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1998 / 70. Oscarverleihung / 14 Nominierungen / 11 Auszeichnungen
Am 15. April 1912 um 2:30 Uhr sank der Atlantikkreuzer Titanic auf seiner Jungfernfahrt, nachdem er einen Eisberg gerammt hatte. Bei dieser Tragödie starben 1517 Menschen, da aufgrund von Hybris und Schönheitsgründen nicht nur jeder daran geglaubt hatte, dass das Schiff unsinkbar sei, sondern auch u.a. zu wenig Rettungsboote angebracht wurden. Dieses Unglück zog viele Verfilmungen nach sich. Die erste erschien bereits im gleichen Jahr: „Saved From the Titanic“ (OT: „Saved From the Titanic“, Regie: Étienne Arnaud). Es sollten noch acht weitere Verfilmungen vor Camerons folgen (u.a. „Atlantik“ (1929, Regie: E. A. Dupont), „Der Untergang der Titanic“ (1953, Regie: Jean Negulesco) und „Die letzte Nacht der Titanic“ (1958, Regie: Roy Ward Baker), „Titanic“ (1996, Fernseh-Zweiteiler)), die sich alle durch die Tragödie mit den Themen Technik gegen Natur und starken menschlichen Allmachtsphantasie beschäftigen. Dieser vor allem männlich geprägten Allmacht wird Cameron in seinem Film den weiblichen Befreiungsakt gegenüberstellen. Denn er, der auch das Drehbuch dazu geschrieben hat, webt in diese faktentreue Schilderung des Untergangs ein klassisches Melodram ein. Die Schönheit aus reichem Hause verliebt sich in einen gutaussehenden Habenichts. Aus dieser Anfangskonstellation heraus entwickelt sich die Geschichte klassisch, doch Cameron weiß dies so wunderbar in die faktentreue Schilderung einzuflechten, dass er mit seinem Spiel von mehreren Zeit- und Erzählebenen überaus interessant ist und auch berühren kann. Man möchte fast sagen, großes Kino, eine große Katastrophe und auch große Gefühle gehen hier Hand in Hand. Die erste Idee dafür hatte er schon 1987, als er einen Dokumentarfilm über die Titanic gesehen hatte. Damals noch unbekannt, bekam er kein grünes Licht für so eine Produktion. Doch nachdem er sich mit „Terminator 2“ (1991) einen guten Ruf als Garant für finanziellen Erfolg verschafft hatte, durfte er sein Projekt mit einem Budget von 50 Millionen Dollar starten. Doch bevor er mit den eigentlichen Dreharbeiten begann, begab er sich mit dem russischen Forschungsschiff Akademik Mstislaw Keldysch und zwölf organisierten Tauchfahrten zum Wrack der Titanic. Diese Dokumentaraufnahmen, für die zum ersten Mal das Wrack im Inneren erkundigt wurde, schafften es sogar in den finalen Spielfilm, unterstreichen so die reale Grundlage der Geschichte und gaben den Zuschauern einen einzigartigen Blick auf das in 3803 Meter Tiefe gesunkene Schiff.
In einem dritten Becken, was nur 1,3 Millionen Liter fasste, wurde die Szenen nach dem Untergang gedreht. Mit Wachs und einem speziellen Pulver erhielt man die überzeugende Optik der Leichen, so dass diese besonders eindrücklich wurden. Im Gesamten ging es Cameron darum, die Spezialeffekte und die Technik für diesen Film vollends auszureizen. Dafür beauftragte er sein eigenes Modellstudio Digital Domain damit, die Errungenschaften aus seinen Filmen „Abyss – Abgrund des Todes“ (1989) und „Terminator 2 – Tag der Abrechnung“ (1991) weiterzuentwickeln. Dabei ging es ihm vor allem um eine realistische Darstellung von Wasser, welches bis dato immer sehr unecht aussah. Mit einigen Kniffen und einem neuen Berechnungs-Algorithmus gelang es dem Visual Effects Supervisor Robert Legato dies umzusetzen und dafür gewann er den Oscar. Wahrlich sind die Effekte auf dem Stand der damaligen Technik und zeigen was digital (und auch analog) möglich war. Wunderbar ist, dass alle Effekte dabei nicht aus reinem Selbstzweck heraus eingesetzt werden, sondern zusammen mit der hervorragenden Kameraarbeit von Russell Carpenter und dem Schnitt (Conrad Buff IV, James Cameron, Richard A. Harris), welche ebenfalls mit einem Oscar ausgezeichnet wurden, zur Unterstützung der Geschichte eingesetzt werden. Diese steht trotz aller technischen Errungenschaften im Vordergrund und wurde perfekt von allen formalen Elementen unterstützt.
Die Bassins, der Nachbau und die Inneneinrichtung verbrauchten die vorgegebenen 50 Millionen Dollar und so musste ein Co-Finanzier gefunden werden. Paramount stieg ein und so wurde das Budget von über 200 Millionen Dollar möglich, was der Film bis zum Ende des Drehs verbrauchte. In einer monatelangen Produktion, deren Dreharbeiten im September 1996 begannen, entstand der 194-minütige Katastrophenfilm. Diese Dreharbeiten forderten von den DarstellerInnen und dem gesamten Team viel Tribut. Der Zeitplan sah ursprünglich 138 Drehtage vor, wurde aber auf 160 Tage ausgeweitet. Dabei erkrankten durch das kalte Wasser viele SchauspielerInnen an Erkältungen, Influenza oder Niereninfektionen, so auch Kate Winslet selbst. Und obwohl viele Requisiten aus Schaumstoff waren, erlitten drei Stuntmänner Knochenbrüche und einige Darsteller verließen aufgrund der sehr anstrengenden Bedingungen das Team. Doch die Screen Actors Guild kam zu dem Ergebnis, dass am Set alles sicher für die DarstellerInnen war und James Cameron selbst entschuldigte sich nie dafür, sondern blieb seiner strengen, fordernden Gangart immer treu, da er dies für notwendig hielt, um solch eine große Crew und Cast zu führen.
Ein weitere wichtige Faktoren für den Erfolg des Films war die Musik von James Horner zusammen mit dem Titelsong „My Heart Will Go On“, gesungen von Céline Dion, die beide mit einem Oscar ausgezeichnet wurden, wie auch der Ton (Gary Rydstrom, Tom Johnson, Gary Summers, Mark Ulano) und der Tonschnitt (Tom Bellfort, Christopher Boyes), welche wunderbar mit Geräuschen das Grauen u.a. im Inneren des Schiffes zum Ausdruck brachten. Ursprünglich sollte Enya die Musikuntermalung komponieren – in einem Rohschnitt hatte Cameron diese bereits verwendet. Doch die Musikerin sprang ab, genau wie Dolores O’Riordan, Frontsängerin der Rockgruppe The Cranberries. So kam Cameron auf James Horner, mit dem er bereits bei „Aliens – Die Rückkehr“ (1986) zusammengearbeitet hat, auch wenn damals die Zusammenarbeit eher unterkühlt verlief. Um den ursprünglichen Enya-Stil etwas treu zu bleiben, flossen in der finalen Komposition irische Elemente ein und auch der hallende Klang in den wortlosen, stimmungsvollen Hintergrund-Gesängen, gesungen von der norwegischen Sängerin Sissel Kyrkjebø, wurde übernommen. Den Titelsong „My Heart Will Go On“ schrieb Horner zusammen mit Will Jennings, obwohl Cameron ursprünglich keinen Song wollte. Horner holte sich dafür die kanadische Sängerin Céline Dion ins Boot, die mit diesem Song den größten Hit ihrer Karriere hatte. Cameron ließ sich mit dem fertigen Produkt überzeugen. Das es eine gute Entscheidung war, wurde durch spätere Preise auch noch untermauert. Der Soundtrack für „Titanic“ verkaufte sich über elf Millionen mal und ist bis heute der am meisten verkaufte ausschließlich orchestrale Score der Filmgeschichte. Auch bei den Billboards-Charts brach er alle bestehenden Rekorde: 16 Wochen lang verweilte er auf Platz eins, bisher lag der Rekord bei zehn Wochen. Auch in anderen Ländern wie Großbritannien und Polen war der Soundtrack ein riesiger Erfolg und noch bis heute wird jeder auf die Titanic zurückversetzt, wenn er die Musik von James Horner hört.
Wie bereits häufig erwähnt, war James Cameron (*1954) maßgeblich verantwortlich für das Projekt – von der Anfangsidee bis hin zur Umsetzung. Dafür erhielt er auch drei Oscars als Produzent, Regisseur und als Editor, da er zusätzlich auch noch für den Schnitt verantwortlich war. Als er diesen Mammutfilm bei Paramount abgab, war ihm auch klar, dass er zu lange sein würde und verkündete groß, dass der Film nur über seine Leiche gekürzt werden sollte. Der Film wurde nicht gekürzt und ist mit seiner Gesamtdauer von 194 Minuten wahrlich ein Cameron-Film. Obwohl James Cameron in den nächsten Jahren immer mal wieder Kinoerfolge feierte, bleiben die drei Oscars für „Titanic“ bisher die einzigen in seiner Karriere. Seine Leidenschaft für den Film im Allgemeinen begann bereits früh. Bereits 1969 wurde durch Stanley Kubriks Film „2001: Odyssee im Weltraum“ seine Liebe für Filme entfacht, doch aus finanziellen Gründen entschied er sich für ein Studium der englischen Literatur und wurde dann erst einmal Lastwagenfahrer. Als 1977 dann „Star Wars“ in die Kinos kam, wurde seine Interesse wieder geweckt und er brachte sich das Filmemachen von der Pike auf selbst bei. Seine Karriere begann er bei New World Pictures, der Produktionsfirma von Roger Corman. Dort machte er sich mit seinem Fleiß und seiner Akkuratesse nicht nur Freunde, aber es verschaffte ihm auch bald die erste Regiearbeit für „Fliegende Killer – Piranha II“ (1981). Auch wenn sein Debüt wahrlich kein kommerzieller und künstlerischer Hit wurde, ging es von da erfolgreich weiter mit Filmen „Terminator“ (1984), „Aliens – Die Rückkehr“ (1986), „Abyss – Abgrund des Todes“ (1986) und „Terminator 2: Tag der Abrechnung“ (1991). Der Erfolg dieser Filme ermöglichte ihm die Umsetzung seines „Titanic“-Projekts und seitdem genießt er den Ruf als einer der großen Regisseure der Zeit. Dies toppte er nochmal mit „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ (2009), der auf keiner Bestenliste fehlt und die 3D-Technik salonfähig gemacht hat. Seitdem hat man seinen Namen kaum noch im Kino gelesen und wenn dann als Produzent oder Drehbuchschreiber, wie z.B. bei „Alita: Battle Angel“ (2019). Doch mit Spannung kann wohl in Richtung der vier angekündigten Fortsetzungen von „Avatar“ geblickt werden und wie sich Camerons Karriere dadurch noch weiter entwickeln wird.
„Titanic“ ist nicht nur eine akkurate Wiedergabe der Ereignisse, welche fantastisch in einen Spielfilm umgesetzt wurden, sondern, wie bereits erwähnt, auch ein fast klassisches Melodram. Dieser Teil lebt von seinen großartigen DarstellerInnen. Leonardo DiCaprio (*1974) spielt den mittellosen Jack mit so viel Lebenslust, Freigeist und Herzensgüte, das sich natürlich reihenweise weibliche Teenies in ihn verliebten. Doch bevor ihm die Rolle angeboten wurde, waren u.a. Billy Crudup, Stephen Dorff, Matthew McConaughey, Macaulay Culkin und Christian Bale im Gespräch dafür. Schlussendlich entschied man sich aber für DiCaprio, da er schon vor „Titanic“ bei Jugendlichen äußerst beliebt war, was dadurch bewiesen wurde, dass er in den Anfangsjahren des Internets zu den am häufigsten gesuchten Personen gehörte. Die Rolle des Jacks prägte ihn und man setzte ihn eine Zeitlang auf solche smarten Rollen fest, aber er schaffte es mit Filmen wie „Departed – Unter Feinden“ (2006) und „Shutter Island“ (2010) auszubrechen und schlussendlich für „The Revenant“ (2015) den Oscar zu erhalten. Für „Titanic“ hatte er damals nicht einmal eine Nominierung erhalten, was viele Fans erzürnte. An seine Seite stellte man, nachdem Claire Danes die Rolle ablehnte, da sie zu ähnlich wäre mit der aus „Romeo & Julia“ (1996), Kate Winslet (*1975), die durch „Sinn und Sinnlichkeit“ (1995) an Bekanntheit gewonnen hatte. Kate Winslet bekam für ihre Darstellung der Rose, die sich von einer unterdrückten Persönlichkeit hin zu einer starken, unabhängigen Frau entwickelt, eine Oscarnominierung, konnte aber schlussendlich die Trophäe erst 13 Jahre danach für „Der Vorleser“ (2008) gewinnen. Neben den beiden HauptdarstellerInnen bestand der Cast, abgesehen von Bates, aus wenig bekannten Gesichtern. Doch Schauspieler wie Billy Zane und Victor Garber geben ihren Figuren so viel Leben in Form Boshaftigkeit, Charme oder Gefühl, dass sie genauso zu der Wirkung des Films beitragen wie die beiden HauptdarstellerInnen. Im Gesamten stellte Cameron einen wunderbaren Cast zusammen, der den Film so menschlich macht, und auch dazu beiträgt, dass er noch heute berühren kann.
Bewertung: 8/10
Trailer zum Film „Titanic“:
geschrieben von Doreen Matthei
Quellen:
- Wikipedia-Artikel über die Oscarverleihung 1998
- Wikipedia-Artikel über den Film „Titanic“
- Wikipedia-Artikel über den Schauspieler Leonardo DiCaprio
- Wikipedia-Artikel über die Schauspielerin Kate Winslet
- Wikipedia-Artikel über den Regisseur James Cameron
- ImDB-Trivia zum Film „Titanic“
- Kubiak, Hans-Jürgen: Die Oscarfilme, Schüren-Verlag GmbH, Marburg, 2007.
- Krusche, Dieter: Reclams Filmführer, Philipp Reclam jun., Stuttgart, 2003.
- Schneider, Steven Jay: 1001 Filme die sie sehen sollten bevor das Leben vorbei ist, 2013, Edition Olms AG, Oetwil am See/Zürich, Schweiz
- Koebner, Thomas: Filmklassiker, Band 5, ab 1993, Philipp Reclam junior, Stuttgart, 2006.
- Müller, Jürgen: Filme der 90er Jahre, Taschen, Köln, 2005.
Diese Rezension ist als Teil der Oscar-Reihe der Testkammer erschienen.