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1947 wird Edmund Tolleson (Finn Wittrock) wegen vierfachen Mordes in das Lucia State Hospital eingewiesen, welches von Dr. Hanover (Jon Jon Briones) geführt wird. Dort soll herausgefunden werden, ob Tolleson zurechnungsfähig ist und so zur Todesstrafe verurteilt werden darf. Dem Gouverneur George Willburn (Vincent D’Onofrio) und seiner Pressesprecherin Gwendolyn Briggs (Cynthia Nixon) ist sehr daran gelegen. Im Gegensatz zu Mildred Ratched (Sarah Paulson), welche sich mit einem Trick in die Klinik als Krankenschwester einschleicht, sich gegen die Oberschwester Betsy Bucket (Judy Davis) durchsetzt und gleichzeitig daran arbeitet Dr. Hanovers Authorität zu untergraben, alles um dem Mörder Edmund zu helfen.
Der 1962 erschienene Roman „Einer flog übers Kuckucksnest“ (OT: „One Flew Over the Cuckoo’s Nest“) von Ken Kesey (1935-2001) ist bestimmt vielen aus der Verfilmung von Milos Forman aus dem Jahr 1975 mit Jack Nicholson in der Hauptrolle vertraut. Mit ihm lernten wir die Nervenheilanstalt und dessen strenge und harte Führung und damit auch Schwester Ratched kennen, welche in dem Film nicht charakterlich ausgelotet wird, sondern einfach nur das reine Böse symbolisiert. Das bot dem Serienerfinder Ryan Murphy (*1965), dem wir viele, oft sehr unterschiedliche, großartige Serien verdanken – man denke nur an „American Crime Story“ (2016) und „Hollywood“ (2020) – die Chance, die Figur der Mildred Ratched zu entwickeln. Die Ereignisse der Serie spielen im Jahr 1947, also ein paar Jahre vor dem Roman. Murphy und seine Drehbuchschreiber Ian Brennan, Evan Romansky und Jennifer Salt erzählen die Geschichte einer zerrissenen Frau zwischen der Verbitterung ihrer Jugend als misshandeltes Waisenkind und der neuen wachsenden, wohltuenden Liebe zu einer Frau. Die erste Staffel mit ihren acht Folgen glänzt immer wieder mit neuen Figuren, überraschenden und konsequenten Wendungen. Sehr gut austariert ist hier die Stimmung zwischen Horror und Drama. Die Spannung ist dabei immer zum Schneiden dick, da man nicht weiß, wo die Reise enden wird. So ist auch die letzte Folge mit großer Hoffnung und viel Anspannung verbunden und bietet einen guten Einstieg für eine zweite Staffel.
Die Wirkung der Serie verdankt sie auch einer perfekten stylischen Ausgestaltung und dem hervorragendem Cast. Die sich oft in Totalen erstreckenden Aufnahmen offenbaren landschaftliche Schönheit und stimmig bis ins Detail arrangierte Architektur von Innenräumen. Hier passt alles zusammen, so sind das Verlies, das schäbige Motel und auch die ‚Folterkammern‘ keine per se schrecklichen Orte, sondern man merkt der Serie eine Liebe fürs übertrieben Artifizielle an. Dementsprechend werden auch die Farben eingesetzt und die Kleidung ist perfekt darauf abgestimmt. Vor allem die Hauptfigur verwendet ihren Look sozusagen als Waffe. Dieses Artifizielle hat nichts mehr gemein mit den authentisch wirkenden Bildern des Milos Formans Film. Doch es zieht die ZuschauerInnen sofort in den Bann, denn die Mischung aus Schönheit und Horror bestimmt die Bilder und die Geschichte. Unterlegt werden die Bilder von dem perfekten Score. Der Komponist David Klotz variiert dabei diverse Scores von Hitchcock-Filmen u.a. „Der unsichtbare Dritte“ (1959), „Psycho“ (1960) und „Der zerrissene Vorhang“ (1966) des Komponisten Bernard Herrmann. Diese Arrangements schmiegen sich wunderbar an die Bilder an und verbinden heutige Ästhetik mit den damaligen Schauererzählungen. Auch die SchauspielerInnen, welche diese Welt bevölkern, haben meistens zwei Gesichter. Sei es Sarah Paulson („American Crime Story – The People v. O. J. Simpson“ (Staffel 1, 2016), “Ocean’s 8” (2018), „Glass“ (2019)) als Ratched, welche eiskalt jemanden lobotomiert, aber gleichzeitig tiefes Mitleid mit anderen PatientInnen empfindet. Auch der Mörder Edmund besitzt diese Ambivalenz, hervorragend von Finn Wittrock („Judy“ (2019)) dargestellt. Auch der restliche Cast mit Größen wie Sharon Stone, der großartigen Cynthia Nixon („Sex and the City“ (1998-2004)) und Amanda Plummer („Pulp Fiction“ (1994)) spielen ihre Rollen hervorragend und so besticht die ganze Serie vor allem mit ihrem starken weiblichen Cast, denn Männer sind hier oft nur Gefangene, Opfer oder Täter. Durch und durch ist Ryan Murphy mit „Ratched“ eine Serie gelungen, welche wenig mit dem Original zu tun hat, aber mit ihrer Mischung aus Künstlichkeit, Schönheit, Gefühlvollen Szenen und Horror die BetrachterInnen in den Bann zieht und neugierig auf die angekündigte zweite Staffel macht.
Fazit: Die Serie „Ratched“ aus der Hand von Ryan Murphy ist ein gelungener Genre-Mix, der von humorvollen Ideen genauso lebt, wie von Splatteraufnahmen. Die acht Folgen schaffen es die Spannung hoch zu halten und durch eine gelungene und wunderbar berauschende Bildsprache die ZuschauerInnen an ihre Charaktere zu binden, welche sich jeder Eindimensionalität erwehren. So entstand ein Serie, welche bestimmt nicht jedermanns Geschmack trifft und nichts mit ihrer Vorlage gemein hat, aber wunderbar unterhalten kann.
Bewertung: 4/5
Trailer zur Staffel 1 der Serie „Ratched“:
geschrieben von Doreen Matthei
Quellen:
- Wikipedia-Artikel über die Serie „Ratched“
- Victor Sattler, ‚Serie „Ratched“ bei Netflix Nerven wie Haarteile‘, faz.net, 2020
- Paula Lochte, ‚Neue Serie: “Ratched” ist ein starker Gegenentwurf zu “Einer flog übers Kuckucksnest”‘, br.de, 2020
- Thomas Abeltshauser, ‚Streaming-Tipp: »Ratched«‘, epd-film.de, 2020