„I never cry“ (2020)

Doreen Kaltenecker
Letzte Artikel von Doreen Kaltenecker (Alle anzeigen)

Filmkritik: Der polnische Spielfilm „I never cry“ (OT: „Jak Najdalej Stad“, Polen, 2020) von Piotr Domalewski, der auf dem 30. Filmfestival Cottbus drei Preise gewinnen konnte, darunter den Preis für die beste Regie, überzeugt als realitätsnaher Spielfilm, der es schafft, wahre Ereignisse mit einer Coming-of-Age-Geschichte in einer Tragikkomödie zu vereinen.

Als die 17-jährige Ola (Zofia Stafiej) erfährt, dass ihr Vater in Irland verstorben ist, gilt der erste Gedanke ihrem versprochenen Geschenk – die Finanzierung eines Autos. Doch ihre Mutter (Kinga Preis), welche nur polnisch sprechen kann, bittet die Tochter, auf die Insel zu reisen, um den Leichnam des Vaters zu überführen. Dort stößt sie nicht nur auf die eine oder andere bürokratische Hürde, sondern erfährt auch, wie ihr Vater sein Leben vor Ort verbracht hat.

Zofia Stafiej

In seinem zweiten Spielfilm erzählt der Regisseur und Drehbuchschreiber Piotr Domalewski (*1983), der u.a. schon mit dem Kurzfilm „60 Kilo Nichts“ (2017) und seinem Debüt „Silent Night“ (2017) auf sich aufmerksam gemacht hat, eine Geschichte, welche nicht nur von persönlichen Erlebnissen aus seinem Umkreis, sondern von der Realität per se inspiriert wurde. Denn es gehört zum harten Arbeitsalltag, dass viele polnische Arbeiter das Land verlassen, um das Geld für ihre Familien in Polen zu verdienen. Dadurch werden viele Familien zerrissen und oft entsteht eine starke Entfremdung. Mit seinem zweiten Spielfilm geht er dieser Arbeitsmigration auf den Grund, schaut, wie sich die Leben hier und dort unterscheiden und beschäftigt sich mit der Gefühlslage, hier im Besonderen, des vernachlässigten Kindes. Dies kombiniert er mit einer klassischen Coming-of-Age-Geschichte, denn auf dieser Reise lernte die widerspenstige Ola auch viel über sich selbst. All das erzählt Domalewski mit der richtigen Mischung aus starken Drama-Elementen, welche aber nie ins Kitschige und Stereotype kippen, und dem notwendigen Humor. 

Kinga Preis und Zofia Stafiej

Abgerundet wird die Geschichte, von der souveränen Inszenierung und Ausgestaltung. Gedreht wurde der Film in Polen und Irland und schafft es beide Länder und die Situation vor Ort, vor allem aus der Sicht der Arbeiter, authentisch einzufangen. Dafür verwendet er eine unaufdringliche Kamerasprache und fast monochrome Bilder, welche geprägt sind von Grau- und Blautönen. Die Stärke der Inszenierung liegt auch darin, dass sich der Regisseur und sein Kameramann Piotr Sobocinski Jr. auf die Arbeit der SchauspielerInnen verlassen konnten. So ist die Hauptdarstellerin Zofia Stafiej ein absoluter Gewinn für den Film. Sie schafft es, ihre Figur lebensecht, angesiedelt im Hier und Jetzt, zwischen jugendlicher Rebellion und heranwachsende Verantwortungsbewusstsein schwankend einzufangen. Angelehnt an einen authentischen Look, sind auch die lebensnahen Dialoge, welche die ZuschauerInnen direkt in die Geschichte hineinziehen. Bei diesem gelungenen Spielfilm geht alles Hand in Hand und er überzeugt in allen Punkten, so dass man sich einen internationalen (und vor allem auch einen deutschen) Kinostart für diesen starken Film wünscht.

Fazit: Der polnische Spielfilm „I never cry“ erzählt eine Coming-of-Age-Geschichte vor dem Hintergrund der häufigen Arbeitsmigration in Polen. Authentisch eingefangen und wunderbar gespielt überzeugt die zweite Langfilmarbeit des Regisseurs und Drehbuchautors Piotr Domalewski und macht neugierig auf weitere Filme von ihm.

Bewertung: 8/10

Trailer zum Film „I never cry“:

geschrieben von Doreen Matthei

Quellen:

Kommentar verfassen