„Der verlorene Sohn“ (2018)

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Filmkritik: Schon vor Jahren konnte man in Deutschland das Buch „Umkehr der Liebe“ von John und Anne Paulk lesen, welche darin ihren heilsamen Weg aus der Homosexualität hin zueinander beschreiben. Die Neuorientierung fand in einem christlichen Camp statt. Wer eine andere Sicht, also eine die weniger nach Gehirnwäsche klingt, der Lage solcher Camps erfahren möchte, kann sich nicht nur in den gängigen Medien informieren, sondern auch den neuen Film von Joel Edgerton ansehen: „Der verlorene Sohn“ (OT: „Boy Erased“, USA; 2018).

Jared Eamons (Lucas Hedges) lebt ein bescheidenes, stark christlich orientiertes Leben. Seine Welt gerät aus den Fugen, als er mit 19 Jahren von seinem College-Schwarm Henry (Joe Alwyn) vergewaltigt wird und so selbst die Erkenntnis gewinnt, dass er schwul ist. Mit sich nicht im Reinen gesteht er es seinen Eltern Nancy (Nicole Kidman) und Marshall (Russell Crowe). Als Familie entscheiden sie sich, ihn zu einer Konversionstherapie unter der Führung von Victor Sykes (Joel Edgerton) zugeben. Doch geheilt wird er dort nicht, wie er es sich im Stillen erhofft, sondern gedemütigt und schikaniert, so dass er sich bald fragt, was der richtige Weg ist.

Théodore Pellerin und Lucas Hedges
© Universal Pictures International Germany GmbH

Der Spielfilm basiert auf den Memoiren „Boy Erased: A Memoir“ (2018) von Garrard Conley. Darin berichtet der 1985 in Arkansas geborene Conely von dem Schock den er und seine Eltern erlebten, als sich herausstellte, dass er homosexuell ist. Er begab sich freiwillig in die Hände der fundamentalistischen Organisation ‚Love in Action‘ in ein Konversionslager. Dort wurde er unter dem christlichen Banner aber nicht zur Heterosexualität bekehrt, sondern gequält und zutiefst verunsichert, so dass Selbstmordgedanken zur Normalität gehörten. Das Buch wie jetzt auch der Film geben so einen Einblick in die amerikanische Gesellschaft. Zwar wird Homosexualität seit 1973 nicht mehr als psychische Erkrankung eingeordnet, aber dennoch werden bis heute viele solcher Camps betrieben. Oft von religiösen Gruppen geführt sollen Schwule und Lesben wieder zurückgeholt werden, dabei schrecken sie auch nicht vor härteren Methoden wie Elektroschocks oder Eisbädern zurück. 

Lucas Hedges und Nicole Kidman
© Universal Pictures International Germany GmbH

Diese Grundlage und das Wissen über solche real existierende Einrichtungen geben dem zweiten Spielfilm von Joel Edgerton (Jahrgang 1974, Erstling: „The Gift“ (2015)) ein enormes Gewicht. Zusammen mit Garrard Conley schrieb der Regisseur, der sich vor allem als Schauspieler einen Namen mit Filmen wie „Zero Dark Thirty“ (2012), „Der große Gatsby“ (2013), „Black Mass“ (2015) und „Red Sparrow“ (2018) gemacht hat, das Drehbuch für diesen Film. Dabei schafft er es, wie auch bereits in der Vorlage, harte Stereotypen zu umgehen. Man kann hinter die Fassaden sehen und so kristallisiert sich die Mutter vor allem als liebende Mutter heraus und auch der Therapeut Sykes ist nicht nur eine reine Schreckensgestalt. Diese Vielschichtigkeit der Personen und vor allem die erschreckend authentische Umsetzung machen das Drama so wirkungsvoll. Zudem thematisiert er wie in kaum einem anderen Film zuvor, das eigene schuldig fühlen bei Gender-Themen. Hier steht kein gefestigter Homsexueller im Mittelpunkt, der bereits weiß, was er will, sondern ein verunsichertes Kind, das in einer christlich dominierten Welt aufgewachsen ist. Von der Deutschen Medienbewertung erhielt der Film das „Prädikat besonders wertvoll“ verliehen und beweist so, dass er nicht nur die Zuschauer mit seiner intensiven und echten Geschichten überzeugt, sondern auch die Kritiker.

Nicole Kidman und Russell Crowe
© Universal Pictures International Germany GmbH

Die Geschichte findet ihren Widerhall in der stimmigen Filmaufnahmen. Die Bilder besitzen eine gedämpfte Farbpalette und fangen die Welt realistisch ein, auch wenn hier absichtlich mit vielen Erdfarben gearbeitet wird. Die Musik unterstützt den Film bis auf wenige ins Kitschige abdriftende Momente gut. Doch der Film lebt vor allem von seinem großartigen Ensemble. Neben den bekannten Gesichtern Nicole Kidman („Moulin Rouge“ (2001), „The Killing of a sacred Deer“ (2017)), die hier wunderbar die hin- und hergerissene Mutter spielt, die sich erfreulicherweise durchsetzen kann, und den etwas in die Breite gegangenen Russell Crowe („Gladiator“ (2000), „A Beautiful Mind“ (2001)) überzeugt vor allem der zur Zeit beliebte Jungdarsteller Lucas Hedges („Manchester by Sea“ (2016), „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ (2017)). Dieser spielt die Rolle mit der richtigen Mischung aus Zurückhaltung, Unsicherheit und am Ende einer natürlichen Stärke, die nicht übertrieben oder gekünstelt wirkt. Wunderbar sind auch die Nebendarsteller, darunter viele bekennende Homosexuelle wie der kanadische Filmemacher und Schauspieler Xavier Dolan („Herzensbrecher“) und der YouTuber Troy Sivan. Auch der Musiker Flea von der Band Red Hot Chili Peppers hat hier eine einprägsame Rolle. Im Gesamten hat sich Egerton für seinen zweiten Film ein berührendes Drama ausgesucht, das an den meisten Klischee-Klippen mühelos vorbei schifft und die Zuschauer mit einer bewegenden Geschichte und einem großartigen Ensemble erreichen kann.

Joel Edgerton
© Universal Pictures International Germany GmbH

Fazit: Der Spielfilm „Der verlorene Sohn“ erzählt nach einer wahren Begebenheit von den in Amerika immer noch üblichen Konversationstheraphien, welche Homosexuelle meist unter dem Banner des Christentum heilen soll. Der Regisseur und Schauspieler Joel Edgerton schafft es, diesen Missstand anzuprangern ohne Stereotypen zu überstrapazieren und so bekommen auch die falsch handelnden Personen genug Tiefe. Doch die Grausamkeit solcher Camps wird dadurch trotzdem deutlich. Unterstützt wird das Ganze von einer authentischen Bildsprache und einem starken Ensemble, so dass ein bewegendes Drama entstanden ist, das die Zuschauer in seinen Bann zieht.   

Bewertung: 8/10

Kinostart: 21. Februar 2019 / DVD-Start: 21. Juni 2019

Trailer zum Kurzfilm „Der verlorene Sohn“:

geschrieben von Doreen Matthei

Quellen:

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