Studium der Kunstgeschichte - Schwerpunkt: Filmgeschichte (Abschluss 2010 mit der Arbeit "Rembrandt im Spielfilm") Nebenfächer: Philosophie und Alte Geschichte
- seit 2012: Filmkritikerin bei movieworlds (Kino, DVD, BD, Festivalberichte)
- seit 2015: Blog 'Testkammer' online
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– 9. Mai 2021 / online verfügbar 4. – 16. Mai 2021
Festivalbericht: Seit 1982 findet jedes Jahr Frühling in Stuttgart das Internationale Trickfilm Festival (ITFS) statt, eines der größten Festivals für Animationsfilme aller Art. Mit einem 400 Filme umfassenden Programm aus Lang- und Kurzfilmen fand es nun schon zum zweiten Mal als Online-Ausgabe statt. Doch das 28. ITFS beschritt auch in diesem Jahr gelungene Wege, um Festivalatmosphäre zu erzeugen. So gab es einige Programme zeitlich begrenzt durch Zoom-Talks und alle Programme wurden mit Einleitungen und Talks abgerundet, sodass das Festival (ursprünglich hybrid geplant) auch wunderbar von der eigenen Couch aus genossen werden konnte.
Das ITFS zeigt in der Rubrik AniMovie eine Auswahl von acht Langfilmen für unterschiedliche Altersgruppen und mit unterschiedlichen Animationsfilmtechniken umgesetzt. In dieser Kategorie gewann der Film „Wolfwalkers“ von Tomm Moore und Ross Stewart (zu sehen auch auf Apple TV), der ebenfalls für einen Oscar nominiert war, den Preis für den ‚Besten Animationslangfilm‘. Im Programm gab es neben aktuellen Beiträgen auch ältere, klassische 2D-Filme wie „Das große Rennen von Belleville“ (2003) und „Das Geheimnis der Frösche“ (2003) zu entdecken. Filme wie „Little Vampire“ und „Trash“ eigneten sich aufgrund ihrer klaren Botschaften und klassischen Erzählmuster besonders gut für jüngere ZuschauerInnen. Der 2D-Zeichentrick „Le Voyage du Prince“ (2019) war dagegen ein Film, der auch Erwachsene ansprach, und das Publikum mit seiner fantasievollen und unvorhersehbaren Geschichte in den Bann zog. Besonders sehenswert war auch der Stop-Motion „Strike“ (2019), der sowohl handwerklich begeistern konnte als auch mit seiner wohltuenden Botschaft Groß und Klein ansprach.
Im Internationalen Wettbewerb konnte man 48 Kurzfilme aus den verschiedensten Ländern sehen. Dabei gab es auch hier wieder alle Spielarten von Animationen zu entdecken. Den Grand Prix gewann der Stop-Motion-Film „Precious“ von Paul Mas, der in starken Bildern vom Außenseitertum, Behinderung und Schulalltag erzählt. Auch Julia Orliks Beitrag „I’m here“ erzählt mit Stop-Motion eine bewegende Geschichte. Die Regisseurin Margrethe Danielsen benutzt diese Technik ebenfalls in ihrem Film „Pearl Diver“ um Tiere aus Papier zum Leben zu erwecken und erzählt in kleinen Vignetten von Bedürfnissen und Wünschen. Der Regisseur Paul Bush dagegen benutzte ein wahres Sammelsurium an realen Objekten um seine Botschaft in „Orgiastic Hyper-Plastic“ mit viel Spielfreude zu vermitteln. In dem Programm reichten sich animierte Dokumentationen („Folie douce, folie dure“) die Hand mit Genrebeiträge („Night Bus“), Dramen („Kharchang“ von Shiva Sadegh Asadi) und Komödien („My Exercise“). Die Stile sind so unterschiedlich wie die Genres. Oft beeindrucken handwerklich geschaffene Werke wie „Conversations with a Whale“ und „Affairs of the Art“ das Publikum oder ziehen es mit alltagsnahen Geschichten wie in „Obervogelgesang“, „Step into the River“ oder „Wochenbett“ in den Bann.
Im ‚Young Animation‘-Wettbewerb konnte man die Werke junger FilmemacherInnen sehen. Hier gewann der Animationsfilm „Have a Nice Dog!“ gleich zwei Preise und „Cha“ von Gagandeep Kalirai wurde mit dem Preis für das ‚Beste Animationstalent‘ ausgezeichnet. Unter diesen 54 Beiträgen gab es viel zu entdecken. Auch hier waren wieder viele Techniken und Themen vertreten. Es war berührend wie die Regisseurin Géraldine Charpentier in ihrem „Papa Zaza“ eigene Kindheitserinnerungen verarbeitet und amüsant „The Adventures of Blueman and Jungle Jim“ von Sydney Simeone beizuwohnen. Hier wurden Alltagsthemen („Coffin“) genauso aufgegriffen wie surreale Fantasiewelten („The Courgette’s Smile“) erschaffen. Auch abstrakte Filme („Where’s My Stress Ball“) und Stop-Motion-Filme wie der entzückende „Miro Wine“ und „Strange Occurrences: Bukit Bulabu“, das sich erfolgreich über das Geister-Heimvideo-Genre lustig macht, waren auch in diesem Programm vertreten.
Auf einigen Filmfestivals richtet sich das Kinderprogramm fast ausschließlich an ein (sehr) junges Publikum, wobei die Inhalte und der Humor komplett auf die jungen ZuschauerInnen zugeschnitten sind. Doch das ITFS präsentierte mit seiner vierteiligen Reihe ‚Tricks for Kids‘ ein hochwertiges Programm, das sich zudem für alle Altersgruppen eignet. Als Gewinner ging der Film „Roberto“ von Carmen Córdoba González hervor, der es auf berührende Weise schaffte, zu thematisieren, wie sich junge Frauen in ihrem eigenen Körper sehen. Oft standen weibliche Heldinnen im Zentrum der Geschichten. Besonders fiel hier der Film „Vanille“ über ein junges Mädchen, das bei dem Besuch bei ihrer Tante zu sich selbst, zu ihren Wurzeln und der eigenen Stärke findet, auf. Wunderbar ist auch der einfühlsame „Parapluies“, in dem ein kleines Mädchen aus der Liebe zu ihrem Hund ihre Ängste überwindet. Das im Gesamten hohe Niveau und die Vielfältigkeit der Animationen fällt in dem Programm besonders auf, so wurde von Hand gezeichnet („Warm Star“) oder mit Papier („Lupin“) gearbeitet. Zudem sah man einige Filme, die ihre Animationen vor realen Hintergründen erzählten („Whatevertree“, „Kiki La Plume“). Wunderbar ist auch die große Anzahl an Stop-Motion-Filmen, wie „Matilda Ir Atsarginè Galva“, „Les Chaussures De Louis“ und „Un Caillou Dans La Chaussure“, die ihre Geschichten mit großen handwerklichen Geschick und der richtigen Botschaft transportieren. Auch sind hier viele tierische Helden vertreten, besonders wunderbar war das Wiedersehen mit „Mishou“ und die Entdeckung von „L’Odyssée De Choum“, dem wohl entzückendsten Film im ganzen Programm, in dem eine kleine Eule versucht das Ei ihres Geschwisterchens wiederzufinden. ‚Tricks for Kids‘ war ein wunderbar kuratiertes Programm (auch in Teilen als Schulprogramme konzipiert), das viele Entdeckungen parat hielt, für unterschiedlichen Themen sensibilisierte und Groß und Klein wunderbar unterhalten konnte.
Abgerundet wurde das ITFS von vielen weiteren Programmen, so gab es eine Reihe mit Pandemie-Filmen (darunter „Empty Places“, „Sad Beauty“ und der wunderbar schräge „La increíble vacuna del Dr. Dickinson“), eine Retrospektive zu der Animationskünstlerin Monique Renault („Pas A Deux“) und eine Sonderreihe zu dem Motto des diesjährigen Festivals – Creating*Diversity. Auch gab es eine ganze Reihe die sich mit Umweltthemen beschäftigte. Hier gewann der Film „Migrants“ den Preis und setzte sich so gegen die wunderbaren Beiträge „Phoque Cancan“ und „Hey, Ewe!“ durch. Auch fiel der provokative „Milk“ in dem Programm auf, der nochmal deutlich macht, welche Maschinerien hinter der Milchproduktion stecken. Zudem gab es einige Hochschulvorstellungen (meistens mit einem Zoom-Call verbunden) und diverse Länderschwerpunkte u.a. zu Polen, Portugal, Slowenien sowie eine zweiteilige Reihe zum französischen Animationsfilm. Im Gesamten war das volle Programm mit über 400 Filmen ein wunderbarer Zeitvertreib, der den eigenen Horizont erweiterte und für jede Altersgruppe was in petto hatte.
Fazit: Das 28. Internationale Trickfilm Festival in Stuttgart, was in diesem Jahr wieder online stattfand, präsentierte über zwei Wochen lang ein volles Programm, welches kuratiert, moderiert und mit vielen Zusatzveranstaltungen bereichert wurde. Hier konnte man einige Langfilme (neuere und ältere) sowie unzählige Kurzfilme für sich entdecken. Die Vielzahl von Techniken, Erzählweisen und die Kompatibilität mit allen Altersgruppen war beeindruckend und konnte so begeistern. Wunderbar war auch die Mischung von Werken von erfahrenen Filmemachern und Filmstudenten, welche die Bandbreite nochmal erweiterte. So freut man sich schon auf die nächste Ausgabe eines der größten Animationsfilmfestivals weltweit, welche hoffentlich dann auch wieder live stattfinden wird.
Trailer des 28. Internationalen Trickfilm Festival Stuttgart 2021
geschrieben von Doreen Matthei
Liste aller Filme mit allen Angaben, die im Text erwähnt wurden:
„Affairs of the Art“ (OT: „Affairs of the Art“, Kanada, 2020, Regie: Joanna Quinn und Les Millis)