„Der Goldene Handschuh“ (2019)

Doreen Kaltenecker
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Filmkritik: Fatih Akin ist immer wieder für eine Überraschung gut. 2004 hat er sich mit „Gegen die Wand“ als Regisseur in Deutschland etabliert und blieb danach thematisch zunächst seinen türkischen Wurzeln treu. Doch in den letzten Jahren erweiterte er sein Repertoire mit Filmen wie „Tschick“ (2016) und „Aus dem Nichts“ (2017), die es beide schafften den Zuschauer auf ihre Art zu berühren. Jetzt liefert er mit dem Film „Der Goldene Handschuh“ seinen ersten Ausflug ins Horrorgenre und erzählt die Geschichte eines Serienmörders, basierend auf einem Roman von Heinz Strunk, auf wirklich eindringliche Weise.

In der Kneipe „Zum Goldenen Handschuh“ in Hamburg in den 70er Jahren treffen sich die Wirtschaftswunder-Verlierer, Kriegsveteranen, Obdachlosen und Prostituierten – allesamt Alkoholiker. Männer wie Nasen-Ernie (Lars Nagel), Soldaten-Norbert (Dirk Böhling), Tampon-Günther (Peter Badstübner), Dornkaat-Max (Hark Bohm) und Fritz Honka (Jonas Dassler) verbringen hier ihre Tage bei Bier und Schnaps. Dabei geht es auch darum, die eine oder andere Frau mit nach Hause zu nehmen. So auch Honka der u.a. Gerda Voss (Margarethe Tiesel) mit zu sich nimmt, aber neben der sexuellen Befriedigung steht ihm noch was anderes im Sinn. Doch durch den Alkohol vernebelt, hat er die Morde nicht bis zum Ende durchdacht.

Margarete Tiesel und Jonas Dassler
© Warner Bros. GmbH / Boris Laewen

Basierend auf dem Tatsachenroman „Der goldene Handschuh“ von Heinz Strunk (*1962), Autor u.a. von „Fleisch ist mein Gemüse“ (2004), erzählt der Regisseur Fatih Akin (*1973) von dem Frauenmörder Fritz Honka, der in den 70er Jahren im Hamburger Kiez sein Unwesen trieb und vier Frauen, vor allem Prostituierte, ermordet hatte. Offiziell ist der Film als erster Horrorfilm des Regisseurs angepriesen, doch was er versprüht ist vor allem Ekel. Der Gestank wird in diesem Film riechbar und Akin wählt eine Inszenierungsart, die kein Wegschauen duldet. Obwohl er nicht alles zeigt, geht Akin mit seiner Inszenierung ans Äußerste. Vor allem die Entsorgung der Leichen zeigt er in zermürbender Länge. Dadurch macht er die Brutalität und Kälte seines Hauptprotagonisten, welcher der Alptraum seiner Kindsheitstage war, deutlich. Für die Ausgestaltung der Geschichte hat er ganze Dialoge, die wirklich gut funktionieren, aus dem Buch übernommen. Doch anders als im Roman versucht er nicht die Hintergründe der Taten oder gar wie Fritz Honka zum Serienmörder wurde zu beleuchten. Hier findet keine Psychologisierung statt, sondern es ist ein reines Abbild der wahren Schrecknisse der deutschen Kriminalgeschichte. Darauf muss sich der Zuschauer einstellen. Es ist keine leichte Kost, ohne Sympathieträger und Erklärungen aber dafür mit realistischer, dreckiger Explizität.

Lars Nagel, Uwe Rohde
© Warner Bros. GmbH

Unterstützt wird das hervorragend von dem Filmaufnahmen und der grandiosen Wahl der Darsteller. Nach Polizeifotos rekonstruierte Akin die Wohnung Honkas und stattet sie mit viel Liebe zum Detail und zahllosen Wunderbäumen aus. Die Kneipe in all ihrer Versifftheit erweckte er zum Leben und schuf mit diesen beiden Locations den perfekten Rahmen für seine Geschichte. Auch bei der Kleidung und der kompletten Ausstattung hat er sich komplett der Zeit verschworen und bringt den Zuschauer zurück in die 70er Jahre. Die Gestalten, die er in diese Welt der Abgehängten packt, überzeugen dabei auf ganzer Linie. Akin lässt sich Zeit dafür, das Leben und die Menschen im Goldenen Handschuh einzufangen und packt mit den beiden Schülern Petra und Willi, gespielt von Greta Sophie Schmidt und Tristan Göbel (ebenfalls gesehen bei „Tschick“), ebensolche Eindringlinge, wie es auch die Zuschauer sind, in das Geschehen. Besonders beeindruckend ist die Leistung von Jonas Dassler, zuletzt gesehen in „Das schweigende Klassenzimmer“ (2018). Mit guter Maske und einer besonderen Kontaktlinse erweckt er den Serienmörder mit viel Authentizität zum Leben, so dass man den Schauspieler dahinter vergisst. Der Film, der seine Premiere auf der 69. Berlinale feierte, ist dabei eine gelungene Milieustudie, ohne sozialen Kitsch oder jegliches Pathos. So ungeschönt und ja auch so widerlich hat man selten das Portrait eines Serienkillers auf den Kinoleinwänden gesehen. Auf diesen Film muss man sich einlassen können und vermutlich auch einen starken Magen haben.

Jonas Dassler
© Warner Bros. GmbH / Gordon Timpen

Fazit: Fatih Akins Sozialdrama-Horrorfilm „Der Goldene Handschuh“ zeichnet nach einem Roman von Heinz Strunk die wahren Ereignisse um den Frauenmörder Fritz Honka nach. Dabei lässt er sich Zeit, die Geschichte mit einer Liebe für das Detail und auf Film gebannten Ekel zu erzählen. Die gute, überzeugende Inszenierung und die richtigen Darsteller entführen die Zuschauer, welche genug Durchhaltevermögen besitzen, in eine andere Zeit an einen Ort, an dem sie sonst vermutlich niemals landen würden.

Bewertung: 8/10

Trailer zum Film „Der Goldene Handschuh“

geschrieben von Doreen Matthei

Quellen:

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