„Opfer“ (1986)

Doreen Kaltenecker
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Andrej Tarkowski – Spezial 8: Der letzte Film von Andrej Tarkowski ist nur wenige Monate vor seinem Tod entstanden. Der in Schweden gedrehte Film besitzt zwar einige der typischen Elemente eines Tarkowski-Films, unterscheidet sich aber trotzdem stark von seinen Vorgängern. Nicht nur der Aufbau der Geschichte hat sich verändert, sondern auch die Redseligkeit ist neu und macht den siebten Langfilm – “Opfer” (Originaltitel: “Offret”) – zum schwächsten Werk des russischen Regisseurs.

Der ehemalige Schauspieler Alexander (Erland Josephson) trifft sich mit seinen Freunden und seiner Familie in einem Haus an der Küste, um seinen Geburtstag zu feiern. Als durch das Radio von einer Katastrophe berichtet wird, will Alexander, um alles ungeschehen zu machen, ein Opfer bringen und macht sich nach dem Ratschlag von Otto dem Briefträger (Allan Edwall) auf den Weg zu Maria (Guðrún Gísladóttir), seiner Hausangestellten mit angeblich magischen Fähigkeiten.

opfer-7Nachdem er sein vorheriges Projekt in Italien realisiert hatte, siedelte Andrej Tarkowski nach Paris um. Zusammen mit der französischen Produktionsfirma Argos Films und mit dem schwedischen Filminstitut, welches die hohe Produktionssumme von sieben Millionen Mark beisteuerte, realisierte er sein letztes Projekt. Die Außenaufnahmen entstanden im Sommer 1985 auf der schwedischen Insel Gotland. Die erste Idee für das Drehbuch hatte er bereits in der Sowjetunion entwickelt. Damals wollte er seinen Protagonisten nur an einer persönlichen Krise leiden lassen. In der endgültigen Fassung verwandelte er den privaten Krebstod in den universellen Atomtod (Pflaum) und dies nur wenige Monate vor der Katastrophe in Tschernobyl (Ukraine). Auch hier wollte er in seinem ersten Drehbuchentwurf auch noch den bevorzugten Schauspieler Anatoliy Solonitsyn einsetzen, der aber bereits verstorben war, als das Projekt zur Realisierung kam.Der ursprünglich geplante Krebstod für den Haupthelden Alexander ereilte nicht nur Solonizyn, sondern kurze Zeit später auch Tarkowski. So beschäftigte sich Tarkowski in seinen zwei Drehbuchfassungen mit Ereignissen, die ihm und der Welt bevorstanden, als er ob eine Ahnung von den kommenden Ereignissen hatte. Die Kritiken auf den Film waren durchweg positiv, was vor allem an seiner bisherigen Reputation lag. Zu diesem Zeitpunkt kam es im sowjetischen Kulturbetrieb zu Verschiebungen, so dass sich auch sein Heimatland immer mehr für seine Kunst öffnete und ihm nach seinem Tod die Anerkennung zollte, die er immer gewollt hatte.

opfer-14Die filmische Handlung bei “Opfer” spielt sich in einem engen zeitlichen Rahmen ab. Innerhalb von 24 Stunden wird die Geschichte ohne größere zeitliche Sprünge erzählt. Zusätzlich findet sie auf einem begrenzten Raum – vor allem in einem Haus – statt. Die zwei Plansequenzen am Anfang und am Ende des Films bilden den filmischen Rahmen, in dem sich die Handlung entfaltet. Die ungewöhnliche Raum-Zeit-Einheit ist gefüllt mit einer Unmenge an Dialogen. Hier liegt die größte Schwäche des Films. Auch wenn diese Unterhaltungen mit vielen Zitaten und Chiffren versehen sind, sind sie doch mehr als ermüdend. Das aneinander Vorbeireden nimmt hier den Platz des kontemplativen Schweigens ein und lässt so das Wesentliche an der gewohnten Erzählform des russischen Regisseurs vermissen.

opfer-6Natürlich finden wir in der Bildsprache einige der typischen Elemente aus dem Tarkowski-Universum. So findet sich auch in diesem Film wieder eine männliche Figurentriade, die aber nicht so viel Ausdruckskraft besitzt, wie in seinen vorhergehenden Filmen. Die Symbolik hat sich zudem in diesem Film verändert und ist aber auch schwächer geworden. Die flache Symbolsprache mit leicht zu deutenden Elementen wie Bäumen als Hoffnungsträger sind zu phrasenhaft und überdeutlich (Kreimeier). Der Autor Kreimeier empfindet dies sogar als Bevormundung der Zuschauer. Die Bildsprache ist im Allgemeinen auffällig hell gehalten, entwickelt sich aber farblich über einen gewissen Zeitraum von Sepia-Tönen zu Schwarz-Weiß-Ausmalung (Kreimeier). Der schwedische Kameramann Sven Nykvist fing die Räume in fließenden Bewegungen ein. Vor allem die beiden Plansequenzen, welche die Handlung rahmen, besitzen allein durch die Kamerabewegung schon Symbolcharakter (Pflaum). In der ersten Sequenz wird die Kamera ruhig geführt, während in der zweiten die Kamera losgelöst und aufgeregt wirkt. Der Tag, an dem sich die ganze Handlung entfaltet, ist ebenfalls mit vielen offensichtlichen Symbolen gefüllt. Die gezeigten Landschaften stehen auch hier wieder für das Innenleben der Protagonisten. Aber einzelne Elemente werden symbolisch different eingesetzt. So steht der Baum als Zeichen der Natur, den es zu bewahren gilt, aber das Holzhaus als materieller Besitz, welches dem Feuer zum Opfer fallen muss. Das Feuer besitzt auch in diesem Film eine offensive religiöse Komponente und steht somit für Erlösung. Das Wasser dagegen steht für einen alptraumhaften Morast (Pflaum) und ist ungewöhnlicher Weise negativ konnotiert. Auch kommen Symbole aus früheren Filmen, wie die verschüttete Milch und das Schweben über dem Bett, wieder vor. So referenziert er auf sich selbst und spielt mit seinen eigenen Symbolen, deren Bedeutung er aber beliebig verändert.  

opfer-13Auch dieser Film, sein letzter Film, den er im Wissen um seine Krankheit gedreht hat, verrät wieder viel über Andrej Tarkowskis Persönlichkeit und seine Meinungen und Einstellungen. Die unabwendbare Katastrophe und die geringe Hoffnung stehen im Mittelpunkt der Handlung. Zu jener Zeit war die Krankheit so weit fortgeschritten und die Rückkehr in seine Heimat so unerreichbar, dass er vermutlich sein eigenes Schicksal als Opfer ansah. Auch der Alexander im Film ist ein Exilant wie Tarkowski. Die Hoffnung, die Alexander antreibt, ist unrealistisch und zeigt, dass Tarkowski selbst seinen steten Hoffnungsglauben verloren hat. Dagegen treten seine religiösen Einstellungen stärker in den Vordergrund. In diesem Film reden die Menschen viel, sagen aber wenig. Man erkennt eine deutliche Abkehr von den Menschen und eine Hinwendung zu Gott (Kreimeier). Es ist ein Opfer nötig um den entfremdeten Menschen Gott wieder näher zu bringen und um diesen gnädig zu stimmen (Hopf). Viele der verwendeten Symbole haben eine eindeutige religiöse Färbung und zeigen, dass sich Tarkowski in seinen letzten Monaten noch mehr Gott zuwandte.

opfer-9Unverhohlen ist auch die Kritik an der Welt und ihrer, Tarkowskis Meinung nach, falschen Entwicklung. Tarkowski litt unter dem westlichen Materialismus. So ist die Figur Alexanders ein Symbol für die notwendige Selbstlosigkeit. Er stellt mit seinem Opfer das Allgemeinwohl über seinen Egoismus (Jünger). In diesem Sinne sind die zwischenmenschlichen Beziehungen außer der Vater-Sohn-Bindung rein oberflächlich und können als Anklage verstanden werden. Der Film entstand nur wenige Monate vor der Tschernobyl-Katastrophe und scheint diese voraus zu ahnen. Tarkowski schrieb, dass die Menschheit eine Zivilisation geschaffen habe, die alles vernichten wird (Hopf). So prangerte er ohne Scheu den verwerflichen Umgang mit der Natur und den Kapitalismus an und erklärt den Verzicht als einzige Lösung. Dies ist unmittelbar mit seinen religiösen Ansichten verbunden. Die Aufgabe der Kunst, wie seinen Filmen, ist es bei dieser Reinigung (Hopf) zu helfen.

opfer-15Fazit: “Opfer”, der letzte Film von Andrej Tarkowski, ist der schwächste Film des russischen Regisseurs. Nicht nur in der Gestaltung und der Erzählstruktur wendet er sich von seinen Vorgängern ab, sondern auch mit seiner Geschichte, in der das Mystische fast vollständig verloren gegangen ist und die vor allem auf religiöse Symbole aufbaut. Das redselige, moralische Lehrstück besitzt zwar erkennbare Tarkowski-Momente, lässt aber die typische Atmosphäre gänzlich vermissen, so dass der gesamte Film mehr anstrengend und belehrend geworden ist. Vermutlich war der große russische Regisseur, geprägt von seiner Krankheit und seinem Exil, nicht mehr voller Hoffnung und am Ende seines Leben wollte er eine klare, warnende Botschaft hinterlassen. Schade, dass er dies nicht auf seine übliche Art getan hat und damit ein perfektes Ende für sein Œuvre geschaffen hätte.

geschrieben von Doreen Matthei

Quellen:

  • Jacobi, Reinhold; Lehmann, Dagmar – Opfer, Materialien zu einem Film von Andrej Tarkowskij, Duisburg, 1988.
  • Hopf, Florian – Opfer, entnommen aus: Arsenal – Kino der Freude der Deutschen Kinemathek: Materialien zu den Filmen von Andrej Tarkowskij, Berlin, 1982.
  • Jünger, Hans-Dieter – Kunst der Zeit, Andrej Tarkowskijs Konzept des Films, Ostfildern, 1995.
  • Kreimeier, Klaus – Die Sackgassen der Metaphysik, entnommen aus: Arsenal – Kino der Freude der Deutschen Kinemathek: Materialien zu den Filmen von Andrej Tarkowskij, Berlin, 1982.
  • Kreimeier, Klaus – Kommentierte Filmographie, in: Jacobsen, Wolfgang; Kreimeier, Klaus; Schlegel, Hans-Joachim; Schmid, Eva M J.; Sokurow, Alexander – Andrej Tarkowskij, München, Wien, 1987.
  • Pflaum, H.G. – Blick über die letzte Grenze, entnommen aus: Arsenal – Kino der Freude der Deutschen Kinemathek: Materialien zu den Filmen von Andrej Tarkowskij, Berlin, 1982.
  • Tarkowskij, Andrej – Die versiegelte Zeit. Gedanken zur Kunst, zur Ästhetik und Poetik des Films, München, 1984.

Das Œuvre von Tarkowski als Spezialreihe auf Testkammer:


opfer

Spezial 1: Andrej Tarkowski Einleitung
Spezial 2: Iwans Kindheit
Spezial 3: Andrej Rubljow
Spezial 4: Solaris
Spezial 5: Der Spiegel
Spezial 6: Stalker
Spezial 7: Nostalghia
Spezial 8: Opfer

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