Elf Fragen an Michal Hogenauer

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Interview: Im Gespräch mit dem tschechischen Filmemacher Michal Hogenauer konnten wir mehr über seinen Spielfilm „A Certain Kind of Silence“ (OT: „Tiche doteky“), der auf dem 30. Filmfestival Cottbus lief, erfahren, wie er zu seiner Geschichte von Manipulation und Sekten kam, wie wichtig die richtige Wahl von DarstellerInnen ist und welche Regisseure ihn bei seinem visuellen Konzept inspiriert haben.

The original english language interview is also available.

Kannst Du mir mehr zu der Entstehung des Films erzählen – wie bist Du auf die Ereignisse aufmerksam geworden? Es geht dabei nicht um die Wiedergabe wahrer Ereignisse, sondern der dahinter stehenden menschlichen Manipulation, richtig?

Zunächst war da mein Interesse an dem Thema Manipulation. Ich begann, dieses Thema zu recherchieren und landete sehr schnell in der Kategorie Sekten und Kulte. Also habe ich viele Bücher studiert und gelesen und viele Dokumentationen über die Methoden und Strategien vieler Sekten gesehen. Vor allem darüber, wie sie neue Mitglieder rekrutieren. Es war interessant, die Art und Weise kennenzulernen, wie sie die Gemeinschaften führen, ihre Hierarchien und Pyramidensysteme, die starke Rolle des Konzepts der Schuld, das sie benutzen, um die neuen potenziellen Mitglieder zu zermürben. Natürlich kann man ihre Strategien auch im täglichen Leben in den meisten Teilen unserer Gesellschaft sehen.

Während meiner Recherche fand ich einen Artikel in den Nachrichten über die christlich geprägte Sekte „Zwölf Stämme“ und deren Situation in Deutschland im Jahr 2013. Die Polizei brach in eine Bauerngemeinschaft ein und nahm ihnen vierzig Kinder weg, weil ein deutscher Journalist diese Gemeinschaft infiltriert und mit der versteckten Kamera eine erschreckende Art der Kindererziehung gefilmt hatte.

Eliska Krenková

Ich habe weitere Monate damit verbracht, über diese eine konkrete Sekte zu recherchieren. Sie kommen ursprünglich aus den USA, aber sie haben auch einige Zentren in ganz Europa. Die „Zwölf Stämme“ sind eine Hippie-Gemeinschaft und viele ihrer Markenzeichen sind ihnen bis heute geblieben. Die Art, wie sie sich kleiden, wie sie aussehen, wie sie auf Bauernhöfen leben, wie sie die moderne Welt meiden. Und am Ende wurde mir klar, dass ich mich mehr auf das Thema der manipulativen Strategien konzentrieren möchte als auf einige Hippie-Leute. Ich war inspiriert und lose beeinflusst von „Zwölf Stämme“ – von ihren manipulativen Spielen mit Worten und Emotionen, die mit Liebe verbunden sind; von ihren Erziehungsmethoden an Kindern; von der Tatsache, dass die Polizei kam – aber ich beschloss, meine eigene fiktive Gemeinschaft für unsere Filmerzählung zu erschaffen, noch mehr als Gegensatz zu den „Zwölf Stämmen“, um eine breitere und universellere Geschichte erzählen zu können.

Die reale Sekte stammt aus den USA. Doch in Deinem Film scheinst Du absichtlich das Land und die Stadt nicht zu benennen. Ging es Dir darum, dass es überall in Europa spielen könnte?

Ich wollte keine konkreten Hinweise geben, in welcher Stadt oder in welchem Land die Geschichte spielt, weil ich das Gefühl vermitteln wollte, dass sie überall stattfinden könnte, auch bei dir um die Ecke.   

In diesem Sinne fällt auch der Sprachmix auf. Kannst Du mir dazu mehr erzählen?

Monic Hendrickx und Roeland Fernhout

Eines der ersten Dinge, die Sekten in ihrem Prozess der Manipulation und Transformation von Individuen tun, ist mit der Sprache verbunden. Sie hinterfragen und verzerren etablierte Bedeutungen von Wörtern und Sätzen. Unsere Hauptfigur lässt sich im Ausland nieder, so verliert sie automatisch ihre Muttersprache und verliert auch ein wenig sich selbst. Es ist so unangenehm, wenn man unter Menschen ist, die man nicht versteht, aber weiß, dass sie über einen reden. Außerdem wollte ich den internationalen Kontext unserer fiktiven Gemeinschaft zeigen.

Kannst Du mir mehr zu den Dreharbeiten erzählen – wo und wie lange habt ihr gedreht? War es schwer, das perfekte Haus dafür zu finden? Wieviel war vorhanden – wie viel kam von Deinen Setdesignern?

Wir hatten fünfundzwanzig Drehtage. Der ganze Film wurde in Lettland gedreht, in der Hauptstadt Riga und ihrer Umgebung. Mein Plan war es, die Geschichte in einem skandinavischen Land anzusiedeln, aber trotzdem den universellen europäischen Typus der Stadt zu haben. Leider hatten wir kein Budget, um dort zu drehen, aber am Ende bot uns Riga das, was ich anstrebte. Die Holzhäuser im Kontrast zur modernen Architektur, das weiche Licht, das Regenwetter, das Meer. Alle Innenszenen wurden an realen Orten gedreht, es wurde nichts im Studio gemacht, aber wir mussten das Aussehen in allen Szenen ändern, um unserem visuellen und farblichen Konzept zu folgen. Was das Haus betrifft, so habe ich mir alle modernen Villenviertel in Lettland angesehen. Am Ende mussten wir den Außenbereich (Nachbarschaftsbereich) mit dem Innenhaus aus einem anderen Bereich kombinieren. Wir haben das Aussehen des ursprünglichen Hauses komplett verändert, wir haben alles neu gestrichen, das Bad ist neu, wir haben Bäume in den Garten gesetzt. Es kam also viel von meinem Setdesigner. Wir hatten am Anfang eine starke Vision davon, wie es aussehen sollte.  

Der Cast ist großartig – kannst Du mir mehr zur Besetzung erzählen?

Jacob Jutte und Eliska Krenková

Im Allgemeinen denke ich, dass das Casting 85-90% des Films ausmacht, also muss man die besten Darsteller auswählen. Das habe ich also getan. Wir bekamen finanzielle Unterstützung aus den Niederlanden, deshalb musste ich dort auch Schauspieler finden. Ich hatte Glück, dass die Schauspieler der A-Kategorie an unserem Drehbuch interessiert waren und Zeit hatten, ihr Land für einen Monat zu verlassen. Monic Hendrickx und Roeland Fernhout sind erstaunliche Filmschauspieler. Mia – meine Figur – wird von der tschechischen Schauspielerin Eliska Krenkova gespielt, die in Tschechien ziemlich bekannt ist, hat schon in mehreren Filmen mitgespielt, aber unser Film war der erste, in dem sie die Hauptrolle hatte.   

Wie war es mit dem Kinderdarsteller zu arbeiten – wie hast Du ihm diesen Stoff nahe gebracht? Wie war es für ihn so etwas zu drehen?

Er hatte keine Filmerfahrung, also habe ich mit ihm darüber gesprochen, was Schauspielerei und Filmschauspielerei im Allgemeinen ist. Ich versuche, den Schauspieler und die Filmfigur selbst zu trennen. Ich beschreibe unsere Geschichte und vor den Dreharbeiten musste er mit allem einverstanden sein, auch mit den Nacktszenen. Er hatte nur eine Bedingung, dass sein nackter Hintern nicht im Trailer zu sehen sein würde, weil er ihn seinen Freunden zeigen wollte. Ich glaube nicht an eine umfassende Beschreibung von Emotionen und Motivation bei Schauspielern, bei dem Kinderdarsteller wäre es noch seltsamer. Er war zehn Jahre alt, also war der ganze Dreh nur ein Spiel für ihn. Jacob Jutte hat so ein interessantes Gesicht und Aussehen, und ich wollte einfach einen Ausdruck erreichen, bei dem man nicht verstehen kann, was in seinem Kopf vorgeht, aber man spürt, dass dort etwas verarbeitet wird. Also habe ich ihn einfach in jeder Szene, in der er mitspielte, Zahlen zählen lassen. „Zähle bis fünf und geh nach rechts, sag den Satz, schau sie an und zähle bis sechs und verlasse dann den Raum.“

In den Filmaufnahmen spiegelt sich die Kälte dieser Familie wieder. Erzähl mir bitte mehr zu Deinem visuellen Konzept?

Jacob Jutte

Ich erinnere mich, als mein Kameramann mich fragte, ob ich den Schauspielern mit der Kamera folgen möchte, oder ob ich mich auf das Visuelle des Films konzentrieren möchte. Du kannst dir denken, was ich geantwortet habe. Am Anfang gab es einige visuelle Aspekte, die ich bevorzuge und mag, und dann haben wir einige visuelle Regeln aufgestellt, die wir versuchen zu befolgen und manchmal während der Dreharbeiten brechen. So viel natürliches Licht wie möglich verwenden, das erste Licht für den Raum und nicht die Schauspieler, die Kamera nicht neigen, versuchen, Abstand zu halten und die Aktion zu beobachten und nicht Teil davon zu sein, statisch auf dem Stativ sein, versuchen, die Szenen in einem langen Take zu machen; Charaktere aus der Gemeinschaft werden diese Arten von Pullover haben, diese Art von Farben, usw. Die Kälte kam mit dem Thema.

Hast Du Regisseure oder Filme an denen Du Dich orientiert hast?

Es gibt einige Regisseure, die mich generell inspiriert haben – Lanthimos [Anm.d.Red. „The Killing of a Sacred Deer“ (2017) und „The Favourite – Intrigen und Irrsinn“ (2019), „Nimic“ (2019)], Haneke, Clarke oder Ostlund. Für diesen Film, so erinnere ich mich, haben wir mit meinem Kameramann zum Beispiel „Safe“ von Todd Haynes, „Martha Marcy May Marlene“ von Sean Durkin oder „Chronic“ von Michel Franco angeschaut. Es gab auch eine Fotoserie namens ‚My America‘ des amerikanischen Fotografen Christopher Morris oder die Arbeiten von Alexander Gronsky an denen ich mich orientiert habe.

Gibt es trotz Corona schon Pläne über eine internationale Kinoauswertung?

Ehrlich gesagt, denke ich, dass wir mit dem Film bei den Festival- und Kinostarts fertig sind. Wir haben den Film im Juni 2019 auf dem Filmfestival in Karlovy Vary uraufgeführt. Danach haben wir ihn auf einigen anderen Festivals auf der ganzen Welt gezeigt, aber zu diesem Zeitpunkt in Kombination mit der COVID-19-Situation denke ich, dass der Film zu alt für Filmfestivals und am Ende seiner Reise ist. Wir hatten nie eine Vertriebsagentur, also gab es keine Möglichkeit, einen internationalen Kinostart zu haben. 

Kannst Du am Schluss noch ein bisschen mehr von Dir erzählen und wie Du zum Film gekommen bist?

Ich glaube, ich interessiere mich schon seit meiner Teenagerzeit für Film. Kunstkinos und Videotheken waren mein zweites Zuhause, als ich im Herzen von Prag aufwuchs. Ich glaube, ich habe immer zur Kultur im Allgemeinen geneigt, vor allem zu alternativen Filmen, Musik und Fotografie. Ich habe auf dem Gymnasium Grafikdesign studiert und bin von dort aus auf die FAMU und die Regieabteilung gegangen. Ich habe einige Kurzfilme gedreht, mein Diplomfilm mit dem Titel „Children watching night trains“ feierte in Cannes Cinefondation Premiere, aber es dauerte ein paar Jahre, bis ich meinen ersten Spielfilm „A Certain Kind of Silence“ drehen konnte.

Sind bereits neue Projekte geplant?

Es gibt ein paar Filmprojekte, die in Arbeit sind, aber es wird einige Zeit dauern, bevor ich in der Öffentlichkeit darüber sprechen kann. Ich bin mitten im Prozess der Realisierung und Zusammenfügens aller Teile der Geschichten, Charaktere und Themen.

Die Fragen stellte Doreen Matthei
Übersetzung von Michael Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Films „A Certain Kind of Silence


 Interview: In a conversation with Czech filmmaker Michal Hogenauer, we were able to learn more about his feature film “A Certain Kind of Silence” (OT: “Tiche doteky”), which screened at the 30th Cottbus Film Festival, how he came to his story of manipulation and cults, the importance of choosing the right actors, and which directors inspired him in his visual concept.

Can you tell me more about the making of the film – how did you become aware of the events? It is not about the reproduction of true events, but the human manipulation behind them, right?

First, there was my interest in the theme of manipulation. I started to research this subject and very quickly ended up in the category of sects and cults. So, then I studied and read many books and watched many documentaries about the methods and strategies of many sects. Especially how they recruit new members. It was interesting to get to know the way they lead the communities, their hierarchies and pyramid systems, the strong role of the concept of guilt which they use to break down the new potential members. Of course, their strategies can be seen in daily based life in most parts of our society.

During my research, I found an article in the news about the Christian-based sect Twelve Tribes and their situation in Germany in 2013. Police broke into a farm community and removed forty children from them because a German journalist infiltrated this community and filmed by the secret camera a terrifying way of raising their children.

I spent other months researching this one concrete sect. They come originally from the US but they have also some centers all around Europe. Twelve Tribes are a hippie community and lots of their trademarks stay with them until these days. The way they dress, the way they look, they live on farms, how they avoid the modern world. And at the end, I realized that I want to focus more on the theme of manipulative strategies than on some hippie people. I was inspired and loosely influenced by Twelve Tribes – by their manipulative games with words and emotions connected with love; by their rising methods on children; by the fact that police came – but I decided to create my own fictional community for our film narrative, even more as the opposite from Twelve Tribes to be able to tell a wider and more universal story.   

The real cult comes from Germany. But in your film, you seem to deliberately not name the country and the city.

I did not want to put any concrete hints and sights in which city or country the story takes place because I wanted to make the feeling it could take place anywhere, even around your corner.   

In this sense, the language mix is also striking. Can you tell me more about that?

One of the first things that sects does in their process of manipulation and transformation of individuals is connected to language. They question and distort established meanings of words and sentences. Our main character is settling down abroad, so she automatically loses her mother tongue and slightly loses herself as well. It is so uncomfortable when you are among people you don’t understand, but know they’re talking about you.  Also, I wanted to show the international context of our fiction community.

Can you tell me more about the filming – where and how long did you shoot? Was it hard to find the perfect house for it? How much was available – how much came from your set designers?

We had twenty-five days of shooting. The whole film was shot in Latvia, in their capital city Riga and its surroundings. My plan was to set the story in a Scandinavia country but still to have the universal European type of city. Unfortunately, we did not have a budget to shoot there but in the end, Riga offered us what I was aiming for. The wooden houses in the contrast of modern architecture, soft lights, rainy weather, ocean. All the indoor scenes are shot in real locations, there is nothing made in the studio, but we had to change the design in all of them to follow our visual and color concept. Regarding the house, I think I´ve seen all the modern villa areas in Latvia. In the end, we had to combine exteriors (Neighborhood area) with the interior house from a different area. We completely changed the design of the original house, we all repainted, the bathroom is artificial, we put trees in the garden. So it came a lot from my set designer. There was our strong vision at the beginning of how it should look.  

The cast is great – can you tell me more about the casting?

In general, I think the casting is 85-90% of your picture, so you must choose the best ones. So I did. We got financial support from The Netherlands therefore I had to find actors there. I was lucky that the A category actors were interested in our script and had time to leave their country for one month. Monic Hendrickx and Roeland Fernhout are amazing film actors. Mia – my character – is played by Czech actress Eliska Krenkova who is quite known in Czech, she has played in several films, but our film was the first one where she had the main role.   

What was it like working with the child actor – how did you introduce this material to him? What was it like for him to shoot something like this?

He didn’t have any film experience, so I talked with him about what acting and film acting is in general. I try to separate the actor and the film character itself. I describe our story and before the shooting, he had to agree on everything including the naked scenes. He had just one condition that his naked butt would not be in the trailer, because he wanted to show it to his friends. I do not believe in a wide description of emotions and motivation to actors, with the child actor it would be even more strange. He was ten-year-old, so the whole shooting was just a game for him. Jacob Jutte has such an interesting face and look and I was just aiming to get expression when you are not able to understand what is going on in his head, but you feel something is processing there. So, I just let him count numbers in every scene where he was in. „Count to five and walk to the right, say the line then look at her and count to six and then leave the room.“

The filming reflects the coldness of this family. Please tell me more about your visual concept.

I remember when my cinematographer asked me if I want to follow the actors by the camera, or if my aim is to be focused on the visuals of the film. You can guess what I answered… In the beginning, there were some visual aspects that I prefer and like, and then we put some visual rules which we try to follow and sometimes break during the filming. Using the natural light as much as possible, the first light the room and not actors, do not tilt the camera, try to distance and observe the action and not be part of it, be static on the tripod, try to make the scenes in one long take; characters from the community will have these types of the sweater, this type of colors, etc. The coldness came with the theme…

Do you have any directors or films that you used as a guide?

There are some directors who inspired me in general – Lanthimos, Haneke, Clarke, or Ostlund. For this film, I remember we were watching with my cinematographer for example Safe by Todd Haynes, Martha Marcy May Marlene by Sean Durkin, or Chronic by Michel Franco. There were also a series of photos named My America by American photographer Christopher Morris, or the work of Alexander Gronsky.

Are there any plans for an international theatrical release despite Corona?

Honestly, I think we are done with the film in the festival and theatrical releases. We premiered the film in June 2019 at the Karlovy Vary film festival. Afterward, we screened it at some other festivals around the world but at this time in combination with the COVID-19 situation, I think the film is too old for film festivals and at the end of its journey. We never had a sales agency, so there was no way to have any international theatrical release. 

Finally, can you tell me a little bit more about yourself and how you got into film?

I think I have been interested in film since my teens. Art cinemas and video rental shops were my second home when I was growing in the heart of Prague. I think I always tended to culture in general, mainly for more alternative films, music, and photography. I studied graphic design at my secondary and from there went to FAMU and the directing department. I made some shorts, my diploma film called Children watching night trains premiered in Cannes Cinefondation but it took me a few years before I was able to make my first feature “A Certain Kind of Silence“.

Are there already new projects planned?

There are a few film projects in progress but it will take time before I will be able to talk about them in public. I am in the middle of the process of realizing and putting together all the pieces of stories, characters, and themes.

Questions asked by Doreen Matthei

Read on the german review of the film „A Certain Kind of Silence

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