Neun Fragen an Sophie Linnenbaum (2023)

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Jonas Ludwig Walter

Interview: Im Gespräch mit der Regisseurin Sophie Linnenbaum, die vielfältige Projekte wie die Dokumentation „Väter unser“, Kurzfilme wie „Pix“ und die Serie „Deutscher“ realisiert hat, erzählt sie uns von ihrem Abschlussfilm und ersten langen Spielfilm „The Ordinaries“, der seine Premiere auf dem 29. Internationalen Filmfest Oldenburg 2022 feierte und nun am 30. März 2023 in den Kinos startet. Sie berichtet von der Entstehung und Umsetzung des Films, wie das ZDF in das Projekt involviert wurde und ob sie sich nun für ein Genre oder eine Erzählart besonders begeistern kann. 

Wie kam es zu der Idee für deinen Abschlussfilm „The Ordinaries“?

Die Grundidee für diese Welt entstand schon früh mit einem Kurzfilm von mir – „[Out of Fra]me“. Es ist die Geschichte eines Mannes, der so einsam ist, dass er aus dem Bild fällt. Er macht sich auf die Suche nach einer Lösung und findet schließlich in einer Selbsthilfegruppe von Menschen mit Filmdefekten, wie ‚Jumpcutters‘ oder ‚Falschcasts‘, die Verbindung, nach der er gesucht hat. Diese Figuren sind mir im Gedächtnis geblieben, weil sie auf so einfache und spielerische Weise unsere Ausgrenzungsmechanismen verkörpern, und die große Frage nach der Macht der Narrative, die unser Denken und Handeln bestimmen, ist in dieser filmischen Welt verankert.

Wie seid ihr das Projekt angegangen? Es ist ja nicht ausschließlich ein Uni-Film, sondern ihr seid vom ZDF unterstützt worden.

Das Projekt ist mein Abschlussfilm, produziert von Bandenfilm in Koproduktion mit dem ‚ZDF Kleinen Fernsehspiel‘. Britta Strampe und Laura Klippel von Bandenfilm und ich hatten während unseres Studiums schon zusammen gearbeitet und wollten gerne gemeinsam meinen ersten Langfilm machen. Auch viele Heads der Departments bestanden zu großen Teilen aus Leuten, die damit ihren Abschluss gemacht haben, oder Alumnis unserer Filmuniversität sind. Das kleine Fernsehspiel mit Jörg Schneider als Redakteur ist in einem recht frühen Stadium dazu gekommen, was uns sehr gefreut hat und eine wirklich schöne Zusammenarbeit war. Darüber hinaus haben wir noch Unterstützung weiterer Förderungen wie dem Medienboard und der Filmstiftung Niedersachsen bekommen.

Über welchen Zeitraum hinweg wurde der Film realisiert?

Vom ersten Entwurf bis zur Fertigstellung waren es viereinhalb Jahre.

Euer Film sieht großartig aus. Kannst Du mir mehr zu der visuellen Umsetzung erzählen, worauf Dein Augenmerk lag und wie und wo ihr das fantastische Setting umgesetzt habt?

Fine Sendel und Henning Peker

Auf der Suche nach dem Look sind wir mit den Szenograph*innen Josefine Lindner und Max Schönborn, der Kostümbildnerin Sophie Peters und dem Kameramann Valentin Selmke von dem sozialen und emotionalen Kern der verschiedenen Klassen ausgegangen und haben nach entsprechenden visuellen Referenzen in Film und Design gesucht. Wir haben den Stil der 50er und 60er als Referenz gewählt, weil diese Zeit für uns mit Idealbildern und Stereotypen innerhalb einer konservativen Gesellschaft verbunden ist. Das scheinbar perfekte Bild nach außen gibt vor, dass alles in Ordnung ist, während es unter der Oberfläche dieser konservativen Gesellschaft Unterdrückung und Diskriminierung gibt. Das zeigt sich auch in den großen Hollywood-Produktionen dieser Zeit, in denen alles glänzend und schön ist, sowie in der Mode, in der es darum ging, alles perfekt, glatt und adrett zu zeigen. Auch die Filme dieser Zeit haben sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt, so dass sie eine perfekte Basis für spielerische filmische Zitate und Stereotypen bieten und gleichzeitig den höheren Status der Hauptfiguren porträtieren.

Auch die Riege der Schauspieler:innen ist großartig. Wie verlief das Casting und hast Du bereits beim Schreiben manche Darsteller:innen im Sinn gehabt?

Wir hatten einen tollen jungen Caster mit an Bord, Karl Schirnhofer, der sich gemeinsam mit mir mit viel Liebe und Akribie in die Castings geschmissen hat, so dass wir auch für kleine Rollen wirklich genau nach der richtigen Besetzung suchen konnten. Tatsächlich ist mir Jule Böwe als Mutter schon diffus durch das Hirn gegeistert.

Kannst Du mir ein bisschen mehr über die Musik und vor allem zu den Musical-Einlagen erzählen?

Pasquale Aleardi, Denise M’Baye, Noah Bailey, Sira-Anna Faal

Beim Schreiben des Films waren wir auf der Suche nach etwas, das die Vormachtstellung und die Privilegien der Oberschicht repräsentiert, sich aber von den Statussymbolen unserer Welt unterscheidet. Durch ihre besondere Rolle in Bezug auf Emotionalität eines Films, war für uns Musik das Prestigeobjekt der Wahl, wenn man so will. Sie steht nur der Oberschicht zum legalen Gebrauch zur Verfügung steht, und trennt so die verschiedenen sozialen Klassen scharf voneinander ab. Die Musical-Einlagen sind dementsprechend nicht nur eine Reminiszenz an die wunderbaren Klassiker der 20er und 30er Jahre, sondern auch eine Darbietung höchster Klasse und enormer Vormachtstellung.

Diese Geschichte enthält so viel Potential, weiter erzählt zu werden. Hast Du darüber nachgedacht?

Haha, ja, da haben wir darüber nachgedacht und es ist auf jeden Fall noch viel in unseren Köpfen, aber erst mal kommen andere Dinge. :)

Du hast viele unterschiedliche Formen des Films (Spielfilm und Dokumentation, Kurz- und Langfilme sowie Serie) ausprobiert. Wo wird Dich Dein Weg in Zukunft hinführen?

Ich bin für jedes Format offen, jede Geschichte braucht ihren eigenen Rahmen.

Sind bereits neue Projekte in Arbeit?

Ja, aber es ist noch nicht wirklich etwas spruchreif. Nur dass ich definitiv wieder mit Bandenfilm arbeiten möchte, kann ich schon mal sagen.

Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Langfilms „The Ordinaries“

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