„Die Aussprache“ (2023)

Doreen Kaltenecker
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Filmkritik: Der Spielfilm Die Aussprache (OT: „Women Talking“, USA, 2023) ist nach einer zehnjährigen Pause der erste Film der Regisseurin und Schauspielerin Sarah Polley und widmet sich anhand einer wahren Begebenheit dem Thema des sexuellen Missbrauchs und des Kampfs dagegen.

In einer kanadischen Siedlung einer Glaubensgemeinschaft leben seit Jahrzehnten Frauen und Männer abgeschieden von der restlichen Welt zusammen. Dabei führt die Gemeinschaft ein traditionelles, von Regeln bestimmtes Leben, das abseits jeglicher gesellschaftlicher Veränderungen weiter existiert. Auch die regelmäßigen Vergewaltigungen, die im Schlaf stattfinden, werden stumm ertragen und gehören bereits zum Leben dort dazu. Eines Tages wird aber einer der Täter ertappt und ins Gefängnis gebracht. Als die Männer der Gemeinschaft sich aufmachen, ihn zurückzuholen, stehen die Frauen vor einer Entscheidung. Bleiben sie und ertragen es weiter, bleiben sie und kämpfen oder verlassen sie ihre Heimat. Ein Rat aus drei Familien, darunter auch Salome (Claire Foy), Mariche (Jessie Buckley) und Ona (Rooney Mara) soll diese Entscheidung für alle fällen. 

Michelle McLeod, Judith Ivey, Rooney Mara, Claire Foy, Sheila McCarthy, Jessie Buckley

Die Regisseurin, Drehbuchautorin und Schauspielerin Sarah Polley (*1979), die als Darstellerin bei „Dawn of the Dead“ (2004) mitgespielt hat, und Spielfilme wie „Take this Waltz“ (2011) und eine Dokumentation über ihre Eltern („Stories we tell“ (2013)) realisiert hat, kehrt nach zehn Jahren Funkstille auf die Leinwände zurück. Sie selbst hat auch im Zuge der Anklage gegen Harvey Weinstein und der #MeToo-Bewegung offen ausgesagt und auch ihre Rede bei den 95. Oscars 2023, wo sie mit dem Oscar für das ‚Beste adaptierte Drehbuch‘ ausgezeichnet wurde, war eine Kampfansage an das patriarchalische System. In diesen Kontext passt ihr neuester Spielfilm perfekt hinein. Der 104-minütige Film, der im englischen Original einen passenderen Titel trägt, beschäftigt sich mit dem Missbrauch an Frauen und wie damit umgegangen wird. Schön ist, dass es wie in Maria Schraders Film „She Said“ (2022) nicht um die Taten selbst geht, sondern um das Danach und das notwendige Handeln. Hier kommt noch das ungewöhnliche, tradierte Umfeld hinzu. Die Frauen in dieser Gemeinschaft leben seit Jahren in einem Patriarchat, können nicht schreiben und haben sich bis dato nicht gewehrt. Erst langsam keimen bei manchen von ihnen Fluchtgedanken oder sogar Kampfeswille auf, denn vor Ort wird sich ansonsten nichts ändern. Der Film basiert auf einem wahren Fall aus dem Jahr 2009 in einer mennonitischen Kolonie in Bolivien. Polley erzählt das Ganze als Kammerspiel und baut nur wenige Rückblenden oder Außenansichten ein, um der Story einen gelungenen Rahmen zu verpassen. Im Zentrum steht das Gespräch der Frauen, welches seine ganze Tragik zum Ausdruck bringt. Dies ist genauso emotional, wie bewegend, aber auch spannend, denn ihnen läuft die Zeit davon und eine Entscheidung muss gefällt werden.

Rooney Mara, Ben Whishaw, Claire Foy

Solch ein Kammerspiel würde ohne eine hochkarätige Besetzung nicht funktionieren. Bis in die kleinsten Rollen, ist der Film hervorragend besetzt. Die Regisseurin Sarah Polley, die sich mit ihren bereits wenigen Regiearbeiten einen Namen gemacht hat, versammelt hier einen großartigen weiblichen Cast. Männer gibt es nur in wenigen Filmminuten, außer dem sensiblen Sonderling August, herausragend gespielt von Ben Whishaw („James Bond 007: Keine Zeit zu sterben“ (2021), „Little Joe – Glück ist ein Geschäft“ (2019)). Als die drei Hauptgesprächsführerinnen, die scheinbar alle an einem anderen Ende der Argumentation stehen, wurden Claire Foy („Aufbruch zum Mond“ (2018), „The Crown“ (2016-2022)), Jessie Buckley („Judy“ (2019), „I’m Thinking of Ending Things“ (2020), „Men – Was dich sucht, wird dich finden“ (2022)) und Rooney Mara („Song to Song“ (2017), „Nightmare Alley“ (2021)) besetzt. Doch auch die kleineren Rollen sind vor allem mit jüngeren, unbekannten Gesichtern besetzt. Frances McDormand („Fargo“ (1996), „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ (2017), „Nomadland“ (2020), „Macbeth“ (2021)) darf in einer kleinen Nebenrolle eine Frau verkörpern, die verbittert geworden ist und sich ihrem Schicksal gefügt hat. Einziges Manko an dem ansonsten starken Drama ist die visuelle Inszenierung. Während das Leben in dieser mennonitischen Gemeinde hervorragend mit all seiner Natürlichkeit und Schlichtheit eingefangen wird und auch die Scheune als beinah einziger Ort einen gelungenen Raum für die Gespräche darstellt, versucht Polley mit einer starken Farbregie die Stimmung zu beeinflussen. Alles wurde dabei in Grau- und Blautönen gehalten, welche die Schwere und Traurigkeit betont sollen. Diese Optik bleibt über den ganzen Film störend und wäre für die Geschichte, die ihre ganze Kraft aus sich heraus bezieht, nicht notwendig gewesen. Doch ansonsten ist Polleys Film ein starker Beitrag aus einer unerwarteten Ecke zum Thema sehr gelungen.

Claire Foy, Emily Mitchell, Rooney Mara

Fazit: „Die Aussprache“ war einer der Nominierten für den ‚Besten Film‘ bei der Oscarverleihung des Jahres 2023. Das Drama stammt aus der Hand von Sarah Polley, die dafür den Oscar für das ‚Beste adaptierte Drehbuch‘ gewinnen konnte. Sie erzählt darin (nach wahren Begebenheiten) vom Missbrauch an Frauen, der oft damit einhergehenden Ohnmacht und dem notwendigen Ausbrechen aus festgefahrenen Strukturen. Das Ganze spielt in einem ungewöhnlichen Setting, ist stark besetzt und bis auf eine etwas zu gewollte Bildsprache. gut inszeniert. Rundherum entstand ein Film, der im Gedächtnis bleibt.

Bewertung: 7/10

Kinostart: 9. Februar 2023

Trailer zum Film „Die Aussprache“:

geschrieben von Doreen Kaltenecker

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