollaborativer Prozess und kann sehr erfüllend sein, wenn man Leute findet, die seine Vision einer bestimmten Geschichte verstehen und dabei sogar mehr bringen können.

Was passiert als nächstes? Ich habe gelesen, dass Du an Deinem ersten Spielfilm arbeitest.

Ich schreibe derzeit zwei Langfilm-Drehbücher. Ich bin sehr langsam im Schreiben, aber ich liebe es, tiefer in die Kunst des Drehbuchschreibens einzutauchen. Ich habe das Gefühl, dass ich noch viel darüber lernen muss und bin bereit, mir die Zeit zu nehmen, die ich brauche, um es gut zu machen. Für mich ist es eine ganz andere, aber auch eine sehr befriedigende Herausforderung als beim Kurzfilm. Wartet darauf!

Die Fragen stellte Doreen Matthei
Übersetzung von Michael Kaltenecker

Ebenfalls auf der Testkammer:


Interview: Visitors of the 30th Dresden Film Festival had the opportunity to see films of Joëlle Desjardins Paquette and Jean-Guillaume Bastien in a retrospective. The two films “I’m not a great actor” (OT: “Je ne suis pas un grand acteur”) and “Ruby Full of Shit” (OT: “Ruby pleine de marde”) were made by the Canadian filmmaker Batien. In this interview we learn more about the making of the two films and his love for the theatre.

How did you develop the material for the story of “Ruby pleine de marde”? Do personal experiences play a role?

«Ruby pleine de marde» is adapted from a short theatre play written by Sébastien David. It was a monologue piece part of collective show called where Christmas was the main theme. I was laughing so hard (and the audience too!) that I knew already I needed to share this story. I definitely could relate to the material mostly by the Catholic background I grew in and the fact that my brother is gay also. It just felt liberating laughing about all this.  

The realization is great above all due to his laconic humour and his insane pace. Do you have any role models for that? And what was important in the visual realization?

I always loved Alain Resnais, which works with a very formal “twist” on every project. For Ruby,  I was formally influenced by Peter Greenaway’s and Gregg Araki’s works. A mix between classical storytelling with funky/weird elements. Also, I wanted to do a “voice-over film” which definitely has a bad reputation (at least during film school years). I was remembering films like Jean-Pierre Jeunet’s “Amelie” and “Fight Club” that got this very captivating voice-over all way through and have this kind of pacing and rhythm. While directing, I was referring to the project as a “Simpsons” movie. I wanted everything to be fast and even dizzying by the anxiousness of it.

Non-French-speaking viewers will probably not quite keep up with the speaking pace. Have you ever thought of an English translation?

It was very important for me to respect the monologue text written by Sébastien David. He is a very talented writer and his works definitely have an internal flow and a powerful use of language. I think the fast-paced speaking makes it funnier in French but it does get a little lost in translation unfortunately. That would be great to do an English translation but I don’t feel like it is my responsibility. I knew the movie was going to be hard to share internationally because of some very specifics Québec references but I did for the Québec public first. It definitely spoke a lot the this public and if the movie gets to a wider audience afterwards, that’s even better but that wasn’t the main goal. Even France’s film festivals found it very fast-paced and I had to do French subtitles for them to better understand the Québec accent. It is always a matter of who you want to speak first and seeing it like a “Québec window on the world”.

At the 30th Film Festival we could also see your film “I’m not a great actor” in the Québec block. This gives an intimate look behind the scenes. Do you have your own connections to the world or how did you develop the idea for the script?

I worked part-time in the theater box-office for many years so the main inspiration was mostly just by walking the long hallways of a theater building. I am very interested by the theater world, the playfulness of the actors but also by the people working there. It felt like a small but very crowded world with a lot of energy from the inside. I wanted to show an “emotional crisis” in this world where everyone needs to give their best all the time. A sort of “Alone with everybody” kind of thing ; a reminder that theater can also be “just a job” sometimes when passion is gone.

Here, the realization is also very fascinating. It looks like a one-cut. Are there any cuts? Why did you pick this approach?

The film is splitted into five long shots joined by invisible cuts. First, it definitely helped the production challenge, and by splitting the movie new possibilities came in ; editing and space/time relations. The theater became a much more “labyrinthic” place because we could change its own space logic. It was important for me that the formal aspect of the short respect the theater real-time feeling and that the best way to tell this story was by using a countdown through out the movie. This way the audience could feel stressed out for the actor and better understand the reality of the pressure that comes in a few minutes before a performance. I though it was also an interesting contrast between the internal conflictual emotions of the character and this kind of dead space (and almost boring time) around him in prior to get on stage. Actors are very courageous people and I wanted also to pay an homage for them.

In both films not only the confident stylistic realization is striking, but also the choice of the actors. How do you find your protagonists?

It is a very intuitive process ; I love actors with great sensibility. I always try to work with people I know I could get along with. I like when they can surprise me and bring new elements to a project. I try to go see a lot of theater plays so I can see them playing live. If not, I do watch actor’s demos or make auditions. A film is a very collaborative process and can be very fulfilling when you find people that understand your vision of a particular story and can even bring more while doing it.

What happens next? I read you’re working on your first feature film.

I am currently writing two feature scripts. I am very slow at writing but I love to get deeper in the art of screenplay writing. I feel like I have still a lot to learn about it and I am willing to take all the time needed for doing it well. For me, it feels like a completely different kind of challenge from short films but also a very satisfying one. Wait for it!  

Questions asked by Doreen Matthei

Read on:

Ein Gedanke zu “Sieben Fragen an Jean-Guillaume Bastien

Kommentar verfassen