Acht Fragen an Lorenzo Recio

Letzte Artikel von Doreen Kaltenecker (Alle anzeigen)

Interview: Im Gespräch mit dem französischen Regisseur und Künstler Lorenzo Recio konnten wir mehr seine Kurzfilm „Tempus Fugit“, gesehen auf dem 21. Landshuter Kurzfilmfestival, erfahren, ob er ihn selbst als Genrefilm sieht und was ihm bei der Be- und und Umsetzung am Herzen lag.

The original english language interview is also available.

Kannst Du mir mehr zum Ausgangspunkt Deiner Geschichte erzählen?

Die Geschichte stammt aus einem japanischen Märchen, das ich las, als ich etwa zehn Jahre alt war. Es ging um einen alten Fischer im mittelalterlichen Japan, der einen Jungbrunnen findet, er trinkt dieses magische Wasser und wird dann ein strahlender junger Kerl. Als er wieder nach Hause kommt, bittet er seine alte Frau, ebenfalls ein junges Mädchen zu werden, aber die Frau trinkt zu viel und wird ein Baby. 

Ich habe diese einfache, naive und wunderbare Geschichte immer im Kopf behalten und eines Tages kam der Wunsch auf, diese Geschichte durch die Magie des Kinos wieder lebendig werden zu lassen. Ich entschied mich dafür, die Geschichte in die Gegenwart zu verlegen, nach Frankreich, und die Hauptfigur sollte die Frau sein, nicht der Mann. Ich brachte eine neue Figur ein, einen anderen jungen Mann, um das zu schaffen, was wir ein ‚triangle amoureux‘ mit dem alten Ehemann nennen.

In welcher Kategorie würdest Du Deinen Film packen – siehst Du ihn als Genrefilm oder als Drama?

Roxane Duran

Für mich ist es ein Genre-Film, eine Mischung aus Märchen und Fantasy. Es gibt sogar eine kleine ‚Gore‘-Passage mit dem Blob am Ende. Aber dieser Kurzfilm ist trotzdem sehr speziell für mich, weil ich ihn möglichst naturalistisch machen wollte, weit weg von gewissen sehr künstlichen Filmen, die ich gemacht habe. Die Idee war, so etwas wie eine Mischung zwischen David Cronenberg für den Metamorphose- und Gore-Aspekt des Films und Eric Rhomer für den naiven, naturalistischen, humoristischen (im Sinne dessen, was wir im französischen Kino ‚naturalisme‘ nennen), alltäglichen, einfachen Leben und Romantik-Aspekt des Films zu machen. In der Tat eine sehr seltsame und riskante Mischung…!

Was lag Dir bei der Umsetzung am Herzen?

Wenn man einen Fantasy-Film macht, sucht man immer danach, dass der Zuschauer an die Geschichte glaubt, auch wenn sie noch so unwirklich ist. Es war wichtig, dass die Mischung aus Fantasy und Naturalismus funktionieren konnte. Aber in gewisser Weise bin ich das gewohnt, da ich Fantasy-Filme mache. Was für mich neu war, war, einen Film um die Charaktere herum zu bauen, die Schauspielerei, die ich realistisch, natürlich haben wollte, weit weg von meinen stilisierten Fantasy-Filmen. Der Fokus auf die Schauspieler, die Schauspielerei, war sehr wichtig.

Welchen visuellen Leitlinien bist Du gefolgt?

Roxane Duran

Auch hier war der visuelle Ansatz zwischen ‚Naturalismus‘, fast wie in sozialen Filmen, aber gemischt mit Fantasy-Ästhetik, unrealistisch. Die Landschaft musste selbst ein Charakter sein, ich brauchte einen Ort fast wie eine Wüste aus Felsen, mit einem Fluss, der an einer Stelle auftaucht und verschwindet, wo man ihn nicht erwartet. Es musste Sommer sein, ein heißer Sommer, mit einer starken, heftigen Hitze, die Luftspiegelungen erzeugen kann, die einen töten können. Die Bilder bewegen sich zwischen einer hellen, heftigen Sonne und dunklen (amerikanischen) Nächten. Auch der DOP ist ein sehr wichtiger Partner. Ich habe zwanzig Jahre lang mit Dylan Doyle gearbeitet, und mit wenigen Worten und Bildreferenzen war er in der Lage, die visuelle Welt, die ich erwartete, zu verstehen und ihr Fleisch und Licht zu geben.

Hast Du Deine Effekte handwerklich umgesetzt?

Roxane Duran

Ich habe die visuellen Effekte nicht gemacht, aber ich war in gewisser Weise ein Teil davon, da ich oft Programme wie After Effects benutze und dann konnte ich einen ersten Entwurf der ‚Fluss-Collage‘ in der Felsenlandschaft machen. Ich habe auch die Zeichnung des Blobs gemacht. Am Ende ist das Filmemachen großartig, weil man mit Leuten zusammenarbeitet, die in allen Aspekten des Filmemachens talentierter sind als man selbst und das Ergebnis ist immer viel besser, als wenn man es alleine machen müsste! Thibaut Granier für die visuellen Effekte und David Scherer für das Blob-Making haben dieses große Talent, das ich nicht habe!

Die Wahl der DarstellerInnen war entscheidend und funktioniert hervorragend. Wie hast Du Deine Besetzung zusammengestellt? Hast Du lange gebraucht zwei Frauen zu finden, denen man glaubt, ein und dieselbe Person zu sein?

Wenn die Besetzung so wichtig ist, kann man die Schauspieler nicht einzeln auswählen. Man muss also mit einem beginnen und die anderen kommen in Beziehung zu dem, den man zuerst auswählt. In diesem Fall hatte ich den starken Wunsch, mit der so bemerkenswerten und einzigartigen Roxane Duran zu arbeiten, die ich aus vielen Filmen kannte („Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte“ von Haneke, „Évolution“ von Lucille Hadzihalilozic, usw.), das Storyboard, das ich machte, basierte auf ihr als Hauptfigur, ich zeichnete sie, auch wenn ich nicht sicher war, ob sie den Film machen würde! Als Roxane zusagte, war ich überglücklich und musste dann die Schauspielerin für die Rolle der alten Frau finden, die mit Roxane verwandt ist. Ich hatte das Glück, Dominique Jayr zu finden, eine wunderbare Schauspielerin, die mit Jean Eustache gearbeitet hat. Dann musste ich den alten Ehemann finden und dann war es wieder ein solches Privileg, mit einem so klugen und exquisiten Schauspieler wie Philippe Laudenbach zu arbeiten, der mit Truffaut, Resnais und vielen anderen gearbeitet hat. Ich muss sagen, dass ich noch nie eine solche Besetzung hatte! Für die Rolle des jungen Mannes, Kevin, habe ich Kevin Dias getroffen, der der coolste radelnde junge Schauspieler der Welt ist, perfekt für die Figur.

Kannst Du mir am Schluss noch ein bisschen mehr von Dir erzählen und wie Du zum Film gekommen bist?

Dominique Jayr

Ich komme von der bildenden Kunst, vom Zeichnen und von Animationsfilmen. Ich hatte nicht vor, ein Filmemacher zu werden. Ich wollte anfangs nur Geschichten über Zeichnungen, Comics oder Illustration erzählen. Aber als ich anfing, im Animationsbereich zu arbeiten, wurde es unmöglich, weiterhin statische Zeichnungen zu machen, und als ich anfing, mit Schauspielerinnen und Schauspielern zu arbeiten, fand ich, dass es großartig wäre, verrückte und schräge Geschichten zu erzählen und sie real aussehen zu lassen. Ich bin nicht daran interessiert, Aspekte der alltäglichen Welt oder des Lebens zu erzählen – Es ist da, warum es kopieren? Ich bevorzuge es, Welten oder Konzepte oder Ästhetik (in meinem kleinen Maßstab) zu erfinden. Es sind Schöpfer wie Buñuel, Fellini, Kurosawa, Lynch [Anm. d. Red. „Twin Peaks“ (1990)], Lang, Tarkowsky [Anm. d. Red.: Unser Special zu Andrej Tarkowski], diese Art von Visionären, die mir den Wunsch gaben, Filme zu machen.

Sind bereits neue Projekte geplant?

Ich schreibe gerade an einem Spielfilm (bin fast am Ende!), der 1920 in Paris spielt. Eine blutige, fantasievolle, poetische Liebesgeschichte, hoffe ich!

Die Fragen stellte Doreen Matthei
Übersetzung von Michael Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Tempus Fugit


Interview: In our conversation with French director and artist Lorenzo Recio, we were able to learn more about his short film “Tempus Fugit“, seen at the 21st Landshut Short Film Festival, whether he sees it as a genre film himself, and what he had at heart in the editing and realization.

Can you tell me more about the starting point of your story?

The story comes from a Japanese tale that I read when I was around ten years old. It was about an old fisherman in middle age Japan who finds a fountain of youth, he drinks that magic water and then becomes a bright young guy. When he comes back home he asks his old woman to become a young girl too but the woman drinks too much and becomes a baby. 

I always kept this simple, naive and wonderful tale in my mind and one day the desire came to make this tale live again through the magic of cinema. I chose to turn the story contemporary, in France, and the main character has to be the woman instead of the man. I brought to a new character, another young guy to create what we call a “triangle amoureux” with the old husband.

In which category would you put your film – do you see it as a genre film or as a drama?

For me it’s a genre film​, a mix of tale and fantasy. There is even a little “gore” passage with the blob at the end. But this short is, anyway, very special for me as I wanted it to make it naturalistic, far from certain very artificial films that I made. The idea was to do something like a mix between David Cronenberg for the metamorphosis, gore, aspect of the movie, and Eric Rhomer for the naïve, naturalistic, humoristic ( in the idea of what we call “naturalisme” in french cinema), everyday simple life and romance aspect of the film. A very strange and risky mix in fact…!

What was important to you in the making of the film?

When you do fantasy film you always look for the watcher to believe in the story, even if it’s so unreal. It was important that the mix of fantasy and naturalism could work. But, in a way, I’m used to that since I do fantasy films. What was new for me was to build a movie around the characters, the acting, that I wanted realistic, natural, far from my stylized fantasy films. The focus on actors, acting, was very important.

What visual guidelines did you follow?

Here again the visual approach was between “naturalism” approach, almost like in social movies but mixed with fantasy aesthetic, unrealistic. The landscape had to be a character itself, I needed a place almost like a desert made of rocks, with a river which appeared and disappeared in a place where you don’t expect it. It had to be summer, a hot summer, with a strong, violent heat which can create mirages, which can kill you. The images travel between a bright, violent sun and dark (american) nights. The DOP is a very important partner too, I work with Dylan Doyle for twenty years and with few words and images references he was able to understand and give flesh and light to the visual world I was expecting.

Are your visual effects practical?

I didn’t make the visual effect but I was in a way part of it as I often use programs like after effects and then I could do a first draft of the river “collage” in rocks landscape. I made the drawing of the blob too. At the end movie making is great because you work with people more talented than you in all aspects of movie making and the result is always much better than if you had to do it on your own! Thibaut Granier for visual effects and David Scherer for the blob making have this great talent I don’t have!

The choice of actors and actresses was crucial and works extremely well. How did you assemble your cast? Did it take you a long time to find two women who are believably one and the same person?

When the cast is that important you can’t choose actors separately. So you must start with one and the others come in relation with that one you choose first. In this case I had the strong desire to work with the so remarkable and unique Roxane Duran that I knew from many films (“The White Ribbon” from Haneke, “Évolution” from Lucille Hadzihalilozic, etc..), the story board I made was based on her as main character, I draw her, even if I was not sure if she would do the movie! When Roxane accepted I was so happy and then had to find the actress for the old woman character, in relation with Roxane. I had the luck to find Dominique Jayr, a wonderful actress who worked with Jean Eustache. Then I had to find the old husband and then, again, it was such a privilege to work with a bright and exquisite actor as Philippe Laudenbach, who worked with Truffaut, Resnais, and many others. Let me say that I never had such a cast before! For the young guy character, Kevin, I met Kevin Dias who is the coolest biking young actor on earth, perfect for the character.

Can you tell me a bit more about yourself at the end and how you got into film?

I come from visual arts, drawing, and animation movies. I didn’t plan to become a movie maker. I just wanted to tell stories via drawings, comics or illustration at the beginning. But when I started to work in animation it became impossible to continue to do static drawings and when I started to work with actress and actors I found that it would be great to tell mad and weird stories and make them look real. I’m not interested in telling aspects of everyday world or life, it’s here, why to copy it? I prefer to invent worlds or concept or aesthetics ( in my so small scale). It’s creators like Buñuel, Fellini, Kurosawa, Lynch, Lang, Tarkowsky, this kind of visionnaires, who gave me the desire to do films.

Are there already new projects planned?

I’m writing a feature film (almost reach the end!) which takes place in 1920 in Paris. A love, bloody, fantasy, poetic tale I hope!

Questions asked by Doreen Matthei

Read on the german review of the short film “Tempus Fugit

Kommentar verfassen