Studium der Kunstgeschichte - Schwerpunkt: Filmgeschichte (Abschluss 2010 mit der Arbeit "Rembrandt im Spielfilm") Nebenfächer: Philosophie und Alte Geschichte
- seit 2012: Filmkritikerin bei movieworlds (Kino, DVD, BD, Festivalberichte)
- seit 2015: Blog 'Testkammer' online
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Festivalbericht: Die 71. Ausgabe der Berlinale findet in diesem Jahr als ein Sommerevent im Juni statt und wird ihren Besuchern ein buntes Programm in verschiedenen Sektionen bieten. Auch das ‚Berlinale Shorts‘-Programm, welches seit 2007 ein fester Bestandteil der Berlinale ist, ist wieder der perfekte Ort, um Filme junger RegisseurInnen kennenzulernen. Nach dem Motto ‚Erzähl mir von Dir, damit ich die Welt verstehe‘ präsentiert das Programm 20 Kurzfilme aus 16 Ländern und kürte drei davon zu Preisträgern.
Gerade in Zeiten einer scheinbar nicht enden wollenden Pandemie ist es wohltuend, dass das von Anna Henckel-Donnersmarck kuratierte Filmprogramm den Blick in die Welt schweifen lässt und dabei die ZuschauerInnen mit seinen Geschichten auf Reisen schickt. Dabei findet man sich an vielen Orten wieder, an denen Alltägliches passiert, Zukunft geplant wird oder Vergangenes aufgearbeitet wird. Einer der großen Themenschwerpunkte des diesjährigen Programms beschäftigt sich mit den verschiedenen Traumata, politisch wie privat, im Großen wie im Kleinen. Auch der Gewinnerfilm „My Uncle Tudor“, der mit dem Goldenen Bären für den Besten Kurzfilm ausgezeichnet wurde, handelt von einer Trauma-Aufarbeitung. Bei einem Familienbesuch konfrontiert die Filmemacherin Olga Lucovnicova ihren Onkel mit dem von ihm begangenen Missbrauch an ihr als Kind. Dafür wählt sie einen sehr sanften Zugang, welcher die Taten noch eindringlicher deutlich macht. In dem Film geht es auch um das Erinnern und darum, dass solche Taten nicht vergessen werden sollten. Genau dieser Schwerpunkt wird in einigen Film aufgegriffen. Sei es bei der Aufarbeitungen von Kolonialgeschichte wie in „One Hundred Steps“ von Bárbara Wagner und Benjamin de Burca („Rise“) oder in dem bewegenden „Deine Straße“ von Güzin Kar. In diesem Kurzfilm erzählt eine Stimme aus dem Off, gesprochen von Sibylle Berg, von einer Straße am Rande der Stadt Bonn, welche ihren Namen von einem vierjährigen Kind erhielt, was zum Opfer rechter Gewalt wurde. Hilft solche eine Benennung das Vergessen zu stoppen? Wie geht Deutschland im Speziellen um mit der Erinnerung an solche Opfer? Mit dieses Fragen beschäftigt sich der Kurzfilm und findet mit seiner fast sachlichen Betrachtung einer Straße dafür einen ungewöhnlichen Ansatz.
Dass Traumata auch politisch motiviert sein können, erzählt der kanadische Kurzfilm „International Dawn Chorus Day“ von John Greyson, der auf ungewöhnliche Weise, nämlich durch einen Zoomcall von Vögeln, über Menschen berichtet, welche aufgrund von gesellschaftsrelevanten Meinungsäußerungen ihr Land verlassen mussten oder zu Tode kamen. So hinterfragt der Film scharf das politische System und fällt mit seiner ungewöhnlichen Inszenierung auf. Der Kunstfilm „Blastogenese X“ wählt einen anderen, sehr künstlerischen Zugang zu dem Thema Mensch-Natur. Besonders unter den Beiträgen, welche sich für einen experimentellen Ansatz entschieden, stach der Kurzfilm „One Thousand and One Attempts to Be an Ocean“ hervor, der viele Clips zusammenschneidet, mit tonalen Loops unterlegt und sich so mit der heutigen Medienrezeption beschäftigt. Mit religiösen Verfehlungen setzt sich der Regisseur Michael Omonua in seinem Film „Rehearsal“ auf humorvolle Weise auseinander, indem er eine Gruppe von Menschen die Wunderheilung proben lässt. Hier entlarven die Filme Fehler in Systemen und Strukturen und bedienen sich dabei ungewöhnlicher Erzählmittel.
Die ‚Berlinale Shorts‘ beschäftigt sich auch in diesem Jahr mit den Fragen nach Glück und wie man das richtige Leben lebt und erzählt meist im engen, privaten Rahmen Geschichten von jungen Menschen. In dem US-amerikanischen Kurzfilm „More Happiness“ versucht die Tochter von der Mutter zu erfahren, wie man glücklich wird. In dem Film „Young Hearts“ ergründet eine Gruppe Jugendlicher in einem heißen Sommer ihre Gefühle und auch in der Berlinale-Nominierung für den Europäischen Kurzfilmpreis – „Easters Eggs“ von Nicolas Keppens („Wildebeest“ (2017)) – geht es um die Erfahrungen, die man in seiner Jugend macht. Der chinesische Kurzfilm „Day is done“ fängt auf gelungene Weise ein, wie sich Besuche bei Großeltern anfühlen und wie schnell sich in das warme Sommergefühl ein Hauch von Schwermut mischen kann. Dafür wurde der Regisseur Zhang Dalei mit dem Silbernen Bär der Jury Kurzfilm ausgezeichnet. Ganz dem Blickwinkel des Kindes verschreibt sich der niederländische Film „Zonder Meer“, der leise von einer Tragödie berichtet. So findet man in dem Programm viele Zugänge sich unterschiedlichen, auch schweren Themen zu nähern, ob man sie nun direkt anspricht oder sie im Hintergrund wirken lässt oder ob eine maßgebliche Stimmung evoziert wird und dem Publikum überlassen wird sich einzufühlen. So lohnt es sich auch in diesem Jahr nach Berlin zu fahren, um das vielfältige Programm der ‚Berlinale Shorts‘ zu entdecken.
Fazit: Als fester Bestandteil der Berlinale, deren 71. Ausgabe in diesem Jahr im Sommer fürs Publikum stattfinden wird, präsentierte das Programm ‚Berlinale Shorts‘ eine gelungene Mischung aus 20 Kurzfilmen. Dabei wählen viele Filme einen ungewöhnlichen Zugang zu ihren meist ernsten Stoffen. Hier werden politische und gesellschaftsrelevante Themen genauso bebildert wie persönliche Trauma auf eindringliche Weise. Doch auch für leise Zwischentöne des Glücks findet das Programm Platz. Die Filme laden dabei ein zum Reflektieren, Nach- und Umdenken und bebildern auf künstlerische Weise, die Welt, in der wir leben.